„Eine völlig neue Art des Arbeitens“ – Digitalisierungsprojekt im Münzkabinett
Lesezeit 8 Minuten
Ein Projekt zur Rekonstruktion der vorkaiserzeitlichen
Geldgeschichte Kleinasiens wird von der EU mit zwei Millionen Euro
gefördert. Bernhard Weisser, der Direktor des Münzkabinetts, über die
Ziele des Projekts und warum Numismatik und Geldgeschichte einen
wichtigen Baustein zur Erforschung der Vergangenheit liefern.
Interview: Sven Stienen
Digitalisierung
ist auch für die Numismatik das Gebot der Stunde, sind die
Forschungsmaterialien doch oftmals weit verstreut und nur schwer
zugänglich. Ein umfassender Typenkatalog zur vorkaiserzeitlichen
Münzprägung in Kleinasien fehlt bisher: Es geht immerhin um ca. 336
Münzstätten, zahlreiche wechselnde Herrscher und eine Zeitspanne, die
sich vom 7. Jh. v. Chr. mit der Erfindung der Münzprägung als
Kulturtechnik bis zum Beginn der römischen Kaiserzeit im Jahr 30 v. Chr.
erstreckt.
Ein auf fünf Jahre angelegtes gemeinsames Forschungsprojekt der Universität Oxford, des British Museum in London und des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin soll nun einen solchen Typenkatalog
zur vorkaiserzeitlichen Münzprägung in Kleinasien erstellen, der digital
zugänglich sein wird. Das Projekt „Change: The Development of the
Monetary Economy of Ancient Anatolia, c. 630-30 BCE“ wird von der
Europäischen Union mit zwei Millionen Euro gefördert. Im Gespräch
erklärt Bernhard Weisser, der Direktor des Münzkabinetts, was in dem
Projekt passiert und warum Numismatik und Geldgeschichte einen wichtigen
Baustein zur Erforschung der Vergangenheit liefern.
Worum geht es bei dem Projekt? Bernhard Weisser: In dem Projekt soll die antike Münzprägung in Kleinasien, in der
heutigen Türkei, erforscht werden. Die Münzprägung ist eine
Kulturtechnik, die im 7. Jahrhundert v. Chr. in dieser Region entwickelt
wurde. Bis heute sind viele Münzen aus dem Zeitraum von ca. 650 v.Chr.
bis zum Beginn der römischen Kaiserzeit um 30 v.Chr. erhalten. Doch
bisher gibt es noch keine Gesamttypologie dieser Münzen, die die Arbeit
mit ihnen sehr erleichtern würde. Das Münzkabinett verfügt über mehr als
100.000 antike griechische Münzen. Das Ziel des Kooperationsprojektes
ist es, einen digitalen Typenkatalog auf der Basis großer Sammlungen zu
entwickeln. Deswegen arbeiten wir mit dem British Museum zusammen, denn
dort gibt es ebenfalls eine große Münzsammlung. Aber auch andere
internationale Sammlungen sind beteiligt, etwa die Bibliothèque
nationale de France in Paris und die American Numismatic Society in New
York. Wir arbeiten mit diesen Institutionen seit 1998 in
sammlungsübergreifenden Münzportalen zusammen. Diese Münzportale
basieren auf gedruckten Publikationen. Das Innovative an unserem
aktuellen Projekt ist, dass wir kein gedrucktes Buch herausgeben,
sondern eine digitale Plattform der Vernetzung schaffen wollen.
Das
Projekt ist eine Kooperation mit der Oxford University und dem British
Museum. Welche Vorteile bieten solche internationalen Kooperationen in
der Forschung? Die Koordination liegt bei Professor Andrew
Meadows von der Oxford University, der zuvor als Kurator des British
Museums und der American Numismatic Society gearbeitet hat und ein
Pionier der digitalen Transformation ist. Er ist so etwas wie der Motor
der Digitalisierung in der Numismatik. Wir vom Münzkabinett spielen da
ebenfalls auf einem Top-Level mit, denn wir haben uns bereits sehr früh
an Prozessen rund um die Digitalisierung der Münzsammlungen beteiligt.
Diese Tugend wurde aus der Not geboren: Als ich 1996 beim Münzkabinett
anfing, konnten wir unsere Bestände nicht effektiv publizieren, da Print
sehr teuer ist und es nicht genügend Mittel gab, um 540.000 Objekte zu
veröffentlichen. Wir mussten also einen anderen Weg einschlagen und
haben uns früh mit den digitalen Medien beschäftigt. Der Mehrwert dieser
Medien besteht in den neuen Möglichkeiten der Vernetzung und der
Herstellung von inhaltlichen Bezügen.
Was meinen Sie damit konkret? Wenn ich zum Beispiel in die Erforschung einer Münze eine Information
wie die Biografie eines bestimmten griechischen Herrschers einbeziehen
möchte, muss ich nun nicht mehr alles selber recherchieren und
schreiben. Ich kann stattdessen auf entsprechende Normdaten-Quellen
verlinken, wo alle Informationen bereits von Spezialisten aufbereitet
wurden. Außerdem ergeben sich durch die Verlinkung zahlreiche neue
inhaltliche Querbezüge. Wenn etwa jemand im Web nach Novalis sucht und
über dessen numismatische Interessen liest, stößt er vielleicht auf
diesem Weg auf uns, da wir die Sammlung von Novalis bei uns aufbewahren!
