„Der nackte Kutscher da oben“ – Die Quadriga des Brandenburger Tors
Heute vor 225 Jahren wurde die berühmte Quadriga auf dem Brandenburger Tor eingeweiht. Seither wurde sie zum Spielball einer sehr bewegten Geschichte.
Text: Karolin Korthase
Die Berliner sind für ihr loses Mundwerk und ihre teils derben Sprüche bekannt. Auch eines der wohl berühmtesten Wahrzeichen der Stadt – die Quadriga auf dem Brandenburger Tor – wurde im Laufe ihrer 225-jährigen Geschichte von den Hauptstädtern nicht nur heiß geliebt, sondern im gleichen Maße auch kaltschnäuzig verspottet.
Vogelscheuche mit Laterne
Als der Bildhauer Johann Gottfried Schadow der Öffentlichkeit im Jahre 1790 ein erstes Modell des Pferdegespanns samt amazonenhafter Friedensgöttin Eirene präsentierte, ließ der Hohn nicht lange auf sich warten. Die Proportionen seien misslungen, motzten die Berliner damals und bezeichneten die Lenkerin als „einzige Berlinerin ohne ein Verhältnis“. So beschreibt es die Kulturhistorikerin Barbara Demandt in ihrem Text „Metamorphosen eines Tores“. Auch nachdem Nachbesserungen vorgenommen und die Figurengruppe von zwei Kupferschmieden in Potsdam in Form gebracht und endlich, im Sommer 1793, auf dem Brandenburger Tor installiert werden konnte, wollten die kritischen Stimmen nicht verstummen.
Stein des Anstoßes war diesmal die dürftige Bekleidung der Göttin. Schadow hatte ihren Körper nur mit einem Chiton, einem im antiken Griechenland üblichen Unterkleid, umhüllt. Das leichte Gewand passte zwar zur luftigen Höhe in der die Quadriga stand, nicht aber zum Anstandsempfinden vieler Berliner Bürger. Und auch eine Trophäe, die die Lenkerin in der Hand hielt, erntete Spott. Sie würde wie ein überdimensionaler Marienkäfer aussehen, meinten manche, andere erkannten eine Vogelscheuche oder eine Laterne, beschreibt Demandt. In Folge der vernichtenden Kritik musste Schadow ein neues Modell entwerfen, das dann ab Januar 1795 das Brandenburger Tor krönte. Die Göttin präsentierte sich nun züchtiger, mit einem bodenlangen Gewand. Als Siegestrophäe hatte man sich auf eine Lanze mit Lorbeerkranz und einen Adler geeinigt. Als die Quadriga zum zweiten Mal auf das Tor gehievt wurde, hätte man denken können, es sei nun für immer oder zumindest für so lange, wie der Kupfer den Witterungsbedingungen standhielt – aber es sollte anders kommen.
Ausflug nach Paris
1806 besetzte Napoleon nach der gewonnenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt die preußische Hauptstadt und demonstrierte seinen Machtwillen am Brandenburger Tor. Die Quadriga sollte fortan nicht mehr in Berlin, sondern in Paris stehen und musste abgebaut werden. Mit der Zerlegung beauftragte man den Potsdamer Kupferschmied Jury, der einst die Pferde des Gespanns aus Kupfer gefertigt hatte. In zwölf Kisten verpackt erreichte die stark beschädigte Raubbeute im Mai 1807 Paris. Aber auch dort sollte die Quadriga nicht lange bleiben. Nach der Niederlage Napoleons 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig und seinem Rückzug nach Elba gingen preußische Gesandte auf die Suche nach den Schätzen, die der französische Kaiser einst bei seinen Feldzügen erbeutet hatte. Die Quadriga wurde in den Tuileries, einem Pariser Stadtschloss, entdeckt und 1814 in einem aufwändigen wochenlangen Transport, den die Berliner als „Retourkutsche“ bezeichneten, zurück nach Berlin gebracht. Einzig der Lorbeerkranz samt Adler und Lanze blieb unauffindbar.
