Zwischen Brachfläche und Kultur-Kraftfeld: Wie das Kulturforum wurde, was es ist
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Am Kulturforum konzentrieren sich Kultureinrichtungen und Architekturikonen, dennoch gilt der Ort als städtebaulich schwierig. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, wie viele Transformationen es zwischen Tiergarten und Potsdamer Platz schon gegeben hat.
Es ist so etwas wie die „Museumsinsel der modernen Architektur“: das Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes. Hier stehen mit Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie und den Bauten Hans Scharouns Ikonen des modernen Bauens. Hier vereinen sich diverse Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin mit Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und weiteren Anrainern zu einer facettenreichen Dichte. Hier versprechen Museen, Bibliotheken und Konzertsäle einen umfassenden Kulturrausch.
Und trotzdem gilt das Kulturforum auch als „Problemkind“ unter Berlins Kulturorten, als verbaute und unbelebte Architekturödnis. Das hat vor allem mit seiner Vergangenheit zu tun, die ebenso von dynamischem Wandel und Visionen geprägt ist wie von Zerstörung, Verdrängung und Utopie.
Vom schönen wilden Leben in Sommerhäusern, Salons und Bars
Liegt das Tiergartenviertel heutzutage ziemlich zentral, war es im 18. Jahrhundert noch Stadtrandgebiet. Nachdem der große Tiergarten vom kurfürstlichen Jagdrevier zur öffentlichen Parkanlage umgewidmet wurde, war rund um das heutige Kulturforum vor allem Sommerfrische angesagt. An diesem beliebten Ausflugsziel wollte man wohnen, darum wurde gebaut: erst Land- und Sommerhäuser, dann Villen mit großen Gärten und mehrgeschossige Gründerzeitmietshäuser. Und auch die Diplomaten wurden auf das attraktive Viertel in der Nähe des Tiergartens aufmerksam: Im Jahr 1930 waren bereits 30 Botschaften im Tiergartenviertel ansässig.
Unweit der großbürgerlichen Villen pulsierte das pralle Großstadtleben. Am Leipziger Platz lockte das Warenhaus Wertheim mit Konsumgütern. Am Potsdamer Platz erwartete Berliner*innen und Besucher*innen der urbane Nervenkitzel permanenter Beschleunigung und befreiten Vergnügens im anrüchigen Berliner Nachtleben. Bars, Cafés, Tanzlokale, Kabaretts und Kinos boten vielfältiges urbanes Amüsement. Innovative Galerien und private Kunstvereine zeigten Werke damals angesagter Kunstschaffender. Die Gegend um das heutige Kulturforum entfaltete eine eigene Dynamik des künstlerischen und gesellschaftlichen Austauschs.
Topografie des Größenwahns und Terrors
Lebte und wirkte am Kemperplatz und Umgebung in den 1920er Jahren noch die Bohème, waren die 1930er Jahre vom Aufstieg und Größenwahn der Nationalsozialisten geprägt – auch architektonisch und städtebaulich. Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer wollte Berlin in die gigantomanische „Reichshauptstadt Germania“ umbauen lassen. Mit dem Bau des Hauses des Fremdenverkehrs am heutigen Standort der Staatsbibliothek zu Berlin begann 1938 die Verwirklichung einer rücksichtslosen Vision, die glücklicherweise nie realisiert wurde.
Dieser Größenwahn sorgte für Zerstörung auf verschiedenen Ebenen: Bereits 1937 begannen die Nationalsozialisten, das von vielen jüdischen Bürger*innen bewohnte Tiergartenviertel abzureißen, um Platz für Speers Nord-Süd-Achse zu schaffen. Dafür wurden Wohnhäuser enteignet, geräumt und abgerissen, sogar Friedhöfe verlegt. Jüdische Familien wurden zwangsweise umgesiedelt oder deportiert. Nirgendwo sonst in Berlin erreichten die Zerstörungen in Vorbereitung der „Hauptstadt Germania“ eine solche Dimension.
