„Eine harte Schule“ – Grafikdesign bei Stankowski + Duschek
Lesezeit 10 Minuten
Das Atelier Stankowski + Duschek prägte das internationale
Grafikdesign maßgeblich. Unsere Kuratorin Christina Thomson sprach mit
dem ehemaligen Mitarbeiter Udo Schliemann über die Kunst des
Markenmachens vor der digitalen Ära.
Interview: Christina Thomson
Logos und Marken folgen uns im Alltag auf Schritt und Tritt. Simple
Zeichen aus Bild, Schrift, Form und Farbe – und doch scheinbar
unerlässliche Wegweiser im Dickicht des Konsums. Aber seit wann gibt es
eigentlich diese Marken-Flut? Wie kann sich eine Marke in der Fülle
behaupten? Und wieviel Kunst steckt darin? Die Ausstellung „Marken:Zeichen“
in der Kunstbibliothek untersucht diese Fragen im Werk des Grafischen
Ateliers Stankowski + Duschek. Das Büro gehörte zu den größten
Markenschmieden der westdeutschen Nachkriegsära, bekannt als Vorreiter
im Corporate Design. Udo Schliemann, langjähriger Mitarbeiter bei ST+DU,
im Gespräch über die Kunst des Markenmachens im prädigitalen Zeitalter.
Lieber Herr
Schliemann, sie haben sechzehn Jahre lang bei ST+DU gearbeitet. Das war
in den 1970er- und 80er-Jahren, im tiefen Südwesten Deutschlands.
Danach sind Sie nach Kanada emigriert, wo sie bis heute als
Grafikdesigner arbeiten. Was sind aus Ihrer Sicht die größten
Unterschiede zwischen damals und heute? Udo Schliemann: Die Unterschiede sind gewaltig. Damals war das Berufsfeld des Designers
für Corporate Design ganz neu. Die wenigen dafür ausgebildeten Designer
standen inmitten einer boomenden Industrie, in der Unternehmen sich
differenzieren und ihre Besonderheiten kommunizieren mussten – vor allem
durch das Visuelle: Marken, Broschüren, Geschäftsberichte etc. Ein
zweiter Unterschied betrifft Zeit und Muße. Wir hatten in den
Achtzigerjahren, prä-Computer, sehr viel Zeit. Schon das Hin und Her mit
der Post gab einen 14-tägigen Puffer. Alle Arbeiten wurden von Hand
verrichtet. So wurden oft nur ein paar Entwürfe final ausgearbeitet,
aber die waren durchdacht, erprobt und „saßen“ richtig. Es lag eine
große Freude im Suchen, Experimentieren und Finden von neuartigen
Lösungsansätzen, Formen und Farben. Diese Muße der Gestaltfindung war
einzigartig. Heute erwarten Kunden, dass man sofort antwortet und in
kurzer Zeit viele Entwürfe vorlegt. Die Konkurrenz unter Designern ist
durch die Globalisierung inzwischen international, und visionäre
Gestalter sind eingebunden in ein interdisziplinäres Netzwerk von
Spezialisten, von Marketing und Strategie bis hin zu Architektur und
Stadtplanung.
Wir
haben es also bei ST+DU bis in die 1990er-Jahre vorwiegend mit analoger
Gestaltung zu tun. Wir können uns heute Design ohne Computer ja gar
nicht mehr vorstellen. Können Sie uns schildern, wie so ein
Arbeitsprozess in Bezug auf Markenentwicklung ablief? Die
Arbeitsmittel haben sich geändert, aber die grundlegenden Prozesse sind
gleich geblieben: Man hinterfragt, sucht nach einer inhaltlichen und
formalen Lösung, die die komplexen Vorgänge in einer Firma auf den Punkt
bringen kann, entwickelt Entwürfe, selektiert, verwirft, verfeinert,
bis das Endprodukt steht, heute mit sehr viel Einbeziehung des Kunden
oder der Zielgruppe. Aber damals war das alles Neuland. Das Berlin
Layout, zum Beispiel, war 1968 das erste umfassende Erscheinungsbild für
eine Stadt, zumindest in Deutschland. Wie geht man so ein Thema an,
wenn man keine Vorbilder hat, oder mal schnell im Internet
Vergleichbares suchen kann? Pioniere wie Anton Stankowski erbrachten da
eine große konzeptionelle Leistung. Ihre Treffsicherheit in der
Formgebung beruhte auch auf dem täglichen Training. Stankowski war, wie
Duschek es formulierte, ein Arbeitstier. Wie ein Athlet machte er jeden
Tag seine grafischen und künstlerischen Übungen.