Im Jagdschloss Grunewald mussten zunächst umfangreiche Restaurationen an dem Figurenensemble durchgeführt werden. Mit der Neugestaltung der Siegestrophäe wurde der Baumeister und Architekt Karl Friedrich Schinkel beauftragt. Preußischer sollte es auf Wunsch des damaligen Königs Friedrich Wilhelm III. werden. Statt eines Lorbeerkranzes trug die Wagenlenkerin fortan einen etwas größeren Eichenkranz in der Hand, auf dem der preußische Adler seine Schwingen ausbreitet. In die Mitte des Kranzes setzte Schinkel das von ihm entworfene Eiserne Kreuz. Unter großer öffentlicher Anteilnahme wurde die zurückgeholte Quadriga samt ihrer neuen Siegestrophäen am 9. August 1814 vor den Augen des aus Frankreich heimgekehrten preußischen Königs enthüllt. Aus der Friedensgöttin Eirene war die Siegesgöttin Victoria geworden.
Vom Siegestor zur Kriegsruine
Die Geschichte des Brandenburger Tores als Siegestor währte von da an ein Jahrhundert lang. Nach den siegreichen Einigungskriegen zwischen 1864 und 1871 zogen die preußischen Truppen jubelnd durch das Tor am Pariser Platz, das, zusammen mit der weithin sichtbaren Quadriga, inzwischen eines der wichtigsten Symbole Preußens war. Ein jähe und dramatische Wendung der Geschichte sollte das 20. Jahrhundert mit sich bringen. Während der Weimarer Republik wurden am Fuße des Tores erbitterte Parteienkämpfe ausgefochten, infolge derer die Quadriga erhebliche Schäden durch Gewehrkugeln erlitt. Ab 1933 nutzte Adolf Hitler das Tor als Kulisse für seine aufwändigen faschistischen Inszenierungen und Aufmärsche. In den letzten Tagen des Zweites Weltkrieges wurde das Brandenburger Tor samt Quadriga schließlich von den Alliierten gezielt beschossen und zu weiten Teilen zerstört. Die Victoria und ihre Siegesinsignien waren komplett weggeschmolzen, der Wagen und zwei Pferde in Kleinteile zerfetzt. Barbara Demandt schreibt: „Wie ganz Deutschland so lag auch das Tor in Trümmern.“
Was von der Quadriga noch übrig geblieben war, wurde 1950 von einigen Anhängern der kommunistischen FDJ auf den Pariser Platz hinunter geworfen. Schadows Figurengruppe war, abgesehen von einem Pferdekopf der heute im Märkischen Museum lagert, komplett schrottreif. Das Brandenburger Tor stand nun zum wiederholten Male in seiner Geschichte nackt da und war zudem schwer kriegsversehrt. Nachdem zwischenzeitlich ein Komplettabriss in Erwägung gezogen war, konnte sich 1956 der Ostberliner Magistrat dazu durchringen, einen Wiederaufbau der Quadriga und des Tores zu genehmigen.
Wiederherstellung im Kalten Krieg
Dass die Wiederherstellung der Quadriga in den kommenden Jahren überhaupt weitestgehend originalgetreu geschehen konnte, ist einer Schutzabformung zu verdanken, die die Berliner Gipsformerei 1942 von den Pferden und der Siegesgöttin gemacht hatte. Aus Zeitgründen hatte man damals allerdings den Streitwagen und die Standarte nicht abgeformt. 1957 wurden die neuen Bronzemodelle gefertigt, 1958 waren sowohl das Brandenburger Tor als auch die Quadriga wieder hergestellt. Rund 2 Millionen Mark hatte die Restaurierung insgesamt gekostet.
Man hätte nun hoffen können, dass die Figurengruppe wieder ihrer einstigen Bestimmung als Friedenssymbol, als das sie Schadow wohl mit der Friedensgöttin Eirene konzipiert hatte, gerecht werden würden. Die folgenden Jahrzehnte, in denen der Kalte Krieg erbittert ausgefochten wurde, bewiesen das Gegenteil. Erst seit 1989, in der Zeit also, in der das Brandenburger Tor zum Symbol der Einheit avancierte, erstrahlte das Monument wieder in friedlichem Glanz.
Wer heute auf dem Pariser Platz steht und seinen Kopf nach oben reckt, um den Wagen samt Lenkerin anzuschauen, mag an die Worte von Heinrich Heine denken, die er 1822 niederschrieb: „Die gute Frau hat auch ihre Schicksale gehabt; man sieht’s ihr nicht an, der mutigen Wagenlenkerin.“
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