Endlich nach Hause: Ahnenköpfe aus dem Ethnologischen Museum kehren nach Neuseeland zurück
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Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt mehrere Toi Moko
an Vertreter der Māori in Neuseeland zurück. Te Herekiekie Herewini vom
Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa erklärt, was Toi Moko sind und
warum ihre Rückkehr bedeutend ist.
Te
Herekiekie Herewini leitet seit 2007 das Rückgabeprogramm im Museum of
New Zealand Te Papa Tongarewa und arbeitet mit Institutionen auf der
ganzen Welt daran, um die Ahnen der Māori in ihre Heimat zurück zu
holen. Im Interview erklärt Te Herekiekie, der sowohl europäische als
auch Māori-Vorfahren hat, welcher Tradition die Toi Moko entsprangen und
warum ihre Rückkehr für die Māori heute von großer Bedeutung ist.
Die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird mehrere Toi moko an ihre
Herkunftsgesellschaften in Aotearoa Neuseeland zurückgeben – was oder
wer genau sind Toi moko?
Te Herekiekie Herewini: Toi Moko sind mumifizierte Köpfe von Māori-Vorfahren, die traditionell
aus zwei Gründen geschaffen wurden: Um das Andenken verstorbener
Familienmitglieder zu ehren oder um die Köpfe von Feinden – von
hochrangigen Männern oder Kriegern – , die in einer Schlacht gefallen
waren, zu erniedrigen und verspotten. Toi moko konnten männlich oder
weiblich sein und viele haben tā moko, traditionelle
Māori-Tätowierungen. Mit der Ankunft der Europäer in Aotearoa Neuseeland
wurden Toi moko – aufgrund ihrer Einzigartigkeit – bei Entdeckern,
Händlern, Walfängern und neuen Siedlern und Siedlerinnen zu sehr
beliebten Kuriositäten. Mit der Zeit wurden sie zu einem wertvollen
Handelsgut, das gegen exotische europäische Waren wie Metallwerkzeuge
und Waffen, Musketen und Munition getauscht wurde. Dieser Handel von Toi
moko in Aotearoa Neuseeland erstreckte sich von 1770 bis in die frühen
1840er Jahre. In diesem Zeitraum wurden schätzungsweise 300 Toi moko
gehandelt. Unter den gehandelten Köpfen befanden sich sowohl Vorfahren
feindlicher Hochrangiger und Krieger als auch Gefangene. Obwohl der
Handel von Aotearoa Neuseeland aus eingestellt wurde, wurden Toi moko in
Großbritannien und Europa, in Australien sowie in Nord- und Südamerika
bis weit ins 20. Jahrhundert hinein weiter gehandelt und versteigert.
Leider wurden auch in den letzten zehn Jahren noch Toi moko in Europa in
Auktionen angeboten.
Wie lange waren Toi moko in Gebrauch und welche Bedeutung haben die Māori-Tätowierungen auf ihnen?
Tā
moko oder die traditionelle Māori-Tätowierung stammt aus einer
künstlerischen Tradition, die vor über 3000 Jahren aus Südostasien in
den Pazifikraum gelangte. Die polynesischen Vorfahren der heute in
Neuseeland lebenden Māori kamen vor etwa 800 bis 900 Jahren aus ihren
Heimatgebieten, den heutigen Cookinseln und Französisch-Polynesien, nach
Aotearoa. Als die frühen polynesischen Migranten und Migrantinnen
Aotearoa erreichten, mussten sie sich schnell und innovativ an ihre neue
Heimat anpassen. Obwohl die neuen Siedler und Siedlerinnen Zugang zu
mehr Ressourcen hatten, war das Klima viel kälter, und die
Wachstumsperiode mancher landwirtschaftlicher Pflanzen war kürzer.
Innovationen gab es in allen Bereichen des kulturellen Spektrums,
einschließlich der Anwendung von tā moko, bei dem kreisförmige Muster in
die Haut geklopft oder geschnitten wurden und dann Tinte aus
Naturstoffen in die Schnitte eingebracht wurde. Die Anwendung der
traditionellen Māori-Tätowierung war schmerzhaft, zeitaufwendig und
beinhaltete lang etablierte, heilige Rituale, die sowohl den Künstler
betrafen als auch die Person, die das Kunstwerk erhielt. Trotz des
Schmerzes hatten viele den Wunsch diese Kunstform auf ihren Körpern zu
erhalten. Die Anwendung von tā moko wurde als eine Form hoher Kunst
angesehen und war als ein Übergangsritus, ein Zeichen von Tapferkeit und
eine Verbindung zu den tūpuna (Vorfahren) von tiefer spiritueller
Bedeutung. Die tā moko würdigen die großen Errungenschaften und das
Prestige(mana) der tūpuna.
