„Alkohol war kaum erhältlich“ – Das Rathgen-Forschungslabor produziert Desinfektionsmittel
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Im Rathgen-Forschungslabor werden normalerweise
kunsttechnologische Untersuchungen an Kunstwerken gemacht. In Zeiten des
Coronavirus ist alles anders – Wissenschaftler Stefan Simon erklärt,
wie die Mitarbeiter*innen dort auf die Produktion von
Desinfektionsmittel und Masken umgestellt haben.
Interview: Sven Stienen
Das
Rathgen-Forschungslabor machte bereits zu Beginn des Corona-Lockdowns
Schlagzeilen, als in einer spektakulären Aktion Schutzausrüstung an
Gesundheitseinrichtungen verschenkt wurde. Nun stellen Sie
Desinfektionsmittel und Schutzmasken selber her – was genau passiert da
und wie kam es zu der Idee? Stefan Simon: Zu Beginn der Corona Krise wurden wir durch einen aktiven Covid-19 Fall
bei uns im Labor quasi im Schnelldurchgang sensibilisiert. In der Folge
dieser Erkrankung, übrigens der ungefähr 40. Fall in Berlin, wurde
unsere halbe Belegschaft in Quarantäne geschickt. Wie alle anderen haben
wir uns gefragt, ob es irgendwas gibt, das wir tun können, obwohl die
normale Arbeit im Labor erst einmal ruht. In den USA oder bei unseren
europäischen Nachbarn sahen wir, wie unsere dortigen KollegInnen unter
dem Hashtag #GetMePPE Schutzmaterialien für Ärzte und Krankenhäuser
sammelten und auch hier in Deutschland gab es ja dramatische Appelle der
Kassenärzte und Krankenhäuser, Schutzausrüstung zu spenden. Unser
Vorschlag, eine ähnliche Aktion bei der SPK durchzuführen, wurde sofort
positiv in der Leitungsebene aufgenommen und am 29. März konnten
tausende Handschuhe, Schutzanzüge und Schutzmasken der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung übergeben werden. Möglich gemacht haben das zahlreiche
Kolleginnen und Kollegen aus allen Einrichtungen der SPK innerhalb
weniger Tage, ich bin immer noch beeindruckt von der unglaublichen
Hilfsbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen.
Wie kam es dann zu der Idee, selbst Hilfsmittel herzustellen? Schon am Tag nach unserer Hilfsaktion stellte sich die Frage: Was
machen wir denn nun selber in unseren Häusern? Wie so oft in dieser
Krise, mussten wir unsere Gedanken neu auf den Prüfstand stellen und uns
überlegen, ob und gegebenenfalls was wir am Rathgen-Forschungslabor
gegen diese Versorgungslücke tun könnten. Desinfektionsmittel waren auf
dem Markt kaum mehr erhältlich, beziehungsweise für medizinische
Einrichtungen reserviert. Wir haben dann aber herausgefunden, dass seit
Ende März durch eine Allgemeinverfügung der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund die Herstellung von
Biozidprodukten zur hygienischen Händedesinfektion auch Einrichtungen
wie dem Rathgen-Forschungslabor gestattet ist. Seit Anfang April gilt
das auch für Mittel zur Flächendesinfektion. Wir waren uns im Team
schnell einig, dass wir unser analytisches Labor zu diesem Zweck
umnutzen wollen und begannen, nach den notwendigen Chemikalien zu
suchen. Vor allem Alkohol war kaum erhältlich. Über private Kontakte in
meine bayerische Heimat konnten wir uns dann aber sukzessive von
verschiedenen Brennereien mehrere hundert Liter Alkohol beschaffen,
sowie andere Inhaltstoffe aus dem Chemikalienhandel, so dass wir seit
zwei Wochen in der Tat die Einrichtungen der SPK mit Desinfektionsmittel
versorgen können. Im Lichte der Wiedereröffnung der Bibliotheken,
Archive und Museen, gehen wir derzeit davon aus, dass das vielleicht
noch eine Weile so weiter gehen könnte.
