Lieblingsstücke:

Ein kleines Lächeln, bitte!

Sandra Richter hat als Praktikantin im Bode-Museum die Bekanntschaft eines besonderen kleinen Jungen gemacht. Johann Gottfried Schadows trotziger Knabe brachte sie mit seiner Berliner Art immer wieder zum Schmunzeln.

Text: Sandra Richter

Ein Rundgang im Bode-Museum bedeutet für mich immer wieder etwas Neues zu entdecken: ein Objekt, ein Detail oder vielleicht auch nur ein heimlicher Blickkontakt zwischen zwei Skulpturen. Diese Bildnisbüste eines Knaben ist mir erst relativ spät ins Auge gefallen, trotzdem zähle ich sie mittlerweile zu meinen Lieblingsstücken.

Wenn man sich ein bisschen schräg und gebeugt vor der Vitrine hinstellt, schaut einen dieser kleine Junge direkt und nachdrücklich aus großen, aufgeschlossen Augen an. Zerzauste Haare fallen ihm in sein weiches, noch sehr kindliches Gesicht. Man könnte meinen, seine Züge seien neutral oder gar regungslos, doch das sind sie bei Weitem nicht. Es liegt etwas Bockiges in der Art, wie er seine Wangen leicht aufplustert und kaum merklich die Unterlippe zu einem Schmollmund nach vorn schiebt. Sein Trotz ist irgendwie einnehmend. Reflexartig schiebe auch ich mein Kinn vor und fixiere ihn noch ein wenig genauer. Aber lange hält das nicht an und dann muss ich über uns beide schmunzeln. Er erinnert mich an diverse Momente, in denen ich selbst bockige Kinder miterlebt habe, die mit ihren rot anlaufenden Köpfen einfach zu komisch aussahen, um sie wirklich ernst zu nehmen. Das Gesicht wirkt dabei so real und lebensecht, dass man meinen könnte, es würde wirklich gleich zum Leben erwachen.

Trotziger Klassizismus

Doch da liegt noch mehr in diesem Ausdruck als nur Trotz: eine matte Enttäuschung prägt die Züge des Jungen, die mich unwillkürlich zu der Frage führt, was ihn so bedrückt. Sollte man in seinem Alter nicht noch unbeschwert und ständig froh durch die Welt hüpfen? Natürlich wäre das eine Illusion. Ihn hier nicht übertrieben fröhlich, sondern einfach nur lebensnah zu sehen, macht den tatsächlichen Menschen dahinter wesentlich greifbarer und das finde ich angenehm. Zu gerne hätte ich gewusst, in was für einem Moment dieser Ausdruck eingefangen wurde.

Bei einer eingehenderen Betrachtung seiner Gesichtszüge kommt man irgendwann nicht mehr darum herum, auch etwas Reiferes, ja fast schon Erwachsenes darin zu sehen. Ist es Resignation, die ihn so viel älter macht, als er ist? Mir drängt sich dabei der Verdacht auf, dass diese Nuance nun doch nicht dem eigentlichen Kind sondern viel eher dem Künstler selbst entsprungen ist. Hierbei handelt es sich um einen bedeutenden deutschen Bildhauer des Klassizismus, Johann Gottfried Schadow, dem unter anderem auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor zuzuschreiben ist. 1803, als diese Büste entstand, waren seine glorreichen Jahre allerdings bereits vorüber. Ist es seine nicht mehr anerkannte Kunst und die diesbezügliche Abweisung, die ihn bei seiner Arbeit beeinflussten? Oder neige ich zur Überinterpretation?

Was auch immer der Grund ist, ich mag das Ergebnis in jederlei Hinsicht. Mich überzeugen die unbestreitbare Menschlichkeit der Darstellung, seine Fehlbarkeit und die schlichte und ehrliche Ausdrucksweise. Unwillkürlich fühle ich mich mit dem kleinen Bengel verbunden. Auch dass es sich aufgrund des Entstehungsortes offenbar um einen jungen Berliner handelt, ist mir irgendwie sympathisch. Denn ich verbinde Furchtlosigkeit und eine vorlaute, freche Ader mit unserer Stadt, die auch dem kleinen Jungen hier nicht fehlen. Jedes Mal, wenn ich an der Büste vorbei gehe, bringt sie mich ein wenig zum Lächeln. Wer weiß, vielleicht kann es den kleinen Knirps ja irgendwann ein wenig aufmuntern.

© Staatliche Museen zu Berlin / Sandra Richter

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