Ausgräber und Sammler – Antikenhandel im Osmanischen Reich
Lesezeit 8 Minuten
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert florierte der Handel mit archäologischen Objekten im Osmanischen Reich. Trotz strenger Ausfuhrregularien kamen viele Antiken nach West-Europa – auch in die Berliner Antikensammlung.
Text: Birgit Sporleder
Ein gewichtiger Teil der Objekte der Berliner Antikensammlung stammt aus offiziellen Museumsgrabungen, die bis ins frühe 20. Jahrhundert u.a. im Osmanischen Reich durchgeführt wurden. Doch einige Konvolute sind mit den Namen von einschlägigen Kunsthändlern verbunden – ein spannendes Forschungsfeld, da der Handel mit archäologischen Objekten im Osmanischen Reich bis heute nur wenig erforscht ist. Provenienzforscher:innen spüren der Frage nach: Auf welcher Grundlage konnten Antiken damals überhaupt nach Berlin gelangen und wessen Nachfrage bedienten die Händler?
Im Baedeker-Reiseführer für „Konstantinopel und das westliche Kleinasien“ von 1905 findet sich eine Passage, die die Fachleute heute aufmerken lässt. Dort heißt es: „[…] Antiken dürfen nicht exportiert werden. Die Versendung etwaiger Einkäufe nach der Heimat überlasse man Spediteuren in Konstantinopel oder Smyrna.“ Der Reiseführer richtete sich an das wohlhabende deutsche Bildungsbürgertum, das im frühen 20. Jahrhundert gern in das Gebiet der heutigen Türkei reiste. Die frühen Tourist:innen kamen hierher, um antike Ruinenstätten und archäologische Museen zu besuchen und, wie der kurze Hinweis im Reiseführer belegt, offenbar auch, um Antiken als „Souvenirs“ mit nach Hause zu bringen.
Die Empfehlung des Baedeker bleibt auffallend ungefähr, denn die Frage, wie die Spediteure mit dem geltenden Ausfuhrverbot umgingen, wird nicht geklärt. Offenbar fiel diese Unstimmigkeit auf, denn nur ein Jahr später war in dem konkurrierenden Meyer’s „Reisebuch für Griechenland und Kleinasien“ zu lesen, dass die Ausfuhr von Antiken ausschließlich „ohne besondere Erlaubnis der Ministerien“ verboten sei. Dies bedeutet in der Folge, dass eine legale Verschickung nach Hause möglich war, wenn die Spediteure die Erlaubnis einholten.
Die übliche Ausfuhrpraxis wurde möglicherweise ignoriert
Auch Theodor Wiegand (1864–1936), Direktor der Antikenabteilung in Berlin ab 1911, kannte die Gesetze zur Ausfuhr archäologischer Objekte aus dem Osmanischen Reich sehr genau. In seinem Buch „Die Denkmäler als Hilfsmittel der Altertumsforschung“ hält er fest: „[…] Handel von Kunstgegenständen ist an besondere Konzessionen gebunden, ihre Ausfuhr sonst untersagt.“
In der Antikensammlung befinden sich bis heute Objekte, die von privaten Sammlern vor Ort erworben und nach Berlin gebracht wurden. Ein Beispiel dafür ist das Konvolut „Spiegelthal“.
Schon seit dem späten 19. Jahrhundert erfreuten sich kleinformatige Terrakottafiguren einer großen Beliebtheit in West-Europa, sowohl bei Privatsammlern, als auch bei Museen. So kam bereits 1873 eine Schenkung solcher Figuren des früheren Königlich Preußischen General-Konsuls Ludwig Peter Spiegelthal (1823–1900) an das Berliner Antiquarium. Spiegelthal war zwischen 1851 und 1859 in Smyrna (heute Izmir) eingesetzt, wo ihm offenbar günstige Möglichkeiten für den Erwerb von Antiken aus der Region geboten wurden.
Wer waren die Händler und woher kamen die archäologischen Objekte, die sie zum Kauf anboten?
