„Dort kämpfen junge Menschen um ihre Zukunft“ – Stefan Weber über Kultur und Menschen Irans
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Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, verbindet vieles mit der Kultur und den Menschen Irans. Wir sprachen mit ihm über seine Perspektive auf die aktuelle Situation in dem Land und die Rolle, die Museen in gesellschaftlichen Konflikten übernehmen können.
Interview: Sven Stienen
Herr Weber, Sie sind Direktor des Museums für Islamische Kunst und seit langem ein Kenner auch der iranischen Gesellschaft und Kultur. Wie blicken Sie auf die derzeitige Situation im Land?
Stefan Weber: Vor allem in dem Bewusstsein, dass dies kein neues Problem ist. Die Frage der gesellschaftlichen Strukturen und die Geschlechterfrage besteht seit Jahrzehnten. Die einschlägige Wissenschaft geht davon aus, dass bereits die Islamische Revolution 1979 eine patriarchale Protestbewegung war, bei der es darum ging, die Machtpositionen der Männer, die in den 1960er und 1970er Jahren in Auflösung begriffen schienen, wiederherzustellen. Fakt ist jedenfalls, dass heute die Hälfte der Bevölkerung im Iran aufgrund ihres Geschlechts tiefgreifende Diskriminierung erfährt. Frauen sind faktisch nur die Hälfte wert – vor Gericht, bei Erbschaften und in vielen anderen Belangen des Lebens. Das ist umso tragischer, da es nicht nur die Freiheit und das Wohlbefinden der Menschen stört, sondern auch die Gesellschaft eines riesigen Potenzials an Intelligenz und Fähigkeiten beraubt. Die iranischen Frauen sind keineswegs unterwürfig oder gebrochen, sie sind selbstbewusst und tatkräftig, aber die gesellschaftliche Struktur erlaubt es ihnen nicht, ihr Potenzial zu entfalten und das zu werden, was sie sein könnten. Das ist übrigens nicht nur im Iran so, sondern in allen patriarchisch geprägten Gesellschaften, zum Beispiel auch bei verschiedenen protestantischen Communities in den USA. Wenn eine Gesellschaft die Hälfte der Bevölkerung aufgrund des Geschlechts benachteiligt, ist das eine Selbstverstümmelung und raubt Chancen einer konstruktiven Weiterentwicklung.
Prof. Dr. Stefan Weber, Direktor Museum für Islamische Kunst, Foto: Issam Hajjar
Es geht also nicht nur um Frauenrechte, sondern um die Zukunft der ganzen Gesellschaft?
Das, was gerade passiert, ist nicht nur ein Kampf gegen das Symbol des Kopftuchs, sondern dort kämpfen junge Menschen um ihre Zukunft. Die iranische Republik besteht seit 1979, sie ist also nicht mehr jung, und nun kommt eine neue Generation und ist bereit, auf die Straße zu gehen um zu sagen: Wir wollen eine Veränderung, wir wollen Freiheiten und Möglichkeiten. Aber das Regime schafft es nicht, die Potenziale der Weiterentwicklung aufzuzeigen wie noch unter den Reformern vor einigen Jahren. Das ist offensichtlich für die Menschen ein Zeichen, auf die Straße zu gehen. Ob das zu fundamentalen Veränderungen führt, ist ungewiss, denn die Strukturen sind militärisch und wirtschaftlich sehr fest betoniert. Wer auf einen Regimewechsel hofft, dem muss man sagen: So einfach ist das nicht. Man würde hoffen, dass das jetzige Regime einsieht, dass es mit seiner aktuellen Politik der Gesellschaft schadet, und das Blutvergießen beendet. Aber Anzeichen für Reformen sieht man nicht und der Protest richtet sich daher gegen das System als solches.
Sie stehen im engen Austausch mit Partnern auch im Iran, waren selbst öfters dort – war es für Sie in den letzten Jahren manchmal schwierig, zwischen den dort bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und Ihren eigenen Standpunkten zu manövrieren?
