„Der Westen war nicht würdig, solche Kunstwerke zu haben“ – Provenienzforschung an Ostasiatika

Bei euro-amerikanischer Kunst konzentriert sich Herkunftsforschung meist auf NS-Kunstraub. Christine Howald, Wissenschaftlerin an der TU Berlin, und Alexander Hofmann vom Museum für Asiatische Kunst leiteten nun den ersten Provenienz-Workshop zu ostasiatischer Kunst.

Interview: Birgit Jöbstl

Ihr Workshop stellte eine erste Bestandsaufnahme zur Provenienzforschung zu Ostasiatika dar. Erstmals trafen sich mit dem Thema befasste Personen aus dem deutschsprachigen Raum. Wie ist Ihr Fazit?
Alexander Hofmann: Unser Ziel war es, Kuratoren und Wissenschaftler, die sich für das Thema interessieren, zusammenzubringen, damit sie tiefer einsteigen können. Vernetzung und Nachdenken über Methodik, potenzielle Tools, Arbeitswerkzeuge, Datenbanken, Strukturen schaffen – das war das Anliegen des Workshops.
Christine Howald: Und es hätte besser nicht laufen können. Es kamen Kollegen und Kolleginnen aus Museen, Universitäten, dem Kunsthandel und viele Studierende und Interessierte aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz – und sogar aus Ungarn, Tschechien, Großbritannien und Frankreich. Das Interesse war so groß, dass wir sogar am Ende einige Anmeldungen nicht mehr annehmen konnten. Es zeigte sich mal wieder, wie wichtig die persönliche Begegnung gerade auch für die Rekonstruktion einzelner Objektbiographien ist. Im direkten Austausch konnten schon konkrete Fälle aus Museen gelöst werden. Aber vor allem die Kontextualisierung dieser Objektbiographien ist wichtig und bedarf einer Basisforschung, die allen Kollegen und Kolleginnen, aber auch dem breiten Publikum zugänglich gemacht werden muss – am besten in digitaler Form. Der Bedarf nach einer solchen Grundlagenforschung und auch nach der Digitalisierung von wichtigem Quellenmaterial wurde während des Workshops offensichtlich. Außerdem wurde von allen Seiten der Wunsch formuliert, sich nachhaltig zu vernetzen. Neben den Vorträgen haben wir in Gruppen dazu konkrete Ideen gesammelt, die wir jetzt umsetzen werden.

Frau Howald, Sie hatten zu Beginn Ihres wissenschaftlichen Projektes den Kontakt zum Museum aufgenommen. Worum genau geht es da?
Christine Howald: Das ist ein umfassendes Forschungsprojekt zum westlichen Kunstmarkt für ostasiatische Kunst. Um den zu erschließen, braucht man natürlich Archivmaterial und muss auch an Objekten forschen, und da war ganz klar, dass ich an die Tür des Museums für Asiatische Kunst klopfe – einem Haus mit prominenter Geschichte auf dem Gebiet des ostasiatischen Sammlertums in Deutschland. Es hat sich gezeigt, dass es viele gemeinsame Interessen gibt.

Christine Howald © Phil Dera
Christine Howald © Phil Dera

Wie ist Ihr Interesse, Herr Hofmann?
Alexander Hofmann: Bei uns im Museum ist dieser ganze Komplex Provenienz natürlich etwas, was es als sammlungsgeschichtliches Interesse immer schon gab. Mit der starken Politisierung vor dem Hintergrund des Humboldt Forums ist es aber doch eine Fragestellung, die erst in den letzten paar Jahren stärker ins Bewusstsein gerückt ist. Mich beschäftigt zum Beispiel unsere große Holzschnittsammlung, die eine komplizierte Provenienz hat. Das Museum für Asiatische Kunst ist ja seit 1. Januar 2017 für die Öffentlichkeit geschlossen und wir bereiten den Umzug ins Humboldt Forum vor. Für diese Zeit habe ich seit langem geplant, diese Holzschnittsammlung einschließlich ihrer Provenienzen aufzuarbeiten. Weil ich aber, wie die meisten Kunstwissenschaftler, die allgemeinere Fragen zu ihrem jeweiligen Thema studiert haben, vergleichsweise wenig Erfahrung mit Provenienzforschung habe, wollte ich mich mit denjenigen vernetzen, die hier eine Expertise besitzen.

Gibt es denn bereits viele spezialisierte Provenienzforscher zu Ostasiatika?
Christine Howald: Es gibt die Leute, die im Kunsthandel arbeiten …
Alexander Hofmann: … und auch Personen, die zu einzelnen Händlern forschen, aber nicht als Provenienzforscher. Und das ist die zweite Sache: die Methodik. Es gibt eine entwickelte Methodik für die Provenienzforschung zu euro-amerikanischer Kunst, wobei die Frage nach NS-verfolgungsbedingtem Entzug im Mittelpunkt steht. Wir hingegen müssen auch die kolonialen Kontexte im Blick haben, und natürlich auch die Frage der regionalen Märkte berücksichtigen – das ist wirklich ein schwieriges Kapitel. Und um darüber einigermaßen forschen zu können, braucht es natürlich auch Sprachkenntnisse, die die meisten derzeit aktiven Provenienzforscher gar nicht mitbringen.

Wieso hat man sich früher nicht so intensiv damit beschäftigt? Gab es in diesem Bereich keine Anfragen?
Alexander Hofmann: Restitutionsanfragen betreffen bisher tatsächlich nicht so sehr Asiatika.
Christine Howald: China nimmt seit 2009 aktiv mit einer Expertenkommission Objekte aus der Plünderung des Sommerpalastes und dem Boxeraufstand in internationalen Museen auf, hat aber bisher keine Rückgabeforderungen gestellt. Die chinesische Regierung investiert aber derzeit verstärkt in universitäre Projekte, wie dem Investigation and digitalization of valuable Chinese folkloristic artifacts and documents in overseas collections-Projekt der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou, deren Leiterin Prof. Wang auch mit uns in Kontakt ist. Genau diesen Dialog wollen wir! Wir müssen Kooperationen aufbauen mit Kollegen in China, Japan, Korea, das ist natürlich eine riesige Aufgabe, die nur in langfristig angelegten Projekten angegangen werden kann.
Alexander Hofmann: Wir sagen zwar, in Japan gibt es keine kolonialen Probleme, das ist aber natürlich auch nur beschränkt richtig, denn Japan hatte ein Kolonialreich in Korea, und in den dreißiger Jahren dann auch in China. Ich weiß nicht, ob wir nicht unter Umständen Archäologica und/oder buddhistische Kultobjekte in unserer Sammlung haben, die aus China stammen und über Japan gekommen sind. Ich glaube nicht, dass das ein Riesenproblem wird, aber die Forschung dazu ist natürlich unbedingt notwendig, sinnvoll und muss auch zeitnah erfolgen.

Bei Ihrem Projekt, Frau Howald, geht es um den historischen Kunstmarkt – um welchen Zeitraum genau?
Christine Howald: Mein Ausgangsdatum ist 1842. Da musste China sich nach dem verlorenen ersten Opiumkrieg dem Westen öffnen, danach taten das sukzessive auch Japan und Korea. Und so öffnete sich plötzlich ein Markt, der vorher natürlich latent in Europa seit vielen Jahrhunderten sichtbar war. Handel gab es über die Seidenstraße ja seit der Antike, aber der Markt war nie offen. Er war immer mit Restriktionen belegt: Man konnte zum Beispiel nicht direkt handeln, nur über Zwischenhändler. Man konnte auch zeitweise nur in einem Hafen vor Anker gehen, in Guangzhou. Dort war eine kleine Insel (Shamian), wo man sich nur zu bestimmten Zeiten im Jahr aufhalten und über Zwischenhändler Waren erhalten konnte. Und diese wiederum waren nur für den westlichen Markt hergestellt.

Warum diese Beschränkungen durch die Herkunftsländer?
Christine Howald: Weil man Angst hatte. Man hat den Handel zwar genutzt, aber den westlichen Markt nur gezielt bedient. Das hängt auch mit der Bedeutung der Kunstwerke in China zusammen: Diese waren nicht dafür da, dass sie nach außen gingen, sondern sie hatten einen bestimmten Stellenwert in der sozialen Hierarchie des Landes. Der Westen war in den Augen der ostasiatischen Herrscher gar nicht würdig, diese Kunstobjekte zu haben.
Alexander Hofmann: Absolut. Was man als Kunst ins Ausland gesandt hat, und womit man gehandelt hat, das waren in den seltensten Fällen die Werke, die in China hoch geschätzt waren.