Die Bedeutung jedes tā moko-Musters
hängt von den Künstlern und der Person ab, die das Muster erhält. Im
Allgemeinen feiern oder würdigen die Muster jedoch wichtige Ereignisse,
Herkunftsorte der iwi, Vorfahren und Verwandtschaftsbeziehungen.
Um
die mumifizierten Häupter von Hochrangigen, Kriegern, der eigenen
Familie oder Mitgliedern des eigenen iwi zu ehren, wurden sie liebevoll
gepflegt, zumeist den Blicken entzogen, und in wāhi tapu oder an
heiligen Aufbewahrungsorten aufbewahrt, zu denen feindliche iwi nur
schwer Zugang hatten. Die Häupter feindlicher Hochrangiger oder Krieger,
die im Kampf gefallen waren, wurden jedoch aufgespießt und von der
Gemeinde entwürdigt. Bisweilen konnte das Haupt eines hochrangigen
Feindes als Gegenleistung für einen Friedensvertrag zwischen zwei
kriegführenden Stämmen zurückgeführt werden.
Ab den 1840er Jahren
ließ dann die Nachfrage nach Toi moko in Aotearoa Neuseeland nach.
Zusammen mit der wachsenden Akzeptanz des Christentums durch die
Māori-Gemeinschaften, führte dies schließlich dazu, dass die meisten
Māori auf Friedhöfen europäischen Typs begraben wurden, obwohl viele
menschliche Überreste der Vorfahren, die vor der Ankunft der Europäer
starben, in isolierten wāhi tapu im ganzen Land verblieben.
Was
bedeutet die Rückführung von Toi moko für die Māori und welche Rolle
spielt das neuseeländische Museum Te Papa Tongarewa in diesem Prozess?
Nicht
alle iwi oder Māori iwi beteiligten sich von 1770 bis 1840 am Handel
mit Toi moko. Für viele Māori ist der Handel mit Toi moko eine dunkle
Periode in der Geschichte. Trotz der langen Trennung von ihrem
Heimatland bleiben die Vorfahren immer noch spirituell und kulturell mit
Aotearoa Neuseeland verbunden.
Viele der heute lebenden Māori
sind Nachkommen der Sieger und der Besiegten zugleich. Sie streben eine
Rückführung an, um diesen historischen Schmerz und dieses Leid
wiedergutzumachen und zu versöhnen. Im Laufe der Zeit haben die meisten
Toi moko ihre Identität und Zugehörigkeit zu ihrem iwi verloren, doch
bei der Rückkehr in ihre Heimat wird ihnen Respekt und Würde erwiesen.
Ganz ähnlich wie heute die menschlichen Überreste unbekannter Soldaten
geehrt werden.
Das neuseeländischen Museums Te Papa Tongarewa
wurde von der neuseeländischen Regierung sowie von den Māori- und den
Moriori-Gemeinschaften mit der Repatriierung beauftragt. Te Papa ist im
Rahmen des Karanga-Aotearoa-Rückführungsprogramm dafür verantwortlich,
die sterblichen Überreste der Māori -und Moriori-Ahnen in
internationalen Institutionen ausfindig zu machen, ihre Rückkehr im
gegenseitigen Einvernehmen auszuhandeln, die Ahnen physisch nach Hause
zu führen und ihre sichere Rückkehr in ihre Herkunftsgesellschaften im
ganzen Land zu gewährleisten.
Seit Te Papa das
Karanga-Aotearoa-Rückführungsprogramm 2003 ins Leben rief, wurden fast
600 sterbliche Überreste der Māori- und Moriori-Ahnen aus
internationalen Institutionen zurückgeführt. Diese Zahl umfasst Toi
moko, kōiwi tangata (menschliche Überreste der Māori) und kōimi tangata
(menschliche Überreste der Moriori). Wir schätzen jedoch, dass es
weitere 600 Toi moko, kōiwi tangata und kōimi tangata gibt, die noch auf
ihre Rückkehr aus dem Ausland warten.
Es wird
eine Zeremonie geben, wenn die tūpuna (Vorfahren) übergeben werden – was
wird während dieser Zeremonie geschehen und was bedeuten die damit
verbundenen Rituale?