Wenn man mit Menschen spricht, die ein anderes Wertesystem haben, muss man sich natürlich Fragen, wo man die eigene Grenze zieht – das gibt es übrigens auch in der eigenen Gesellschaft so, dafür müssen Sie nur in die nächste Eckkneipe gehen. Jedoch habe ich diesen Konflikt nie prägnant gespürt, wenn ich im Iran unterwegs war. Die Menschen im Land sind unglaublich freundlich und offen, und wer nicht mit dem System zufrieden ist, der sagt das auch deutlich. Zudem ist der Iran ein sehr gebildetes Land, die Menschen wissen sehr genau über die gesellschaftliche Lage Bescheid. Das Land ist in dieser Hinsicht leider in den letzten Jahren regelrecht ausgeblutet, so dass die Beschneidung der letzten Freiheiten einen sehr großen Frust freigesetzt hat. Man sollte also keinesfalls denken, der Iran sei ein Land, in dem alle mit den Mullahs einer Meinung sind – dass das nicht so ist, sehen wir ja gerade.
Die Frage bezog sich auch eher auf den Umgang mit offiziellen Stellen und Verfechtern des Regimes …
Wenn man mit Ländern arbeitet, in denen Ämter und Positionen politisch besetzt werden, gibt es immer wieder das Problem, dass die Personen nicht die adäquaten Fähigkeiten mitbringen oder mehr durch politischen Enthusiasmus als durch fachliche Exzellenz glänzen. Man muss lernen, damit zu leben. Aber die Menschen, mit denen wir fachlich gut zusammenarbeiten, sind immer eine Bereicherung durch ihre Kompetenz, ihre Offenheit und den tollen Austausch. Und da hatten wir in den letzten Jahren mit unseren Projekten immer viel Glück.
Zuletzt zeigte das Museum für Islamische Kunst eine große Ausstellung zur Kulturgeschichte des Iran. Sind die aktuellen Themen in diese Ausstellung eingeflossen?
Die Ausstellung „Iran. Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden“ hat sich vor allem mit der reichen und langen Kulturgeschichte des Landes beschäftigt. Wir wollten damit vor allem zeigen, wie vielfältig das Land ist, gerade im Gegensatz zur heutigen westlichen Wahrnehmung, die der reichen und faszinierenden persischen Kultur nicht gerecht wird. So eine historische Perspektive ist dankbar, weil sie niemandem wehtut, aber dennoch ist uns bei der Entstehung der Ausstellung doch immer wieder das eine Thema aufgestoßen: Die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter, die Ungleichheit der Chancen und die fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten, die daraus folgen. Wir haben das in einem Film thematisiert, in dem es unter anderem um die iranische Komponistin und Künstlerin Elshan Ghasimi geht. Sie spielt die persische Laute, die Setar, und hat von 1998 bis 2006 als jüngstes Mitglied im iranischen Nationalorchester gespielt. Schließlich entschied sie sich, ins Ausland zu gehen, wo sie mehr Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten für sich gesehen hat, und lebt und arbeitet nun im Exil hier in Berlin. Mit ihr haben wir den Film gemacht und es folgen auch noch vier Konzerte ab November. In dem Film kommen aber auch noch zwei weitere Frauen zu Wort und alle haben das Gleiche gesagt: Die Ungleichheit der Geschlechter muss aufhören.
Oft spürt man angesichts großer Konflikte Ohnmacht, wir erleben gerade ähnliches in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Was können Museen in solchen Situationen bewirken?