Und Ihre Forschungsarbeit, Frau Howald, erstreckt sich über welchen Zeitraum? 1842 bis …?
Christine Howald: Bis zum Zweiten Weltkrieg. In diesen 100 Jahren hat sich der westliche Markt für Ostasiatika überhaupt erst entwickelt. Man hat zunächst mit allem gehandelt, was man bekommen konnte: Kuriositäten, Alltagsgegenstände, Kunsthandwerk, alles. In den späten 1860er Jahren gab es einen Boom an japanischer Kunst in westlichen Sammlungen, was auch an den politischen Entwicklungen in Japan selbst lag, einem Regimewechsel. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert kam dann die Vorliebe für wirklich alte Kunst aus China.
Alexander Hofmann: Japan betrieb schon vor der Jahrhundertwende eine aktive Politik der Verwestlichung. Ganz wichtige Sammler von Ostasiatika sind zum Beispiel westliche Experten, die man ins Land geholt hatte, um Know-how nach Japan zu bringen, Mediziner etwa. Mir fallen da einige deutsche Ärzte ein, die in dieser Zeit – wir sprechen über die 1870er Jahre – in Japan waren und bedeutende Sammlungen aufgebaut haben. Auch unter Ingenieuren und Diplomaten gab es große und bedeutende Sammler.

Furuyama Morotane (tätig ca. 1711-1736): Der Kabuki—Schauspieler Ichimura Takenojō VIII (1699-1762) in der Rolle des Kichisaburō. Japan, Edo, ca. 1718. Handkolorierter Schwarzdruck, 31.6 x 15.5 cm. Verlag: Igaya. 1905 für 200 Mark von Max Liebermann (1847-1935) erworben © Museum für Asiatische Kunst der SMB
Furuyama Morotane (tätig ca. 1711-1736): Der Kabuki—Schauspieler Ichimura Takenojō VIII (1699-1762) in der Rolle des Kichisaburō. Japan, Edo, ca. 1718. Handkolorierter Schwarzdruck, 31.6 x 15.5 cm. Verlag: Igaya. 1905 für 200 Mark von Max Liebermann (1847-1935) erworben © Museum für Asiatische Kunst der SMB

Wie gehen Sie dabei vor?
Christine Howald: Eine wichtige Quelle für mich sind Auktionskataloge. Weil die, vor allem wenn sie annotiert sind, unheimlich viele Informationen darüber geben, wer verkauft oder gekauft hat, was gehandelt wurde und zu welchem Preis. Daran kann man dann die Entwicklung des Marktes ablesen: Welche Objekte kamen wann auf den europäischen Markt? Wann sind für welche Objekte die Preise gestiegen oder gefallen? Mit dem German Sales Project hat man einen ganz großartigen Zugang zu deutschen Auktionskatalogen. Sie sind der Ausgangspunkt für eine Datensammlung. Anschließend gehe ich an die nächsten Quellen wie Korresponenzen, Erwerbungsbücher, Sammlungsinventare. Museumsarchive haben in der Regel nicht nur die Erwerbungsakten, sondern auch Korrespondenzen, an denen man ablesen kann, welche Händler haben zu welcher Zeit welche Objekte angeboten. Und: wem haben sie sie angeboten – häufig ja mehreren Museen zugleich oder nacheinander. So kann man sehen, wer waren die Konkurrenten, wie wurden die Sammlungsprofile eingeordnet und wann wurden welche Stücke gehandelt? Natürlich nutze ich auch Händlernachlässe, aber das ist nicht einfach. Gibt es sie noch, und wenn ja, sind sie zugänglich? Und wenn sie nicht zugänglich, also in privater Hand sind, ist es ein ganz langer Weg, daran zu kommen. Deswegen sind die Auktionskataloge und Museumsarchivalien ein guter Zugang.

