Das Rathgen-Forschungslabor und der Kunstraub von Gotha
Lesezeit 6 Minuten
Der größte Kunstraub der DDR fand am 14. Dezember 1979 in
Gotha statt. Aus dem dortigen Schlossmuseum wurden fünf
Altmeistergemälde gestohlen, die erst 2018 wieder auftauchten. Das
Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin prüfte die
Authentizität der Werke. Stefan Simon, Leiter des
Rathgen-Forschungslabors, im Gespräch über den Fall und die
Untersuchung.
Interview: Christof Hannemann & Lena Röttger
In
der Nacht zum 14. Dezember 1979 ereignete sich der „größte Kunstraub in
der Geschichte der DDR“. Fünf Altmeister-Gemälde von Hans Holbein d.
Ä., aus der Werkstatt Jan Brueghel d. Ä., eines Kopisten nach Anthonis
van Dyck, eines Rembrandtschülers und Frans Hals wurden aus dem
Schlossmuseum Gotha gestohlen. Die Diebe kletterten filmreif mit
Steigeisen den Blitzableiter hinauf, öffneten mit einem Glasschneider
das Fenster und schlichen durch das Museum. Die Gemälde verließen
offenbar auf dem gleichen Weg das Gebäude, denn die Spurensicherung fand
am Fuß des Blitzableiters Fragmente eines der Gemälderahmen. Trotz
intensiver Suche und mehr als tausend Zeugenbefragungen blieben die
Gemälde spurlos verschwunden.
Im Juli 2018 wandte sich ein Anwalt
im Auftrag einer Erbengemeinschaft an den Oberbürgermeister der Stadt
Gotha und bot die Gemälde zum Rückkauf an. Unter größter Diskretion
führte dieser seitdem mit Unterstützung der Ernst von Siemens
Kunststiftung Verhandlungen zur Rückführung der Kunstschätze. Ende
September 2019 kam es im Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin unter verdeckter Beteiligung des Landeskriminalamtes Berlin zur
Übergabe der Gemälde mit dem Ziel, ihre Authentizität zu prüfen. Mitte
Januar wurden die Ergebnisse dieser Untersuchungen nunmehr der
Öffentlichkeit präsentiert.
Wir
haben uns mit Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors, über
die Untersuchungen und Ergebnisse der Gothaer Gemälde und die Arbeit
des Instituts unterhalten.
Wie sah die Arbeit des Rathgen-Forschungslabors im Fall der Gothaer Gemälde aus?
Wenn
wir Kunst und Kulturgut mit der Frage nach einer möglichen Fälschung
oder der Authentizität betrachten, sind unsere ersten Maßnahmen immer
dieselben: Zunächst erstellen wir Fotos der Objekte: visuelle Infrarot-,
UV-Reflexions- sowie UV-Fluoreszenzaufnahmen. Anschließend machen wir
Röntgenaufnahmen sowie Untersuchungen mit dem Mikroskop. Wir betrachten
die Objekte ganz nah von vorne und hinten und suchen nach Schlagmarken
oder kleinsten Spuren, wie beispielsweise Reste von Aufklebern. In der
Regel vergleichen wir die Werke mit alten Aufnahmen. Da das Archiv des
Gothaer Schlossmuseum allerdings im Zweiten Weltkrieg starke Verluste
erlitten hat, standen uns nur relativ schlechte Vergleichsabbildungen in
Schwarzweiß zur Verfügung.
Wie lange haben die Untersuchungen an den Objekten gedauert?
Rund
drei Monate. Die meiste Zeit hat die Suche nach den Vergleichsaufnahmen
beansprucht. Normalerweise sichten wir zuerst die Fachliteratur. Im
Aktenvermerk der Polizei war aber auch ein Radiologe genannt, dessen
Nachlass wir im Deutschen Röntgen-Museum in Remscheid ausfindig machen
konnten. Und in einem von 40 unsortierten Kartons haben wir dann
wirklich Röntgenaufnahmen aus den sechziger Jahren von drei Gemälden
gefunden!
Das ist für mich übrigens die wichtigste
Lektion aus diesem Fall: wie wichtig die Dokumentation für ein Museum
ist, wie wichtig es ist, gute Fotos und Röntgenaufnahmen zu haben! Diese
helfen ungemein bei der Authentifizierung und der kunsthistorischen
Forschung, beispielsweise bei der Frage, ob ein Werk aus eigener Hand
oder einer Werkstatt stammt. Um dies zu erkennen, müssen wir die Art des
Pinselstrichs betrachten. Auf guten Aufnahmen ist dies und noch mehr zu
erkennen.
Die Aufnahmen helfen auch bei der Aufgabe des Museums,
Kulturgut zu erhalten, denn man sieht auf ihnen, wie sich die Objekte
über die Jahrzehnte und Jahrhunderte verändern. Bei den Gothaer Werken
stand auch die Frage im Raum, ob in den vergangenen Jahren an den
Bildern Retuschen oder strukturelle Festigungen vorgenommen wurden.
In welchem
Zustand waren die Gemälde und kann man darauf Rückschlüsse auf den
Aufbewahrungsort in den vergangenen 40 Jahren ziehen?
40
Jahre gehen an keinem Gemälde spurlos vorüber, gerade wenn man
überlegt, dass die Gothaer Arbeiten vermutlich in einem ganz normalen
Haushalt hingen. Dafür ist der Zustand trotz einiger Spuren, Kratzer und
dergleichen relativ gut. Dennoch werden die Werke sicherlich
restauriert werden müssen.
Unsere
wissenschaftlichen Untersuchungen konnten die Authentizität der fünf
Gemälde zweifelsfrei bestätigen. Zu den „fälschungssicheren“ Merkmalen
gehören beispielsweise ihr röntgengraphisch erfasster Innenzustand, das
Rissnetz der Malschichten, nachweisbare Restaurierungseingriffe der
Vergangenheit sowie die Gemälderückseiten mit z.T. alten Inventarnummern
oder den nach dem Diebstahl entfernten Etiketten des Schlossmuseums.
Wir
im Rathgen-Forschungslabor haben mit einem weinenden und einem
lachenden Auge „Auf Wiedersehen“ gesagt und die Gemälde nach Gotha
verabschiedet. Wir sind glücklich und stolz auf das große Vertrauen,
dass in unsere Arbeit gesteckt wurde, und freuen uns sehr für die Stadt
Gotha und die Kolleginnen und Kollegen im Schlossmuseum, dass sie die
gestohlenen Gemälde endlich wiederhaben. Das Ergebnis unserer Arbeit ist
nun der Beginn der weiteren kunsthistorischen Forschung, denn dieser
waren die Gemälde in den vergangenen 40 Jahren entzogen.
Was nehmen Sie nach diesem Projekt als Fazit mit?
Um
es mit einem Sprichwort zu sagen: „It takes a village to raise a
child“. Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen. So war
es auch bei diesem Projekt. Es waren nicht nur drei bis vier
Wissenschaftler, die die Authentizität der Gemälde bewiesen haben,
sondern es war große Teamarbeit in Kooperation mit der Kunststaffel des
Landeskriminalamtes. Bei den Staatlichen Museen zu Berlin und der
Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben wir exzellente Fachleute in
allen Bereichen – vom Fotografen über den Sicherheitsfachmann bis hin zu
den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und dem Justiziariat, das
uns in rechtlicher Hinsicht hervorragend beraten hat. Ohne die hier
versammelte Expertise, die auf ihrem jeweiligen Gebiet einzigartig ist,
wäre ein solches Projekt niemals möglich gewesen.
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