Darüber hinaus befanden sich rund um das heutige Kulturforum verschiedene Orte des nationalsozialistischen Terrors: In der Bellevuestraße tagte der Volksgerichtshof, am Reichpietschufer, im Bendlerblock, war das Reichskriegsministerium angesiedelt und in der Tiergartenstraße 4 plante die „Euthanasie“-Zentraldienststelle unter dem Namen „Aktion T4“ die Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung.
Architektonische Identitätssuche in der geteilten Stadt
1945 war die Gegend des heutigen Kulturforums ein Trümmerfeld. Der städtebauliche Neubeginn wurde maßgeblich von dem Architekten Hans Scharoun geprägt. Dessen Kollektivplan zur Neugestaltung der Stadt wurde aufgrund seines utopischen Charakters zwar nie realisiert, doch ein Gedanke dieses Wiederaufbauplans prägte die weitere Entwicklung am Kulturforum: die „demokratische Stadtlandschaft“.
Das Tiergartenviertel wurde nicht wiederaufgebaut. Nur die St. Matthäus-Kirche, ein Überbleibsel aus der Blütezeit dieses Viertels von vor 1933, wurde ab 1956 rekonstruiert. Es folgten bis in die 1980er Jahre hinein Neubauten für den Kulturbereich, die man heute als Ikonen der Architektur kennt, allen voran die Philharmonie, die Staatsbibliothek und die Neue Nationalgalerie. Die Vision der Beteiligten war es, ein neues kulturelles Zentrum für den Westteil der nun geteilten Stadt zu schaffen. Als Gegenstück zur im Osten gelegenen Museumsinsel sollte das Kulturforum ein politisches Zeichen sein: ein modernes Gegenüber als Sinnbild einer neuen westlichen Mitte.
Aufbruchstimmung. Der Ausbau des Kulturforums
Der Fall der Berliner Mauer eröffnete auch am Kulturforum völlig neue Perspektiven. Hier, wo zuvor der Todesstreifen das einstige Berliner Zentrum zwischen Brandenburger Tor, Leipziger Platz, Tiergarten und Potsdamer Platz zerschnitten und ein gigantisches urbanes Brachland hinterlassen hatte, schien plötzlich alles möglich. Dies galt auch für die Berliner Museumsszene: Kurz nach dem Mauerfall entflammte eine hitzige Diskussion darüber, ob, wo und in welcher Form die auf die Stadt verteilten Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zusammengeführt werden sollten. 1992 wurden die Museen offiziell wiedervereinigt und der Plan, Gemäldegalerie, Kunstbibliothek und Kupferstichkabinett am Kulturforum anzusiedeln, setzte sich durch. 1998 eröffnete am Kulturforum der vom Büro Hilmer & Sattler entworfener Neubau für die wiedervereinten Sammlungen der Gemäldegalerie.
Im 21. Jahrhundert erhalten nun die Auseinandersetzungen, Utopien und Brüche des 20. Jahrhunderts, wie sie die Kunst vielfach thematisiert hat, ihren eigenen Ort am Kulturforum: im Neubau der „Neuen Nationalgalerie – Museum des 20. Jahrhunderts“. Der Neubau schafft den dringend benötigten Platz, um die Kunst des 20. Jahrhunderts erstmals umfassend zeigen zu können. Die Sammlung der Nationalgalerie umfasst alle wesentlichen Kunstrichtungen Europas und Nordamerikas, insbesondere Werke des Expressionismus, der Konzeptkunst oder der Land Art, sowie raumgreifende, multimediale Installationen. Der euroamerikanische Fokus soll dabei immer wieder selbstkritisch hinterfragt und aufgebrochen werden. Ein besonderer Schwerpunkt im Neubau ist die Kunstproduktion im geteilten Deutschland, da die Nationalgalerie aufgrund ihrer eigenen Teilungsgeschichte über vielgestaltige Bestände aus Ost- wie Westdeutschland verfügt.
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Sehr geehrtes Newsletter-Team, In aller Bescheidenheit, aber um der historischen Korrektheit Willen: Die Staatsbibliothek im Scharounbau ist Teil des „Kulturforums“, nicht Nachbar! Mit besten Grüßen Dr. Günter Baron Direktor bei der SBB-PK i. R.
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