Coronakrise: „Mit einem einfachen ‚Türen auf‘ ist es nicht getan“
Lesezeit 9 Minuten
Seit dem 14. März sind alle Häuser der Staatlichen Museen zu
Berlin aufgrund der Coronakrise geschlossen – doch allerorts wird
derzeit über Lockerungen des Lockdowns diskutiert. Christina Haak,
Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin,
spricht im Interview über die Museen im Ausnahmezustand und Perspektiven
einer Wiedereröffnung der Häuser.
Interview: Sven Stienen
Das Coronavirus hält derzeit die Welt in Atem, auch Museen und Kultureinrichtungen sind geschlossen – Was bedeutet die aktuelle Situation für Sie als Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin? Wie sieht ihr Arbeitsalltag derzeit aus und was sind momentan die größten Herausforderungen? Christina Haak: Die größte Änderung ist, dass mein Arbeitsalltag gerade zu 95 Prozent von digitaler Kommunikation bestimmt ist, das heißt Video- oder Telefonkonferenzen. Wir mussten diese Art der Kommunikation in der aktuellen Dimension alle erst lernen, sie funktioniert ja ganz anders als das Zusammentreffen in einem Raum. Aber inzwischen geht das ganz gut und wir haben uns daran gewöhnt. Inhaltlich ist der Arbeitsalltag natürlich auch bei uns in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin massiv durch die Coronakrise geprägt. Wir sind hier verantwortlich für die übergeordneten Querschnittsaufgaben, wie Haushalt, Personal, Ausstellungsplanung und Öffentlichkeitsarbeit, und diese Bereiche mussten wir in den letzten Wochen fortlaufend der neuen Situation anpassen.
Die Staatlichen Museen zu Berlin haben mehr als 800 Mitarbeiter*innen, was machen diese ganzen Menschen nun? Seit der Schließung der Museen Mitte März habe ich immer wieder
festgestellt, dass viele Menschen offenbar glauben, dass wir nichts zu
tun hätten, wenn die Häuser geschlossen sind. Das stimmt natürlich
nicht. Einerseits haben wir viele Prozesse, die eigentlich extrem
routiniert und selbstverständlich laufen, und die an diese völlig neue
Situation angepasst werden müssen; andererseits müssen wir einen
Notbetrieb der Museen gewährleisten. In allen Museen arbeiten wir
derzeit mit einer Notbesetzung, um die wesentlichen und notwendigen
Funktionen abzudecken. In der Regel sind die Direktorinnen und
Direktoren oder deren Stellvertreter anwesend, außerdem ist in jedem
Haus ein Kurator und ein Restaurator anwesend. Gemeinsam mit unserem
technischen Dienst müssen diese Kolleginnen und Kollegen sowohl unsere
Häuser als auch unsere Objekte durchgehend kontrollieren. So gibt es
beispielsweise regelmäßige Rundgänge durch Museen, Büros und Depots, um
mögliche Gefahren für die Gebäude und Objekte sofort erkennen und
abwenden zu können. Und die Kolleginnen und Kollegen im Home Office,
das betrifft den Großteil der Wissenschaftler und Kuratoren, führen
nach Möglichkeit die Planungen ihrer jeweiligen Projekte virtuell
weiter. Viele unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen
sogar, dass sie durch diese Zwangspause vom Alltag endlich Zeit und Ruhe
haben, sich intensiv ihren Forschungen zu widmen. Auf der anderen
Seite gibt es einige Arbeitsbereiche, die momentan sogar besonders viel
zu tun haben. Unsere Kolleginnen und Kollegen von den Besucherdiensten
müssen sich zum Beispiel darum kümmern, die fast 2700 Veranstaltungen,
die wir bis Juni bei den Staatlichen Museen zu Berlin durchgeführt
hätten, abzusagen und Buchungen zu stornieren. Das Team der
Öffentlichkeitsarbeit hat mit der digitalen Kommunikation unserer
Angebote ebenfalls sehr viel zu tun und auch die Bauplanung läuft bei
uns trotz Corona weiter.
