Der Bauhäusler im U-Boot: Sabine Thümmler im Interview
Lesezeit 9 Minuten
Die Kunsthistorikerin Sabine Thümmler war seit 2010 Direktorin am Kunstgewerbemuseum. Wir trafen sie in ihrer letzten Arbeitswoche vor dem Ruhestand und sprachen mit ihr über die aktuelle Ausstellung zum Bauhäusler Erich Dieckmann, über die Sanierung des Hauses 2014 und Zukunftspläne.
Interview: Sven Stienen
Aktuell läuft im Kunstgewerbemuseum eine Ausstellung zu dem Möbeldesigner und ehemaligen Bauhäusler Erich Dieckmann. Können Sie uns etwas zu der Schau erzählen?
Sabine Thümmler: Diese Ausstellung ist ein besonderes Projekt für mich, welches ich gemeinsam mit Manon Bursian und Ingolf Kern entwickelt habe. Außerdem ist es ein wunderbare Kooperation mit der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Das Thema fällt genau in meine favorisierte Epoche und mich interessieren oft die Menschen, die nicht die großen Heroen geworden sind und eher in der zweiten Reihe stehen. Ich glaube das sind oft die ehrlicheren Menschen. Erich Dieckmann war ein begnadeter Möbelmacher, der den Typenstuhl entwickelte und sich mit menschlichen Maßen auseinandersetzte. Er gestaltete Stühle, in denen man wirklich gut sitzen kann. Das kann man in der Ausstellung bei uns auch selbst ausprobieren, wir haben Nachbauten, die benutzbar sind.
Wie kam es zu der Idee dieser Ausstellung?
Wir haben den Nachlass Dieckmanns hier bei uns in den Museen. Die Kunstbibliothek hat über 1500 Grafiken und wir im Kunstgewerbemuseum haben Möbel aus seinem Haushalt. Darüber hinaus haben wir Designobjekte wie Töpferwaren und mehr von Dieckmanns Bauhaus-Mitstreitern wie Otto Lindig und Theo Bogler, die er nach Berlin mitbrachte. Denn Dieckmann hatte seine Ausbildung am Bauhaus begonnen, er war der große Konkurrent von Marcel Breuer, und hatte dort eine andere Linie als dieser verfolgt. Dieckmann hat sich mehr mit Holz beschäftigt und viel darüber nachgedacht, wie man mit minimalem Wohnen gute Objekte für Jedermann herstellen konnte, die nachhaltig und langlebig waren.
Dieckmann hat also eher mit Holz gearbeitet, während Marcel Breuer für seine ikonischen Sitzmöbel Stahl bevorzugte?
Ja, später. Aber am Haus am Horn, dem ersten und größten Ausstellungsprojekt des Bauhauses in Weimar, haben beide noch mit Holz gearbeitet. Der Initiator des Bauhauses, Walter Gropius, hatte damals überlegt, wen der beiden er zum Leiter der Möbelwerkstatt machen sollte. Breuer hat kurz darauf angefangen, mit Stahl zu experimentieren und als das Bauhaus nach Dessau umzog, ging er mit und wurde dort dann Werkstattleiter. Dieckmann blieb in Weimar und wurde an der Staatlichen Bauhochschule Weimar unter dem Architekten Otto Bartning Leiter der Tischlerei. Er ist also auch einer der großen Innovatoren dieser Zeit, auch wenn er nicht zu den großen Namen des Bauhauses gehört, und das sieht man in unserer Ausstellung sehr schön.
Aber das ist auch ein ganz spannender Aspekt dieser Ära in den 1920er und 1930er Jahren: Es gab ja nicht nur das Bauhaus, sondern zahlreiche weitere Institutionen und Stilrichtungen wie den Deutschen Werkbund oder die Strömung des Art Deco und all diese Strömungen und Stile existieren nebeneinander und beeinflussen sich auch gegenseitig. Wir haben dazu vieles in unserer Sammlung und haben für die Ausstellung tolle Objekte aus den Depots geholt.
Dieckmann selbst ging dann nach seiner Weimarer Zeit an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, doch als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde er dort geschasst und arbeitete zuletzt bei dem Amt Schönheit der Arbeit und der Reichskammer für Bildende Künste, bevor er 1944 starb.
Er wurde von den Nazis aus der Kunstgewerbeschule gedrängt, arbeitete dann aber selbst für die Reichskammer? Wie kam es denn dazu?