Hinzu kommt, dass wir im digitalen Raum viel mehr als in jeder
Ausstellung zeigen können. Von den ca. 540.000 Objekten, die das
Münzkabinett besitzt, zeigen wir etwa 5000 in verschiedenen
Ausstellungen auf der Museumsinsel, im Bode-Museum, im Alten und im
Neuen Museum. Im Netz hingegen haben wir quasi unbegrenzten Platz, wir
können viel mehr Objekte zugänglich machen und diese, Dank der heutigen
Fototechnik, auch viel näher und detaillierter zeigen: in Vergrößerung,
von beiden Seiten und mit umfangreichen Kommentaren.
Zurück zum aktuellen Projekt: Wie sieht die Aufgabenverteilung aus? Wir erfassen die Daten unserer Sammlung, also die Kerndaten zu den
Objekten, aber auch weiterführende Informationen zu den Provenienzen
etc. Wir exportieren diese Daten zur Projektwebseite in Oxford. Dies ist
kein einmaliger Export: wenn wir etwas verändern, ändert sich
entsprechend auch der Eintrag in Oxford. Dort werden auch die
Objektbeschreibungen auf Englisch erstellt, und die Münzen werden in
Typologien zusammengefasst. Diese Datensätze können wir dann wiederum
verwenden, um unsere eigenen Einträge für die deutschsprachigen Nutzer
zu verbessern. Diese fließen dann wieder in ganz andere Portale ein, wie
etwa smb-digital oder die Deutsche Digitale Bibliothek.
Wir beteiligen uns auch mit diesem internationalen Projekt intensiv an
der Schaffung einer Nationalen Dateninfrastruktur (NFDI), für die das
Projekt Pilotcharakter hat. Bei uns im Münzkabinett liegt dann in
Zukunft die Verantwortung, die Daten, auch über die Projektlaufzeit
hinaus, laufend zu pflegen und zu aktualisieren. Das ist ein neuer
Forschungsprozess, völlig anders als noch in den 1990er Jahren. Damals
haben wir unser Forschungswissen an die Besteller von Münzgipsen oder
-fotos abgegeben. Dann arbeiteten andere Leute damit und wir waren an
dem weiteren Forschungsprozess nicht mehr beteiligt. Heute liegt der
Fokus viel stärker auf kollaborativem Arbeiten: Es wird anerkannt, dass
die kuratorische Kompetenz wichtige Beiträge liefert, die dann auch auf
der Webseite sichtbar werden.
Das Projekt wird mit knapp zwei Millionen Euro gefördert, was geschieht mit diesen Mitteln konkret? Das Geld fließt fast vollständig in Personalkosten und die
Fotodokumentation. Wir haben Nachwuchswissenschaftlerinnen und
-wissenschaftler eingestellt, die die Münzen beschreiben, Literatur
recherchieren und Bezüge herstellen, so dass am Ende eine vollständige
Geldgeschichte der beforschten Region entsteht. Voraussetzung dafür sind
eine Typologie und Musterdatensätze zum Abgleich von Objekten. Diese
können dann auch anderen Museen helfen, indem sie verlässliche Infos zu
vergleichbaren Objekten liefern. Das dient letztlich auch dem
Kulturgutschutz, denn auch unsere KollegInnen vor Ort in der Türkei
können auf unsere Datenbanken zugreifen und damit arbeiten. Es ist ein
Angebot an andere, mit unseren Daten zu arbeiten und gleichzeitig auch
eigene Daten zur vorkaiserzeitlichen Numismatik in Kleinasien
einzuspeisen.
Welche Rolle spielt die Geldgeschichte bei der Erforschung der Vergangenheit? Münzen sind Primärzeugnisse der Antike. Sie geben Auskunft über Zeiten
und Ereignisse, die in anderen Quellen wenig repräsentiert sind. Wir
wissen zum Beispiel sehr wenig über die Herrschaft der Perser in
Kleinasien. Unsere Quellen sind überwiegend aus der Sicht der Griechen
geschrieben – die Münzen zeigen andere Aspekte dieser Epoche vom 6. bis
4. Jahrhundert v. Chr., die uns helfen, ein vollständigeres Bild zu
zeichnen. Aber auch andere historische Ereignisse können aus
geldgeschichtlicher Perspektive beleuchtet werden, etwa die Feldzüge des
Mithridates gegen die Römer oder verschiedene Identitätskonstruktionen
sonst weitgehend unbekannter antiker Städte. In Korrespondenz mit
anderen archäologischen Zeugnissen, wie etwa der Architektur, können
Münzen so einen Beitrag zu einem vollständigeren Bild der Vergangenheit
liefern. Außerdem ist Geld eine Kulturtechnik, die uns bis heute
vertraut ist – durch Geld und Münzen gewinnen wir Einblicke in das
antike Leben, die wir mit unseren eigenen Lebensrealitäten in Beziehung
setzen können.
Sind Ausstellungen zu dem Thema geplant? Das ist durchaus vorstellbar. Zunächst tragen wir in Zusammenarbeit mit
der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Projekt
Verantwortung für die Regionen Troas und Mysien.
Es ist eine deutschsprachige Einführung zu den Münzen in Kleinasien als
Publikation geplant und daran könnte sich sinnvollerweise eine
entsprechende Ausstellung anschließen.
Fragen von Besuchern bieten den Fachleuten in den Museen eine willkommene Abwechslung zum Arbeitsalltag. Dr. Karsten Dahmen vom Münzkabinett bekam… weiterlesen
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