Toi moko sind Vorfahren und trotz
der langen Zeit, die sie von ihrem Heimatland getrennt waren, bleibt
ihre spirituelle Verbindung zum Land bestehen. Bei der formellen
Übergabezeremonie, in der die Toi moko entgegengenommen werden, gehören
der Delegation, die Neuseeland und das Te Papa vertritt, Mitglieder der
neuseeländischen Botschaft in Berlin an. Die Delegation wird die tūpuna
(Vorfahren) ehren und den deutschen Institutionen für ihr freundliches
und ethisch verantwortliches Einverständnis danken, die Toi moko
zurückzuführen.
Während der Übergabezeremonie werden die
neuseeländischen Vertreter und Vertreterinnen whaikōrero (traditionelle
Māori Reden), taonga puoro (Musik), karakia und karanga (Gesänge und
Ehrrufe) vortragen, um die Vorfahren zu empfangen, den deutschen
Institutionen zu danken und den Anlass zu würdigen. Wegen der
COVID-19-Pandemie haben Te Papa, die neuseeländische Botschaft und die
deutschen Institutionen die Übergabezeremonie angepasst, so dass sie den
strengen COVID 19 Gesundheits- und Sicherheitsprotokollen genügt. So
ist es zum Beispiel üblich, am Ende vieler Māori Zeremonien die Finger
in eine Schüssel mit Wasser zu tauchen und den Körper zu besprengen –
als eine Art symbolischer Reinigung. Bei dieser Zeremonie wird das
Wasser durch ein Handdesinfektionsmittel ersetzt, das die Teilnehmer und
Teilnehmerinnen beim Verlassen des Zeremonienraums verwenden können.
Dies ist eine sehr praktische Neuerung und entspricht buchstäblich der
symbolischen Tradition der Māori, denn Gesundheit und Sicherheit sind
ein Kernelement vieler Māori-Traditionen.
Was wird mit den Toi moko nach ihrer Rückkehr nach Neuseeland geschehen?
Es
werden einige Dinge geschehen, wenn die Toi moko in Aotearoa Neuseeland
ankommen. Sie werden für zwei Wochen im Te Papa unter Quarantäne
gestellt, während der begleitende Kurier für diese Zeit in die von der
neuseeländischen Regierung verordnete Quarantäne geht. Für die Toi moko
wird es eine erste rituelle Zeremonie geben, wenn sie in Quarantäne
gebracht werden. Nach der Quarantänezeit im Te Papa werden die tūpuna
(Vorfahren) in Te Papas nationaler Zeremonienstätte (marae) formell
willkommen geheißen.
Nach der Begrüßungszeremonie werden die
tūpuna in Te Papas wāhi tapu (heiligen Aufbewahrungsort) ruhen, bis die
Provenienzforschung in der Lage ist, ihren iwi oder ihre Herkunftsregion
zu bestimmen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Hinblick auf Museumspartnerschaften und weitere Repatriierungsarbeit?
Te
Papa ist weiterhin offen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit
Institutionen in Europa, Nord- und Südamerika und Australien, um die
sterblichen Überreste der Vorfahren der Māori und Moriori in ihre Heimat
in Aotearoa Neuseeland zurückzuführen. Der historische Handel mit
indigenen sterblichen Überresten durch Museen und akademische
Institutionen ist für viele indigene Gemeinschaften nach wie vor ein
wichtiges ethisches und spirituelles Anliegen. Wir ermutigen
Institutionen, mit anderen indigenen Gruppen aus der ganzen Welt
zusammenzuarbeiten, um auch ihre Vorfahren heimzuführen. Der einfache
Akt des Einverständnisses, die Vorfahren zurückzuführen, ist der Anfang
des Prozesses der Wiedergutmachung sowie der Heilung und Versöhnung für
die am Rückführungsprozess beteiligten Gemeinschaften.
E kore e
mutu te mihi ki ngā tari, ki ngā whare taonga o Tiamana mō te mānaaki me
te te aroha ki ēnei tūpuna e hoki ana ki Aotearoa nei. Abschließend
möchten wir den beiden deutschen Institutionen vorbehaltlos danken, die
sich bereit erklärt haben, diese tūpuna an ihr Heimatland zurückzugeben,
damit ihre uri (Nachkommen) sich noch einmal um sie kümmern können.
Weitere Informationen über das Karanga-Aotearoa-Rückführungsprogramm gibt es auf der Webseite des Museums.
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