Geschichte ist immer auch eine Reflexion. Sie ist wie ein Supermarkt, in dem die Menschen sich holen, was sie zur Identitätsbildung brauchen. Und Museen sind Basare, Aushandlungsorte für Geschichtsbilder. Wir können also nicht nur verschiedene Geschichtsbilder zeigen und unsere Besucher:innen dazu einladen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen; darüber hinaus können wir Veranstaltungen machen, in denen wir darüber kritisch diskutieren. Das machen wir als Museum ganz intensiv mit den Menschen hier in Berlin und aus verschiedenen Regionen, ob aus der arabischen Welt, aus der Türkei oder eben aus dem Iran. Museen sind also Orte, in denen Kultur ausgehandelt wird und daher ist es auch sehr wichtig, dass wir die Kulturkanäle offenhalten. Was wir nicht wollen, ist eine Mauer zwischen den Kulturen und den Institutionen, denn damit würden wir vor allem diejenigen bestrafen, die in ihren eigenen Ländern am gesellschaftlichen und kulturellen Wandel arbeiten. Und das sind vor allem Kulturschaffende und Künstler:innen, mit ihnen müssen wir den Dialog aufrechterhalten. Natürlich sind die Möglichkeiten eines Museums darüber hinaus begrenzt, aber auf der anderen Seite war das Goethe-Institut in Teheran ein ganz wichtiger Ort für die Revolution von 1979. Hier trafen sich nämlich damals Menschen, um Ideen zu diskutieren, die zentral für den Widerstand gegen das repressive Regime des Schahs waren. Wir haben übrigens letzten Dezember einen Poesie- und Musikabend zu der iranischen feministischen Literatin Forugh Farrochsad gemacht, bei dem Kurt Scharf, damaliger Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Teheran, ihre Gedichte vorlas. Im Rahmen dieses Abends ist ein Live-Mitschnitt und Podcast entstanden.
Auch wenn sie kaum wahrgenommen werden, leben sehr viele Iraner:innen im deutschen Exil. Wie erleben Sie diese Community? Gibt es eine homogene Gemeinschaft, in der die aktuellen Geschehnisse diskutiert werden, oder sind es eher viele unterschiedliche Gruppen?
Es gibt eine ganz eigene iranische Migrationsgeschichte in Deutschland, die bereits in den1950er und 1960er Jahren beginnt. Viele kamen für eine Ausbildung her, mein Arzt ist zum Beispiel Deutschiraner und entstammt einer regelrechten Mediziner-Dynastie. Eine weitere große Migrationswelle kam dann im Zuge der iranischen Revolution – man darf nicht vergessen, dass der Widerstand gegen den Schah zunächst sehr unterschiedliche Gruppen vereinte, von Kommunisten bis zu den Anhängern Khomeinis. Als letztere sich durchsetzen konnten, mussten nicht nur die Anhänger des gestürzten Schahs fliehen, sondern auch viele andere, die nun politisch unerwünscht waren. Und auch in den späten 1980er Jahren gab es Flucht und Migration aus Iran, denn viele flohen vor dem ersten Golfkrieg. Die Iraner, die heute in Deutschland leben, sind also eine sehr heterogene Gruppe. In jedem Fall sind sie aber eine Bereicherung für unser Land, durch ihre jahrtausendealte Kultur, die großartige Poesie und nicht zuletzt durch die ganz hervorragende Küche. Das einzige, das alle persischstämmigen Menschen vereint, denen ich bisher begegnet bin, ist ihr Stolz und ihre große Liebe zu ihrer Kultur und ihrem Land. Es lohnt sich, sich mit Iran und seinen Menschen zu beschäftigen, zu unterstütze wo es geht und den Menschen vor Ort vor allem zu wünschen, dass sich ihr Traum einer gesellschaftlichen Veränderung erfüllen wird.
Das Museum für Islamische Kunst präsentiert am 10./17./24.11.2022 und am 1.12.2022 eine Konzertreihe mit der iranischen Musikerin Elshan Ghasimi im Bode-Museum und Musikinstrumenten-Museum. Alle Infos und Tickets dazu gibt es hier.
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Kommentare
Ein wirklich guter Beitrag! Danke dafür, lieber Stefan!!