Das heißt, Ihre Arbeit wird auch als riesengroßes Erschließungsprojekt funktionieren für diejenigen, die sich weiter mit dem Thema befassen wollen, und Grundlage sein für konkrete Provenienzforschung.
Christine Howald: Genau. Das ist das, was fehlt. Es gibt ja in ganz vielen Museen Ostasiatika – nicht nur in Spezialsammlungen wie hier in Berlin oder Köln. Und viele Kollegen suchen ein Standardwerk zum Markt als Ausgangspunkt, um über ihre eigenen Bestände mehr herausfinden zu können.
Alexander Hofmann: Das fehlt wirklich! Eine Monographie, die den Markt und seine Strukturen aufdeckt. Wir haben vereinzelte Studien zu einzelnen Händlern, auch Sammlern, aber die eigentliche Marktstruktur ist nicht klar. Die Museen können das auch nicht leisten! Wir haben einen laufenden Betrieb zu managen, mit Ausstellungen, Publikationen, den Vorbereitungen für das Humboldt Forum. Das kann nur durch universitäre Forschung – natürlich in Kooperation mit den Museen – erfolgen.
Christine Howald: Ja! Gerade breitere Projekte wie meines können nur an einer Universität angelegt sein. Aber die Zusammenarbeit zwischen Museen und Universität geht über solche Basisforschung hinaus: Auch bei der systematischen Aufarbeitung der Herkunft der musealen Sammlungsbestände brauchen wir sie! So eine Form der Provenienzforschung macht man nicht nebenbei. Studenten können hier wertvolle Arbeit leisten – und gleichzeitig ziehen Museen und Universitäten mit Seminarkooperationen die nächste Generation der Provenienzforscher heran. Und auch bei der Vernetzung können Universitäten nachhaltig unterstützen.
Alexander Hofmann: Provenienzforschung gehört im Arbeitsalltag natürlich dazu, aber vor allem objektbezogen. Systematisch ist das nebenbei nicht möglich. Wichtig ist deshalb die Vernetzung, und das ist der Punkt, wo unser Workshop ins Spiel kommt. Wir sagten uns, wir müssen die Leute, die in diesem Feld sehr verstreut, häufig als Einzelkämpfer, hart arbeiten, versuchen, an einen Tisch zu kriegen, um langfristig Strukturen zu etablieren, die uns allen das Arbeiten erleichtern. Damit zum Beispiel nicht fünf Leute sich mit demselben Händler beschäftigen, ohne voneinander zu wissen.

Herr Hofmann, Sie haben vorhin die Holzschnittsammlung erwähnt. Warum ist diese eigentlich problematisch?
Alexander Hofmann: Zum einen ist diese Sammlung von über 8000 Blättern niemals komplett digital erfasst, sondern nur in Teilen (durch einen Auswahlkatalog von 1200 Werken) erschlossen worden. Zum anderen ist diese Sammlung, die Bestände unterschiedlicher Herkunft (Kupferstichkabinett / Kunstgewerbemuseum) umfasst, erst 1967 aus der Kunstbibliothek in das Museum überführt worden. Ein Konvolut von mehreren Hundert Blatt stammt aus der Ostasiatischen Sammlung der DDR. Zum überwiegenden Teil sind also Objekte und Erwerbungsdokumentation getrennt. Die Aufgaben werden in diesem Fall primär die klassischen Entzugskontexte der Provenienzforschung, also NS- und DDR- und nicht kolonial bedingter Entzug sein.

Arbeiten Sie beide neben dem Workshop auch an anderen Projekten gemeinsam?
Alexander Hofmann: Ja, wir arbeiten auch darüber hinaus zusammen. Christine wird zum Beispiel im kommenden Semester ein Seminar anbieten zu Objekten aus dem Museum, das ich als Partner hier im Museum begleite.
Christine Howald: Ja, es werden 16 Studenten angenommen, die jeweils in Tandems arbeiten. Keine Spezialisten für ostasiatische Kunst, es sind alles westlich orientierte Kunsthistoriker. Sie sollen an jeweils 3 Objekten aus der Sammlung forschen, für die wir denken, dass sich interessante Fragestellungen ergeben. Dann überlegen wir noch, eine Veranstaltung darüber zu machen in einem spannenden Format.

Abschließend noch eine Frage: Ein Buch wie „Der Hase mit den Bersteinaugen“: was halten Sie davon?
Christine Howald: Es ist toll geschrieben…
Alexander Hofmann: …aber es ist natürlich eine Familiengeschichte und keine wissenschaftliche Arbeit. Aber wir dürfen es in seiner Wirkung nicht unterschätzen, weil es eventuell viele Menschen für die Problematik sensibilisiert hat! Vielleicht wird dadurch ja auch erkannt, dass es sich lohnt, auch für solche Forschung Mittel bereitzustellen, ohne die wir die Provenienzforschung zu unseren Sammlungen nicht vorantreiben können.

Christine Howald hat 2017 am deutsch-amerikanischen Austauschprogramm für Provenienzforschung in Museen (PREP) teilgenommen. Gemeinsam mit Alexander Hofmann hat sie am 13. und 14. Oktober 2017 den weltweit ersten Workshop zur Provenienzforschung zu ostasiatischer Kunst in Berlin-Dahlem ausgerichtet.
Live-Mitschnitte des Workshops zur Provenienzforschung zu ostasiatischer Kunst finden sich auf der Plattform VoiceRepublic.

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