Was hat es mit den Masken auf sich, die Sie nähen? Ja, hier kommen dann die Masken auf die Tagesordnung. Auch dies ist
eine Grassroot-Initiative engagierter Kolleginnen und Kollegen quer
durch die Stiftung, vor allem unserer Profis aus der
Textilrestaurierung. Innerhalb weniger Tage ist das Team der motivierten
Mitstreiter quer durch die SPK auf über 50 Leute angewachsen. Unser
Ziel ist es, in den nächsten Wochen über 1500 Masken herzustellen.
Wie
muss man sich die Arbeit vorstellen – arbeiten sie vor Ort im
Rathgen-Forschungslabor oder nähen Sie von zuhause aus? Arbeiten Sie
allein oder sind mehrere Kolleg*innen beteiligt? Am
Rathgen-Forschungslabor selbst wird nicht genäht. Dazu braucht man ja
zum Beispiel Nähmaschinen. Manche KollegInnen arbeiten damit zuhause,
manche in ihrer Werkstatt, wir handhaben das sehr flexibel und stimmen
uns regelmäßig über die Schnitte und das Material ab. Hier zeigt sich
wieder mal, wie gut es ist, dass wir echte Profis aus dem Textilbereich
unter uns haben, die die Qualität der Stoffe und Produkte sehr gut
einschätzen können.
Wofür
sind die Masken gedacht? Arbeiten Sie auch im Hinblick auf eine
mögliche baldige Wiedereröffnung der Einrichtungen der SMB/SPK daran? Wir gehen davon aus, dass bei einer Wiedereröffnung etwa der Museen das
Tragen von Masken verpflichtend sein wird. Also sollen zunächst vor
allem unsere Mitarbeiter mit mindestens zwei Masken ausgestattet werden.
Alles arbeitet ja derzeit auf eine stufenweise Wiedereröffnung im Mai hin. Wir wollen mit unserem Team einen kleinen Beitrag dazu leisten,
dass wir dann in punkto eines verschärften Hygienekonzepts gut
vorbereitet sind.
Was machen Sie denn im Normalfall? Wie sah Ihr Arbeitsalltag im Rathgen-Forschungslabor vor der Krise aus? Die Krise dauert ja erst wenige Wochen, aber mir scheint fast, als
gehöre alles, was davor geschah, einer längst vergangenen Epoche an.
Unser letztes großes Projekt war die Untersuchung der 1979 im größten Kunstdiebstahl der DDR-Geschichte aus Schloß Friedenstein in Gotha gestohlenen Alten Meister. Das ging im
Januar durch die deutschen Medien. Die sieben Gemälde waren seit einer
konspirativen Übergabe unter Mitwirkung des Landeskriminalamts im
September 2019 bei uns und wurden im Januar nach Gotha zurückgeschickt,
nachdem ihre Echtheit bestätigt werden konnte. Wir sind als
konservierungswissenschaftliches Labor also eher mit solchen Fragen als
mit der Alkohol- und Maskenproduktion beschäftigt. Im Wesentlichen dreht
sich unsere Forschung um Fragen der nachhaltigen Erhaltung von Kunst-
und Kulturgut, der präventiven Konservierung, dem „Grünen Museum“ oder
dem illegalen Kunsthandel.
Die „Kultur in der Krise“ ist ein Thema, das auch mich schon seit
Jahren wissenschaftlich beschäftigt. Mit so einer Krise wie dieser hatte
ich allerdings nie gerechnet.
Worauf freuen Sie sich am meisten in der Zeit nach Corona? Daran wage ich noch gar nicht zu denken. Meine Freunde und Kollegen auf
der ganzen Welt, mit denen ich jetzt fast täglich über Zoom-Konferenzen
in Verbindung stehe, wieder real und nicht nur virtuell zu treffen, bei
einem Glas Weißbier zum Beispiel, darauf freue ich mich sehr. Und als
jemand, dessen Kalender durch Volksläufe wie dem Rennsteiglauf oder dem
Jungfrau-Marathon, dem Berlin- oder New York Marathon und den Skirennen
der World Loppet Serie Struktur und Inhalt erfährt, warte ich
sehnsüchtig darauf, dass wir irgendwann wieder gemeinsam laufen können.
Auch wenn ich nicht weiß, wie lange wir darauf noch warten müssen, aber
darauf freue ich mich.
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