Fast alle Kultureinrichtungen
setzen derzeit auf eine verstärkte Online-Präsenz, um den Menschen auch
von zuhause den Zugang zu ihren Angeboten zu ermöglichen. Wie machen die
Staatlichen Museen zu Berlin ihre Sammlungen online erlebbar? Unser digitales Angebot war schon vor der Coronakrise relativ breit
aufgestellt. Zunächst haben wir unsere vielfältigen Angebote sichtbarer
und verfügbarer gemacht, indem wir sie prominent auf unserer Webseite nach vorne gestellt haben. Und die Angebote selbst werden gerade stetig
erweitert. Wir haben zum Beispiel schon ja seit Längerem unseren Museumsblog,
in dem wir Blicke hinter die Kulissen gewähren und in dem nun unsere
Kuratorinnen und Kuratoren von zuhause aus von ihren Projekten
berichten. Auf den Social-Media-Plattformen Facebook und Instagram sind
wir ebenfalls schon lange vertreten und suchen mit spannenden und
kurzweiligen Inhalten den Austausch mit unseren Besucherinnen und
Besuchern. Auf unserem Youtube-Kanal kann ich aktuell unsere Reihe „Allein im Museum“ empfehlen, für die wir
unsere Direktorinnen und Direktoren nicht lange bitten mussten, uns von
der Kamera begleitet durch ihre geschlossenen Sammlungen zu führen. Für das Bode-Museum gibt es bereits einen virtuellen Rundgang und auch für die Gemäldegalerie denken wir über so ein Angebot nach.
Darüber hinaus finden sich auf unserer Rechercheplattform „smb digital“ Digitalisate von knapp 250.000 Objekten – und bei Google Arts & Culture präsentieren wir zehn Sammlungen mit 40 Ausstellungen und etwa 5.000 Objekten. Ausstellungen, die eigentlich bereits fertig entwickelt waren, bevor wir schließen mussten, machen wir online verfügbar und bieten die Kataloge teilweise zum Gratis-Download als PDF an. Auch experimentieren wir mit neuen Medien und Formaten: Wir bringen Objekte zum Sprechen und haben eine Spotify-Playlist mit Musik der legendären Jazz-Konzerte in der Neuen Nationalgalerie angelegt.
Wie werden diese vielen Angebote bislang angenommen? Die Menschen nehmen unsere Angebote sehr aktiv war. Die
Interaktionsraten in den sozialen Medien sind messbar gestiegen, der
Katalog zur Ausstellung „Raffael in Berlin“ wurde bereits 2000 Mal
heruntergeladen und eine virtuelle Tour zur berühmten Mschatta-Fassade
mit Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst, hat
fast 10.000 menschen erreicht. Das ist ein toller Zuspruch, der uns
zeigt, dass sich der Einsatz der Kolleginnen und Kollegen lohnt.
In
Deutschland diskutiert wird über eine Lockerung der Maßnahmen
diskutiert. Gibt es schon eine Einschätzung, wann die Museen wieder
öffnen werden? Es ist zunächst wichtig festzuhalten, dass
der Entscheidungsrahmen für eine Wiedereröffnung der Museen nicht bei
uns liegt, sondern beim Land Berlin. Demnach dürfen wir ab dem 4. Mai
2020 wieder an den Start gehen, wenn wir die entsprechenden
Rahmenbedingungen, wie Mindestabstand und Hygiene einhalten können. Das
bedeutet also nicht, dass dieses Datum jetzt feststeht – es geht eher um
einen Zielkorridor, der uns einen ungefähren, realistischen Zeitrahmen
gibt.
Wird es eine komplette Wiedereröffnung der Museen geben oder rechnen Sie eher mit einer schrittweisen Rückkehr in den Alltag? Wir gehen von einer schrittweisen Eröffnung einzelner und ausgewählter
Gebäude aus. Wir brauchen ja auch eine gewisse Vorlaufzeit. Mit einem
bloßen „Tür auf!“ ist es nicht getan. Wir müssen z.B. für den Schutz der
Besucherinnen und Besucher sowie unserer Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter Vorkehrungen treffen. Das beinhaltet einige praktische
Herausforderungen: Plexiglas, das für den Bau von Schutzvorrichtungen
benötigt wird, ist inzwischen das neue Toilettenpapier, denn es ist
schwer bis gar nicht zu bekommen! Wir müssen aber z.B. auch unseren
Dienstleistern Zeit geben, um ihren Service zu reaktivieren und etwa
Reinigungskräfte und Aufsichten aufzustellen. Und zu guter Letzt braucht
es auch ein Konzept, um Regelungen und Schutzmaßnahmen vor Ort in den
Häusern effektiv zu kommunizieren, um das Risiko für alle so gering wie
möglich zu halten. All das muss gut vorbereitet werden und braucht Zeit.
Wie sind Ihre Erwartungen in Bezug auf die Wiedereröffnung der Museen? Wir müssen uns fragen: Wer wird kommen? Wir wissen alle, dass es keine
Touristen sein werden, wenn wir wieder starten. Da der Tourismus aber in
Berlin ein sehr entscheidender Faktor ist – auf der Museumsinsel machen
Touristen im Normalbetrieb 70 bis 80 Prozent der Besuchszahlen aus –
müssen wir von deutlich weniger Besucherinnen und Besuchern ausgehen. Es
werden die Berlinerinnen und Berliner sein, die im ersten Schritt
kommen werden, und auch hier überlegen wir, wie wir diese Menschen
ansprechen und sie für das vermeintlich Bekannte gewinnen können. Trotz der hoffnungsvollen Aussicht auf eine baldige Wiedereröffnung gibt
es einen großen Wermutstropfen: den der Finanzierung. Ein offenes
Museum kostet mehr als ein geschlossenes, egal, ob darin fünf, 50 oder
500 Besucher sind. Wir werden also definitiv deutlich weniger Einnahmen
erwirtschaften. Nach ersten Hochrechnungen gehen wir bei den Staatlichen
Museen zu Berlin von Mindereinnahmen von bis zu zwei Millionen Euro pro
Schließungsmonat aus. Aus diesem Geld, das nun fehlt, kommt in
normalen Zeiten unser Budget für Ausstellungen, Veranstaltungen und
Projekte. Das hat zur Folge, dass wir bei einer Wiedereröffnung, ob
schrittweise oder komplett, auf jeden Fall sehr eng kalkulieren müssen.
Wie bereiten Sie und Ihre Kolleg*innen in den Sammlungen sich auf die Wiedereröffnung vor? Wir sind durch die Schließung derzeit eines wesentlichen Teils unserer
Arbeit beraubt: Wir können unsere Sammlungen nicht mehr physisch
präsentieren und vermitteln. Für dieses Jahr waren knapp 60
Ausstellungen in Planung. Wir überlegen jetzt, welche davon wir trotz
Coronakrise in diesem Jahr realisieren können und wie wir das angehen.
Bislang mussten wir keine große Ausstellung absagen. Im Sinne unserer
Besucherinnen und Besucher wägen wir aber ab, Ausstellungen erst später
zu eröffnen, Laufzeiten zu verkürzen oder Laufzeiten zu verschieben. Bei
diesen Überlegungen spielen natürlich viele Faktoren mit, vor allem die
der Finanzierung und der Leihgaben.
Die Krise löst Ängste und Sorgen aus, aber viele Menschen nutzen den erzwungenen Stopp auch, um lang geplante Projekte anzugehen oder Prioritäten neu zu sortieren. Welche Chancen sehen Sie für die Museen? Die aktuelle Situation macht sehr deutlich, dass Kultur und Museen nicht „nur“ Unterhaltung sind, sondern zur Grundversorgung unseres Landes gehören. Ich denke, damit spreche ich auch für unsere Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Republik. Die Reaktionen auf unsere Schließung zeigen das sehr deutlich und sie sollten uns ein entsprechendes Selbstbewusstsein für die Zukunft geben. Außerdem habe ich die Hoffnung, dass die aktuellen Erfahrungen der Digitalität von Museen einen großen Schub geben könnten. Ich meine damit nicht die Digitalisierung der Inhalte, die bereits geschieht und eine Voraussetzung ist, sondern das Vorhandensein und Handeln der Museen im digitalen Raum. Dort gibt es noch viel zu tun und die Notwendigkeit ist uns dieser Tage radikal vor Augen geführt worden. Es wird gerade auch sehr deutlich, dass das kein temporäres Projekt ist, das „nebenbei“ laufen kann, sondern eine Daueraufgabe innerhalb der Museen, die in Zukunft verstetigt werden muss und definitiv mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung benötigt.
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