Die Kunst- und Gewerbehochschulen wie das Bauhaus und die Burg Giebichenstein wurden von den Nazis systematisch „gesäubert“, das heißt man entledigte sich jeglicher unerwünschter Leute – und Dieckmann war als Bauhäusler ebenfalls unerwünscht. Dieckmann war danach arbeitslos und es gelang ihm nicht, erneut Fuß zu fassen. Die Familie hatte von 1933 bis 1936 existentielle Schwierigkeiten, sie verloren zwischenzeitlich sogar die Wohnung und waren getrennt untergebracht. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Dieckmanns sogar persönlich an hochrangige Nazis und baten um eine Anstellung für Erich. Schließlich gelang es ihm, wohl aufgrund von Beziehungen, eine Anstellung zu bekommen. Dieckmann starb bereits 1944, mit 48 Jahren, während eines Bombenangriffs an einem Herzinfarkt.
Dieckmanns Leben und Schicksal werfen ein Licht auf die schwierige Zeit, die viele Kreative durchmachten …
Ihm wurde wirklich übel mitgespielt, aber es stimmt, dass sein Lebenslauf viele Parallelen zu anderen Künstler:innen und Gestalter:innen aufweist. Er kam kriegsversehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und war dann als Designer mitten in all den aufregenden Strömungen dieser Umbruchszeit: Bauhaus, Expressionismus und so weiter. Und wir zeigen diese Verbindungen in der Ausstellung auch. Da gibt es zahlreiche kunstgewerbliche Objekte aus Dieckmanns Nachlass, wie zum Beispiel eine ganz frühe Wagenfeld-Lampe, aber auch Alltagsgegenstände wie den berühmten Volksempfänger, das Standard-Radiogerät der Zeit, das die Nazis für ihre Propaganda nutzen. Der wurde von Walter Maria Kersting entworfen, der dann später aber auch in Ungnade fiel und abserviert wurde. Man kann also in der Ausstellung und im dazugehörigen Katalog ganz viele Lebensläufe sehen und nachvollziehen, wie die Leute durch diese schwierige Zeit gekommen sind.
Ist dieser historische Einblick in die Geschichte des Bauhauses in der NS-Zeit der zentrale Schwerpunkt der Ausstellung?
Es ist ein großer Teil der Ausstellung. Mich interessiert immer auch das Zeitgeschehen: Was ist passiert, wie haben die Zeitgenoss:innen das erlebt und wie haben sie sich gefühlt? All das wirkt sich ja auf die Gestaltung aus und es gibt immer einen Grund, warum sich ein Stil in eine bestimmte Richtung entwickelt.
Aber wir stellen auch den Bezug zum Heute her, denn wir haben ein Projekt mit den Studierenden der Burg Giebichenstein gemacht, in dem sie sich mit Dieckmann auseinandersetzen. Die Studierenden waren natürlich zunächst entsetzt über Dieckmanns Verquickung in NS-Strukturen. Doch die Gruppe spaltete sich schnell auf in diejenigen, die das verurteilten und diejenigen, die danach fragten, was er in der Zeit den tatsächlich für Entwürfe gemacht hat. Jedenfalls sind dabei spannende, auch praktische Annäherrungen herausgekommen, die man in der Ausstellung sehen und auch ausprobieren kann.
Gibt es für Sie ein persönliches Highlight in der Ausstellung?
Dieckmann hat ja auch Stahlrohr- und Korbmöbel gemacht und mein Lieblingsobjekt in der Ausstellung ist einer seiner Stahlrohrsessel. Es ist ein sehr gemütlicher Lounge-Sessel und das bemerkenswerte daran ist, dass er die Form der 1960er und 70er Jahre vorwegnimmt. Denn die Stühle dieser Zeit waren eigentlich wesentlich höher als die späteren Möbel, aber dieser eine Stuhl von Dieckmann ist ganz niedrig und dadurch wirkt er so lässig und lädt ein, sich hinein zu fläzen.
Die Dieckmann-Schau ist Ihre letzte Ausstellung vor dem Ruhestand diesen Sommer. Welches ist die einprägsamste Erinnerung, die Sie mit Ihrer Zeit im Kunstgewerbemuseum verbinden?
Das größte Highlight für mich war auf jeden Fall die große Wiedereröffnung nach der umfassenden Sanierung des Hauses im Jahr 2014. Das war ein großartiges Projekt – die Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro Kuehn Malvezzi war sehr toll und auch das Haus einmal ganz leer zusehen und seinen Charakter so deutlich zu spüren, war bemerkenswert. Das Haus kam wie ein U-Boot ganz langsam an die Oberfläche und man konnte die Qualität dieser Architektur einmal richtig wahrnehmen und wertschätzen. Der Entwurf von Rolf Gutbrod stammte aus den 1960er Jahren und wurde in den 1980er Jahren überarbeitet und realisiert. Er wird meines Erachtens aufgrund seiner brutalistischen Architektur oft unterschätzt. Ich denke, die Sanierung hat gezeigt, dass mehr in dem Haus steckt. Es war etwas schade, dass wir nicht das ganze Haus modernisieren konnten. Wir versuchen seitdem Raum für Raum zu erneuern. Der seit langem genehmigte der Teil mit der Mittelalter-Sammlung wartet noch auf seinen Umbau. Da steckt noch viel Potential, das in Zukunft ausgeschöpft werden kann.
Was würden Sie sich für die Zukunft des Kunstgewerbemuseums wünschen?
Die Vollendung der Instandsetzung wäre mein größter Wunsch für das Haus. Vor allem auch, dass die Innenhöfe gemacht werden, damit man auch die Nähe zur Natur, die bei der Planung des Hauses ein ganz wichtiger Bestandteil des Konzeptes war, wieder spürt. Denn das Gebäude ist ein sehr intelligenter Bau, im Gegensatz zu vielen anderen neuen Museumsbauten. Nach außen wirkt das Haus abgeschottet, hat etwas bunkerhaftes, aber die Innenhöfe haben eigentlich die Funktion, behutsam Licht ins Haus zu lassen ohne die große UV-Belastung, die den Objekten schadet.
Gibt es eine konkrete Hoffnung, dass die Sanierung eines Tages vollendet wird?
Ich kann mir vorstellen, dass es in der mittleren Zukunft eine Generalsanierung des Hauses geben wird und es dann vollkommen erstrahlt.
Nun gehen Sie in den Ruhestand – werden sie nochmal hier im Museum vorbeikommen?
Unbedingt! Endlich kann ich mir dann die Objekte im Haus mal in Ruhe ansehen. Als Direktorin hatte ich hier immer viele Sorgen gleichzeitig: Stimmt das Licht? Sind die Objekte richtig präsentiert? Wann ist der nächste Termin? Ich hatte nie die Ruhe, die Objekte zu genießen. Jetzt freue ich mich, durch das Haus zu gehen und die Dinge neu zu entdecken.
Werden Sie im Ruhestand weiter an Forschungsinhalten arbeiten?
Ich plane gerade ein Buch. Ich bin eine der wenigen Spezialistinnen für historische Tapeten und in den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin schlummern da noch einige Schätze. Wir haben hier im Kunstgewerbemuseum eine Sammlung von Goldledertapeten aus der Renaissance und dem Barock, einige Textiltapeten und Papiertapeten aus den 18. / 19. Jahrhundert! Aber auch in der Sammlung des Kupferstichkabinetts habe ich bereits welche entdeckt, ebenso in der Kunstbibliothek, und das MEK hat Musterbücher historischer Tapeten. Ich möchte diesen Bestand aufnehmen und eine Tapetengeschichte anhand der Berliner Museen schreiben
Das klingt sehr spannend. Werden wir am Ende dann auch eine Ausstellung dazu sehen, mit Ihnen als Gastkuratorin?
Das ist eine gute Idee! Bisher habe ich zunächst den Antrag für die Publikation gestellt, aber es wäre natürlich ganz toll, die Ergebnisse in einer Ausstellung zu präsentieren. Wir werden sehen, erstmal muss ich das Buch ja schreiben.
Als das Berliner Kunstgewerbemuseum vor 150 Jahren gegründet wurde, war es auch eine Geschmacksbildungsanstalt. Heute weiß Direktorin Sabine Thümmler, dass… weiterlesen
150 Jahre, auch gemeinsame: Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum feiern. Die Direktoren Sabine Thümmler und Joachim Brand über deutschen Ungeschmack, große Erwerbungsgeschichten… weiterlesen
Eigentlich hatte sich Julius Lessing der Klassischen Archäologie verschrieben, doch es sollte anders kommen. Mit der Gründung des Kunstgewerbemuseums 1867… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare