Christina Haak im Interview: „Ich hätte mir mehr Sensibilität gewünscht“
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Christina Haak über die Staatlichen Museen zu Berlin in der Corona-Krise, den Tatort Museumsinsel und über die Frage, ob der museale Konsens noch gültig ist.
Interview: Ingolf Kern
Auch ihr Tag hat nur 24 Stunden – und doch ist Christina Haak in diesen Zeiten gefordert wie nie. Die Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin will ihre geschlossenen Häuser gut durch die Corona-Krise manövrieren, auf der Museumsinsel muss geklärt werden, wer die Schätze mit ölhaltiger Flüssigkeit beschädigt hat, und schließlich befindet sich ihr Verbund in einer heftigen Reformdebatte. Ein paar Minuten Zeit nahm sie sich, um unsere Fragen zu beantworten.
Seit Anfang November haben die Museen bundesweit wegen der Corona-Krise wieder geschlossen und werden in einer Reihe mit Spaßbädern, Bordellen und Nagelstudios aufgeführt. Wie fühlen Sie sich im Unterhaltungssektor? Christina Haak: Ich hätte mir von der Politik grundsätzlich mehr Sensibilität beim Einsortieren von Kultureinrichtungen gewünscht. Bei jeder Gelegenheit werden wir sonst als wesentlicher Teil der Bildungslandschaft gewürdigt, nur in Pandemiezeiten gehören wir zum Freizeitsektor. Niemand bei den Staatlichen Museen zu Berlin verweigert sich jetzt diesem solidarischen Akt. Ich sage aber auch ganz klar: Wir hätten in diesen Zeiten, wo den Menschen sehr viele Orte genommen werden, ein sicherer Ort für die Menschen sein können. Und wir hätten Angebote gemacht, die vielleicht in solch krisenhaften Zeiten dankbar angenommen worden wären.
Fühlen Sie sich ungleich behandelt, weil die Bibliotheken als bildungsrelevant gelten, Museen aber nicht? Ich spiele niemanden gegeneinander aus, sondern stelle nur fest, dass der Bildungsfaktor, der uns sonst zugewiesen wird, hier keine Rolle gespielt hat. Das finde ich bedauerlich.
Was bedeutet das denn jetzt für die Einnahmen der Staatlichen Museen zu Berlin? Das lässt sich noch nicht abschätzen, weil wir ja nicht wirklich wissen, wie lange die Schließung andauert. Generell lässt sich sagen, dass wir von Jahresbeginn bis zum ersten Lockdown am 13. März knapp 500.000 Besucherinnen und Besucher angezogen haben, und das ist einer Zeit, die ja gemeinhin als nicht gerade besucherstark gilt. Und wir hatten ab 12. Mai bis jetzt wieder über 500.000 Besucherinnen und Besucher. In den Sommermonaten Juli und August bis zum Beginn September haben wir sogar einen zaghaft anlaufenden Tourismus gespürt, der sich im Wesentlichen auf die Museumsinsel konzentriert hat. Das waren Touristen aus Deutschland, aber auch einige aus dem europäischen Ausland. Wir haben natürlich bei weitem nicht die Einnahmen, die wir gewohnt sind, aber wir kommen 2020 durch.
Sie finanzieren Ihre Ausstellungen maßgeblich durch die Einnahmen. In guten Jahren kommen bis zu 5,5 Millionen Euro davon in den Programmtopf. Was bedeuten die Ausfälle für das Ausstellungsprogramm im kommenden Jahr? Es wird ein hartes nächstes Jahr, das ist keine Frage. Wir versuchen, auch dank der Kompensationen des Bundes, ein attraktives, aber deutlich reduziertes Programm anzubieten. Unser Profil ist ja, dass wir große, publikumsstarke Ausstellungen auf der einen Seite, aber auch kleinere Schauen haben, die mit einzelnen Forschungsleistungen verbunden sind. Das wird auch 2021 so sein. Neben großen Ausstellungsprojekten von Beuys bis Picasso und von der Spätgotik bis zur Kunst des Irans steht das kommende Jahr vor allem im Zeichen von zwei Wiedereröffnungen: Im Sommer 2021 öffnet die Neue Nationalgalerie nach sechsjähriger Komplettsanierung wieder ihre Pforten – mit einer Einzelausstellung zu Alexander Calder und einer Sammlungspräsentation, die die schmerzlich vermissten Schätze des 20. Jahrhunderts endlich wieder unseren Besucherinnen und Besuchern zugänglich macht. Ab dem Spätsommer werden dann sukzessive auch die Sammlungspräsentationen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt Forum eröffnen und den universellen Charakter der 15 Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin nach langer Wartezeit wieder komplettieren.
Das Schicksal wollte es, dass Häuser der Staatlichen Museen zu Berlin, die kurz vor der Eröffnung standen, nun wieder geschlossen werden mussten. Das stimmt. Schloß Köpenick zum Beispiel, das zweite Haus des Kunstgewerbemuseums. Das Stammhaus am Kulturforum ist auch ein Hybrid. Es hatte bislang nicht geöffnet, aber wir haben uns für die Ausstellung „Atmoism – Gestaltete Atmosphären“, bei der der Designer Hermann August Weizenegger die Sammlung, die Präsentationsformen des Museums und die brutalistische Architektur von Rolf Gutbrod befragt hat, neue Publikumsformate überlegt. Es gab konzentrierte Führungen, die leider aber nur bedingt nachgefragt wurden. Was wir in diesen Zeiten merken: Wir wollen immer perfekt agieren brauchen jetzt aber auch den Mut zum Ausprobieren, auch wenn es mal nicht ganz so perfekt ist.
Es war ein schweres Jahr für die Staatlichen Museen zu Berlin. Erst die Kritik durch den Wissenschaftsrat, dann die Corona-Krise und zu allem Übel auch noch die Angriffe auf Objekte der Museumsinsel. Ist der stolze Museumsverbund ein totkranker Patient? Ganz sicher nicht. Es sind eigentlich auch unterschiedliche Herausforderungen, die alle miteinander zusammenhängen und die alle eine gewisse Dynamik entwickelt haben. Bei allen Strukturdebatten, bei allen Forderungen nach mehr Autonomie der Häuser, es geht um die Frage, wie uns der Spagat zwischen Tradition und Innovation gelingt. Der Auftrag, den man für uns festgeschrieben hat, und der schon mal knapp 200 Jahre gültig war, beinhaltet genau diese Frage. Alle Direktorinnen und Direktoren sehen genau in der Innovationsbereitschaft des Verbundes die größte Chance. Wir wollen das alle!
Dennoch hat dieser 3. Oktober, als die Museumsinsel Opfer eines vandalistischen Anschlags wurde, eine Wunde gerissen. Das ist keine Frage. Wir haben das aufzuarbeiten, wir befragen kritisch unser Sicherheitsmaßnahmen und werden natürlich optimieren. Wir erwarten aber auch ein gutes Nebeneinander aus Ermittlungsbehörden, Zuwendungsgebern und uns, um die Dinge zu verbessern. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht und wir werden auch nicht neben jedes Objekte eine Aufsicht stellen können, es braucht ein gutes Einvernehmen darüber, wie wir mit dem Weltkulturerbe umgehen und wie wir es schützen.
Apropos Konsens. Der Journalist Andreas Kilb schreibt in der F.A.Z, dass der Angriff auf die Museumsinsel ein Angriff auf die Museen schlechthin gewesen sei: „Die Grundlage dieser Fürsorge ist der allgemeine Konsens, dass die Museen etwas aufbewahren, das für die Menschheit als Ganzes wertvoll ist – ihr kulturelles Erbe, die Spur ihrer geschichtlichen Existenz, die Hinterlassenschaft all der Generationen, die seit dem Beginn der Menschwerdung den Ausdruck ihres Daseins in die Dinge eingeschrieben haben.“ Dieser Konsens sei brüchig geworden. Stimmt das? Ich glaube erstens, dass diese Sicht auf den Konsens ein sehr europäische oder westliche ist. Im übrigen sind auch die Angriffe auf Kunst und Kultur in Europas Geschichte immer präsent gewesen, und zwar deshalb, weil die Kunst eben auch für eine bestimmte Weltsicht steht. Wir wissen, dass dieser Konsens fragil ist, sich die Gesellschaft stetig verändert und die Welt schneller und globaler geworden ist. Museen sind Orte der Ruhe, der Relevanz und der Authentizität, natürlich. Aber wir müssen jedem Besucher erklären, was diese Objekte mit ihm zu tun haben. Dadurch können wir Wertschätzung erzielen für das, was wir bewahren.
Warum die Sammlungen auf der Museumsinsel angegriffen wurden, wissen wir immer noch nicht. Aber wie steht es denn um die Restaurierung der beschädigten Objekte? Ich habe gesagt, dass wir 70 Patienten und 70 Therapieansätze haben. Auch wenn wir mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen Erfolge haben, wissen wir noch nichts über die Langzeitfolgen. Generell lässt sich aber sagen: Wir haben Beschädigungen an den Objekten, aber keine Totalverluste. Und das ist doch eine gute Nachricht.
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