Verlangte er das auch von seinem Team? Ja, denn Präzision von Hand muss geübt werden. Es kam vor, dass man
viele Stunden an einem Entwurf für eine Urkunde laborierte, die aus
lauter Linien bestand, da die Linien einzeln mit der Ziehfeder und
Gouache Farben gezogen werden mussten. Ein Fehler – und man musste von
vorne anfangen. Solche Arbeiten habe ich nie als langweilig empfunden,
im Gegenteil, man lernte zum Beispiel wie Farben sich zueinander
verhalten. Außerdem war es wie Zen, völlige Konzentration auf nur eine
Sache. Das war herrlich befreiend.
Anton Stankowski war
Jahrgang 1906, Karl Duschek rund vierzig Jahre jünger. Die beiden
arbeiteten seit 1972 bis zu Stankowskis Tod 1998 zusammen. Wie wirkte
sich diese ungewöhnliche Konstellation im Büroalltag aus? Trotz des großen Altersunterschieds waren Stankowski und Duschek auf der
gleichen Wellenlänge. Sie hatten die gleiche Philosophie zu Gestaltung
und Kunst. Karl hat Anton das Alltagsgeschäft abgenommen. Anton hat es
zugelassen und gefördert, denn so konnte er sich auf seine Malerei,
Skizzenbücher, Publikationen und Korrespondenz konzentrieren. Vorher
machte er jeden Morgen gegen 10 Uhr eine Runde im Atelier, besprach das
Tagesgeschäft mit Duschek, und kam dann zu jedem (!) Mitarbeiter. Man
musste aktuelle Arbeit(en) vorlegen um sie der Kritik, aber auch der
Lehre von Stankowski zu unterziehen. Eine harte Schule – aber sehr
effektiv!
Das Atelier war bekannt für die Verbindung von Kunst und Design. Spielte auch das eine Rolle? Diese Verbindung ist ja gerade das Einzigartige an Stankowski +
Duschek. Beide waren sowohl als Gestalter wie auch als Künstler
erfolgreich. Im Atelier wurde ein Logo, ein Plakat, eine Funktionsgrafik
oder ein Orientierungssystem mit der gleichen Intensität, fast möchte
man sagen Hingabe, bearbeitet wie ein Gemälde oder ein Siebdruck.
Stankowski skizzierte täglich formale Konstellationen und visuelle
Konzepte. Diese fanden entweder Eingang in seine Kunst oder wurden als
Lösungsansätze für Logos oder Grafiken verwendet. Mit Stankowskis
„Formschatz“ hatten wir die Nase vorn und waren auch immer originell.
Die Nähe zur konkreten Kunst wurde von Kritikern auch als Formalismus angeprangert. Ist das in Ihren Augen gerechtfertigt? Dem Vorwurf würde ich entgegensetzen, dass das Inhaltliche stets im
Vordergrund stand. In den grafischen Lösungen kam das Kunsttraining von
ST+DU mit Ideen der Mitarbeiter zusammen. Sie waren originell aber
einfach, und erlaubten dem Betrachter eine eigenständige intellektuelle
und ästhetische Auseinandersetzung mit der Vorlage, die ohne emotionale
Verführungen auskam, wie sie etwa in der Werbefotografie oft vorkommen.
Ich sehe die Arbeiten aus dem Hause ST+DU auch deshalb als einen Beitrag
zur Demokratie.
In
Vorbereitung der Ausstellung und dem zugehörigen Buch haben wir den
Nachlass des Grafischen Ateliers, der in der Kunstbibliothek verwahrt
wird, katalogisiert. Dabei wird auch berücksichtigt, was Stankowski vor
seiner Zusammenarbeit mit Duschek als Werbegrafiker produzierte, und was
nach seinem Tod unter Duschek bearbeitet wurde. Für die Jahre 1938 bis
2011 ergibt sich eine Liste von nahezu 600 Auftraggebern, darunter
Deutsche Bank, REWE, SEL, Bosch, Viessmann, Deutsche Börse, RKW und
viele mehr. Manche Kunden blieben über Jahrzehnte treu. Was machte
Stankowskis Büros so erfolgreich? Der Erfolg hat zum Teil
natürlich mit der wirtschaftlichen Gesamtlage in den Sechziger- bis
Neunzigerjahren in Westdeutschland zu tun. Es war eine Epoche, die dem
Rational-Funktionalen und der modernen Massenproduktion mit Euphorie und
Optimismus begegnete. Denken sie nur an Systemmöbel von Hans Gugelot
oder ergonomisch durchgestaltete Braun Apparate. Stankowski fand mit
„Vereinfachen – Versachlichen – Vermenschlichen“ einen genialen Ansatz
für die Gestaltung von Erscheinungsbildern. Der Grundsatz ist auch heute
noch brandaktuell. Er bedeutet ja nicht, dass man alles weglässt, bis
nichts mehr übrig bleibt – das wäre Minimalismus. Aber die Reduzierung
und Bezugnahme auf mathematische, intuitiv verständliche Grundgesetze
schafft Klarheit und ermöglicht ein „Erkennen“, das mit Sympathie
resoniert. ST+DU waren Meister in der Visualisierung von komplexen
Botschaften und Vorgängen. Je größer die Medienflut, desto gefragter ist
diese Klarheit, denn sie hilft dem Betrachter beim Verstehen und
Orientieren – ob in Form von Logos, Infografiken oder Leitsystemen. Was
zum Erfolg von ST+DU beigetrug war auch ihre absolute Verlässlichkeit in
Sachen Qualität und die Pünktlichkeit, mit der Entwürfe den
Auftraggeber erreichten.
In Toronto arbeiten
Sie, Herr Schliemann, als Principal Creative Director bei Entro, einem
Grafikbüro, das sich auf Branding Spaces spezialisiert hat. Auch bei
ST+DU spielte das Räumliche eine große Rolle – etwa in Form von Kunst am
Bau oder Leitsystemen. Gibt es da Zusammenhänge? Als ich
zu Entro kam wurden nur Beschilderungssysteme entwickelt, da niemand
dort den Ansatz von Branding im Raum kannte. Mir war durch die Arbeit
bei ST+DU die Idee der Verbindung von Kunst und Orientierungssystem
nicht fremd. Daran knüpfte ich an, als ich die Gelegenheit bekam, für
ein Bankbürogebäude in Toronto sieben Stockwerke zu gestalten. Die
Gestaltung basierte auf konstruktiven Grafiken und wurde ein Hit. Das
eröffnete eine ganz neue Sparte in unserem Angebot, auf dem wir uns sehr
erfolgreich behaupten. Heute arbeiten viele unserer Mitarbeiter in
Entwicklungen von sogenannten Experiential Environments, die den
gesamten Raum und alle Medien beinhalten. Auf diese Weise konnte ich
weitergeben, was ich bei Stankowski + Duschek gelernt habe.
In
der Publikation, „Das Grafische Atelier Stankowski + Duschek“ haben wir
Weggefährten zu Wort kommen lassen. In Ihrem eigenen Beitrag schrieben
Sie, dass man bei ST+DU „die Regeln des Visuellen und die Bedeutung für
den Menschen und die Seele“ lernte. Was meinen sie damit? Ich war 16 Jahre bei Stankowski + Duschek und wäre wahrscheinlich heute
noch dort, wenn Stankowski nicht gestorben wäre. Ich empfand die Zeit
als eine wunderbare Fortführung des Studiums. Seminar ohne Hörsaal,
Rechthaben ohne Pedanterie, Suchen um zu Finden. Wir „Zeichenknechte“,
wie wir liebevoll genannt wurden, haben unheimlich viel gelernt. Richtig
zu sehen, nicht mit den Augen, sondern durch die Augen zu sehen,
braucht Zeit. Wer nimmt sich heutzutage noch die Zeit, so zu lehren?
Formale Gesetzmäßigkeiten, das Analysieren von Formen und Farben, die
Wirkung von Typographie, die Schönheit und Geschichte der Buchstaben,
die Kunst – all das wurde bei Stankowski diskutiert und hat uns geformt.
Eine letzte Frage: Glauben sie, dass ein Büro wie ST+DU heute noch Erfolg hätte? Das ist natürlich schwer zu sagen. Die Kombination von Kunst und
Design, das findet man ganz selten. Leider sehen wir heute zu häufig das
schnelle Kopieren von fertigen Lösungen, durch die Medien überall per
Mausklick abrufbar sind. Bilder und Zusammenhänge werden zu wenig
hinterfragt. Doch wie in der Genetik sollte auch in der visuellen
Kommunikation das Sampling und Splicing in Frage gestellt werden. Denn
das ist Formalismus, der nicht auf der Frage nach Inhalten zielt,
sondern auf Effekt, den Wow Faktor. Trotzdem sehe ich originelle
Entwürfe und Lösungen, vor allem von jungen Designern und in kleineren
Büros. Ich glaube, für diese, mit wenig Overhead und viel frischem Mut,
ist es leichter, ehrliches und neues Design zu entwickeln, als für große
Agenturen, die in starren Strukturen verankert sind.
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