Ein bedeutender Teil des Handels mit archäologischen Objekten im Osmanischen Reich spielte sich – neben Konstantinopel (heute Istanbul) – in Smyrna ab. Dies rührte sicher zum einen daher, dass die beiden Städte vom westeuropäischen Bürgertum frequentiert wurden. Vor dem Hintergrund eines humanistischen Bildungsideals interessierte sich diese Gruppe besonders für die Antike und hatte zudem die finanziellen Möglichkeiten, Privatsammlungen anzulegen.
Zum anderen waren in Smyrna verschiedene Großfamilien ansässig, die ursprünglich aus England oder den Niederlanden kamen. Einige von ihnen waren durch den Handel zwischen West-Europa und Asien zu immensem Reichtum und Einfluss gelangt, und dominierten nun den interkontinentalen Warenhandel zwischen Ost und West. Manche Familienmitglieder bekleideten politische oder diplomatische Ämter und förderten somit zusätzlich die hohe Frequenz internationaler Gäste in der Stadt. Anders als in Konstantinopel galten sogar auf den Basaren Französisch und Italienisch als Handelssprachen.
Europäer in Smyrna
Eine dieser Großfamilien waren die ursprünglich aus Großbritannien stammenden Lawsons. In archivalischen Beständen und in der Museumsliteratur taucht der Name gelegentlich auf, wenn es um den Ankauf von Antiken oder Münzen geht. Ob es sich immer um dieselbe Person handelt, kann nicht eindeutig bestätigt werden, denn oft ist nur von „(Mr.) Lawson“, einem „Herrn Lawson“ oder von „Lawson of Smyrna“ die Rede. Manchmal erscheint auch der Name „Alfred J. Lawson“, zum Beispiel in Zusammenhang mit Inventaren im Berliner Münzkabinett. Von „Lawson“ stammen außerdem zwei Terrakottafigurinen der Antikensammlung, die vor 1888 erworben wurden.
Ob es sich – wie im Münzkabinett – um Alfred J. Lawson handelt oder um ein anderes Familienmitglied, kann nicht zweifelsfrei belegt werden. Im Archivmaterial der Antikensammlung werden Terrakotten des „[…]-Bank-Direktors Herrn Lawson“ genannt, die „aus Myrina“ stammen sollen. Carl Humann, der sie fotografierte, war sich der Herkunft „fast sicher“, wie er im August 1884 nach Berlin schrieb. Nachweisbar ist zudem, dass „Lawson“ bzw. weitere Familienmitglieder lange Zeit in den Antikenhandel involviert war(en). Im Jahre 1911 erfolgte der Ankauf eines kleinen Konvoluts der Berliner Universität (heute Humboldt-Universität zu Berlin), der mit dem Vermerk „Erw[orben]. b[ei]. Lawson in Smyrna […]“ im Inventarbuch versehen ist.
Wie umtriebig in Smyrna mit Antiken gehandelt wurde, bezeugt ein Zitat des Archäologen Karl Sittl, der in seinem Handbuch „Archäologie der Kunst“ von 1895 klagte: „Kleinasien ist so oft der Schauplatz politischer Veränderungen und verwüstender Kriege gewesen, dass […] verhältnismässig wenige alte Denkmäler übrigblieben. Freilich sind Ausgrabungen noch viel zu selten, ebenso fehlt es an Organisation der Erforschung […] Der Smyrnaer Handel zerstreut die Antiken überallhin […].“
Den Weg zurückzuverfolgen ist in vielen Fällen kaum möglich
Ein weiterer Ankaufskontakt in Smyrna, dem in der Antikensammlung Objekte zugewiesen werden können, ist „van Lennep“. Wahrscheinlich handelt es sich um Alfred Oscar van Lennep (1851–1912/13), Mitglied einer der Familien, die im großen Stil im Fernhandel tätig waren. Ab 1897 war er niederländischer Vize-Konsul in Smyrna und wird zudem in der Datenbank des Münzkabinetts der Berliner Museen als „Numismatiker, Münz- und Antikenhändler“ klassifiziert. Seit den 1880er Jahren belieferte er verschiedene Museen in Europa mit Antiken und Münzen. Aus Briefen seines Onkels Richard Jacob van Lennep ist überliefert, dass Alfred Oscar archäologische Objekte in die Niederlande, nach England und Amerika verschickte, die er auf Reisen ins Innere des Landes kaufte. So wurde ihm im Juni 1886 etwa „die Statue einer sitzenden Frau“ von einem „Bauern“ angeboten sowie „mehrere Terrakotten in Kyme“.
Den Weg archäologischer Objekte aus dem Kunsthandel im Einzelnen zurückzuverfolgen ist in den meisten Fällen kaum möglich. Die historischen Quellen – Auktionskataloge, Inventarbücher, Ankaufsakten mit Korrespondenz zum Erwerbungsvorgang – sind gerade bei den Informationen, die heute für die Provenienzforschung wichtig wären, meist lückenhaft. Dies beginnt häufig schon damit, dass Artefakte nicht eindeutig identifiziert werden können, weil Bebilderung und detaillierte Beschreibungen fehlen. Zudem gibt es oft keine Information darüber, ob die Ausfuhr von entsprechender Stelle genehmigt wurde, bzw. ob eine Grabungserlaubnis vorlag. Weiterhin nennen diese Quellen nur selten die Kontakte der Händler vor Ort oder beschreiben die genauen Umstände des Besitzwechsels. Wie auch in anderen Bereichen der Provenienzforschung, kann die Betrachtung der Personen, die in den Erwerbungsvorgang involviert waren, weiterhelfen, die Situation zu bewerten. Welche Positionen oder Ämter bekleideten sie und genossen sie unter Umständen Immunität? Welche Bewegungsfreiräume hatten sie, welche nicht? In welchen politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gefügen sind sie zu verorten? Mit diesen Fragen nähern sich Provenienzforschende ihnen an.
Wissenschaftlicher Wertverlust
Der Ankauf von Antiken im Kunsthandel wird seit geraumer Zeit von den Berliner Museen so gut wie gar nicht mehr praktiziert. Zwar wäre dieser unter bestimmten Umständen sogar auf legalem Wege heute möglich (vgl. UNESCO-Konvention von 1970; Deutsches Kulturgutschutzgesetz „KGSG“ von 2016). Jedoch sind archäologische Objekte aus dem Kunsthandel kaum von wissenschaftlichem Wert, da die Dokumentation der Fundumgebung und damit die Vergesellschaftung mit anderen Artefakten fehlt, wodurch wichtige Informationen zu den Objekten für immer verloren sind. Diese Problematik sprach u.a. der Archäologe Adolf Furtwängler bereits 1887 an, als er sich zur Terrakotta-Kollektion des russischen Diplomaten Pjotr Alexandrowitsch Sabouroff äußerte. Zudem sei bemerkt, dass P. A. Sabouroff nicht nur Terrakotten sammelte, sondern eine große Zahl antiker Kunstwerke zusammentrug, von denen einige in die Berliner Antikensammlung gelangten:
„Diese seit etwa sechs Jahren in beträchtlicher Anzahl in den Handel gebrachte Gattung von Terrakotten, die zumeist aus größeren Gruppen, seltener aus Einzelfiguren besteht und die gewöhnlich als aus Kleinasien stammend bezeichnet wird, kann wissenschaftlich vorerst nicht benutzt werden, da ihr Ursprung über den athenischen Kunsthandel hinaus bis jetzt nicht zurückverfolgt werden kann und die neuerdings geäusserten Zweifel an der Aechtheit derselben wenigstens theilweise berechtigt scheinen.“
Die Konsequenz der fehlenden Fundkontexte ist demnach nicht erst heute ein Problem, sondern wurde bereits von Zeitgenossen beklagt. Hinzu kam schon damals ein zum Teil sehr lukrativer Handel mit Fälschungen, die sich auf dem Markt mit Originalen vermischten. Aber das ist ein anderes Thema…
Auch archäologische Objekte können schwierige Geschichten haben. Neun Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin haben nun ein gemeinsames Haltungspapier zum… weiterlesen
Auch in archäologischen Sammlungen geraten Objekt-Provenienzen nun in den Fokus. Die Antikensammlung arbeitete bereits 2022 eine wichtige historische Grabung auf… weiterlesen
Das Plündern archäologischer Grabungsstätten und der illegale Verkauf der Objekte im Ausland sind ein weltweites Problem. Sven Stienen sprach darüber… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare