„Es wäre ein großer Verlust“: Deutsch-russische Antikenforschung in der Krise
Lesezeit 8 Minuten
Die Forscherinnen Ursula Kästner und Karoline Lölhöffel arbeiteten mit russischen Kolleg*innen an einem Kooperationsprojekt zu antiken Vasen. Durch den Krieg ist das Projekt gefährdet – und die Arbeit von Jahren bedroht. Die Hoffnung wollen die beiden aber nicht aufgeben.
Interview: Ingolf Kern und Sven Stienen
Kurz vor dem Abschluss eines großen Kooperationsprojektes zwischen der Antikensammlung und russischen Wissenschaftler*innen zu antiken Vasen brach der Krieg in der Ukraine aus. Nun sind alle Projekte bis auf Weiteres gestoppt, die Zukunft steht auf dem Spiel. Wie geht es ihnen in diesen Tagen?
Ursula Kästner: Was gerade passiert, finde ich erschütternd. Ich bin mit dem Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko aufgewachsen: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Wir hätten nach der Annexion der Krim gewarnt sein müssen, aber dass Russland tatsächlich seinen Nachbarn überfallen würde, hat mich völlig überrascht. Als Hermann Parzinger das Statement vom „kulturellen Scherbenhaufen“ veröffentlichte, dämmerte mir, dass die ganze Situation auch unsere Arbeit betreffen würde.
Haben Sie Kontakte in die Ukraine?
Kästner: Wir haben 2004 ukrainische Kolleg*innen bei einem Workshop in Berlin kennengelernt, aus Kiew und Simferopol, aber derzeit bestehen keine Kontakte zu Ihnen.
Karoline Lölhöffel: Ich habe ukrainische Kolleg*innen auf Konferenzen kennengelernt, aber nicht im Rahmen unseres aktuellen Vasen-Projektes. Aber viele russische Kolleg*innen, auch unsere Partner*innen im Projekt, haben familiäre Verbindungen in die Ukraine und machen sich derzeit große Sorgen. Das Ganze ist auch für mich ein Schock, weil ich gerade erst begonnen hatte, Beziehungen zu den russischen Kolleg*innen aufzubauen und das Land, die Kultur und die Wissenschaft dort kennen zu lernen.
Worum ging es in dem Projekt und wie weit sind Sie gekommen, bevor der Krieg ausbrach?
Kästner: Es ist ein Projekt, das eng mit unserer Sammlung und ihrer Geschichte verknüpft ist. Es begann mit einer Begegnung auf einer deutsch-russischen Konferenz im Zusammenhang mit der Ausstellung „Archäologie des Krieges“ im Puschkin-Museum in Moskau. Wir trafen dort einen Kollegen vom Historischen Museum, der sagte er habe eine Überraschung für uns. Wir folgten ihm in sein Museum und dort standen etwa 20 sehr beeindruckende antike Vasen, die aus unserer Sammlung stammen und dort kriegsbedingt verlagert sind. Wir hätten solche Objekte nie dort vermutet, eher im Puschkin-Museum oder in der Eremitage in Sankt Petersburg. Wir haben sofort begonnen, ein gemeinsames Projekt zu den Antiken zu planen und nach einigen Jahren gab es dann endlich das OK von russischer Seite. 2015 folgte der erste gemeinsame Depotbesuch und es wurde ein Kooperationsvertrag zwischen dem Historischen Museum und der SPK unterzeichnet, der die Erfassung, Dokumentation und Restaurierung der Vasen sowie die Erarbeitung eines großen wissenschaftlichen Katalogs dazu beinhaltete. Darauf aufbauend waren außerdem Kolloquien und eine Ausstellung geplant. Es gab dann auch verschiedene Förderungen, zunächst durch die Museen selbst und den Förderverein der Antikensammlung und eine amerikanische Stiftung, hauptsächlich aber durch die DFG.
Was war denn der letzte Stand vor dem Krieg?
Kästner: Wir hatten eine Forschungsgruppe mit Kolleg*innen aus Russland, Deutschland, den Niederlanden, Griechenland, der Schweiz und Belgien gebildet und waren gerade mit der Materialaufnahme fertig. Auch die Texte für den geplanten Katalog waren bereits weitgehend fertig. Parallel dazu sollte es eine Ausstellung geben, in der wir die Vasen im Kontext der griechischen Gesellschaft in der Antike zeigen wollten und die den inzwischen nahezu ironisch anmutenden Titel „Krieg und Frieden“ haben sollte. Der Stichtag für die Ausstellungs-Texte war der 28. Februar – vier Tage nach dem Beginn des Angriffskrieges.
In dem Projekt geht es um etwa 300 Vasen und weitere 500 Fragmente. Um was für Vasen handelt es sich dabei?
Kästner: Es handelt sich um prächtige, aufwändig bemalte Vasen aus der griechischen, italischen und etruskischen Antike. Sie sind Gegenstände des täglichen Lebens, etwa zum Weinkonsum, fast alle sind Grabbeigaben und sie zeichnen ein umfangreiches Bild der griechischen Mythologie, aber auch der Lebenswelt. Die Vasen sind auch sammlungsgeschichtlich interessant. Einige kamen bereits im 18. Jhdt. in die Berliner Sammlung, die meisten dann im 19. Jhdt. Die meisten Fragmentsammlungen sind Geschenke der Athener Universität.
Gibt es derzeit Überlegungen, ob man das Projekt unilateral fertigstellen kann?
Lölhöffel: Für konkrete Pläne ist es derzeit noch zu früh. Offiziell ist das Projekt momentan „auf Eis gelegt“, obwohl ich das für keinen schönen Begriff halte, denn es klingt so kalt. Wir versuchen aber, mit unseren russischen Kolleg*innen den Kontakt zu halten.
Wie genau laufen diese Kontakte ab?
Lölhöffel: Wir telefonieren. Bisher gab es keine regelmäßigen Konferenzen, wir haben uns immer nur anlassbezogen ausgetauscht und hatten vor der Pandemie einige Arbeitstreffen in Moskau und Berlin. Da wir die Zusammenarbeit nun einstellen mussten und es also diese Anlässe momentan nicht mehr gibt, haben wir einen neuen Rahmen geschaffen und telefonieren jetzt regelmäßig. Es geht darum, den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber natürlich sind wir auch interessiert daran, wie es den Kolleg*innen gerade geht.
Was erfahren Sie über die Situation in Russland?
Lölhöffel: Die Kolleg*innen dort sind sehr traurig, sie haben viel investiert und in ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung viel mit europäischen Institutionen kooperiert. Vielen von ihnen bricht durch die Isolation Russlands nun die Fähigkeit weg, weiterhin international vernetzt wissenschaftlich zu arbeiten, vom Verlust persönlicher Kontakte ganz zu schweigen. Die russischen Kolleg*innen haben aber auch ein sehr gutes Verständnis der Situation. Sie verstehen, dass wir unter den aktuellen Umständen das Projekt nicht weiterführen können. Sie werden nun versuchen, von ihrer Seite so gut es geht an dem Projekt weiter zu arbeiten und hoffen, dass wir dasselbe tun und man die Projekthälften eines Tages wieder zusammenführen kann, wenn die Zeichen besser stehen.
Kästner: Wir sind seit dem 24. Februar, dem Tag der Invasion, mit den Kolleg*innen in Kontakt und konnten ihnen ihre Trauer und Enttäuschung anmerken. Wir haben von ihnen das Bild kluger und gut informierter Menschen und gehen davon aus, dass sie eine klare Haltung haben. Es ist nicht so einfach, das Projekt von unserer Seite aus unilateral abzuschließen. Die Restaurierungen laufen noch, es gibt keine Förderung mehr und wir dürfen auch keine neuen Aufträge für die Dokumentation mehr erteilen. Natürlich könnten unsere russischen Freunde die Restaurierung weiter fortführen, aber dann liegen die Dateien dort und die DFG hat den Datenaustausch untersagt, insofern würde uns das auch nicht weiterbringen.
Lölhöffel: Dass wir das Projekt nicht einfach ohne die russische Seite zu Ende führen, hängt auch mit der Weise zusammen, wie es entstanden ist. Es war von vornherein eine gemeinsame Sache und es war allen Beteiligten auch wichtig, dass das Team paritätisch besetzt ist. Vor dem Hintergrund wäre das ein großer Rückschlag für die langfristigen Beziehungen der Museen. Wir werden unsere Aufgaben soweit wie möglich weiterführen, in der Hoffnung, dass das Projekt irgendwann gemeinsam abgeschlossen werden kann.
Man hat jetzt den Eindruck, dass wir im Westen die Lage in Russland in den letzten Jahren völlig falsch eingeschätzt haben. Glauben Sie, dass die kulturellen Beziehungen eine Ausnahme waren, dass in Kultur und Wissenschaft vielleicht mehr möglich war, als in anderen Bereichen? Und wie soll es jetzt weitergehen, nachdem diese kulturellen Brücken vollends eingerissen scheinen?
Kästner: Ich kenne einige russische Kolleg*innen seit mehr als 40 Jahren. Wir lernten uns bereits zu DDR-Zeiten kennen und es gab immer ein Auf und Ab. Während der deutschen Wiedervereinigung lief es turbulent ab und als sich die Indizien mehrten, dass doch viel mehr Beutekunst in Russland existiert, als man nach der großen Rückgabeaktion der Sowjetunion 1958 annahm, gab es Irritationen und – ja, auch Streit. Wir fühlten uns von den russischen Museen getäuscht. Dennoch glaube ich nicht, dass der Beginn unseres Vasenprojektes in irgendeiner Form naiv war – es ging von vornherein darum, trotz aller politischer Schwierigkeiten Brücken zu bauen. Das war das Wesen des Petersburger Dialogs. Und auch wenn derzeit nicht absehbar ist, ob Deutschland wieder zu Wegen der Kooperation zurückfindet mit einer Regierung, die einen Angriffskrieg in Europa führt – hoffe ich sehr, dass die individuellen freundschaftlichen Beziehungen diese Zeit überstehen und wir auch auf fachlicher Ebene wieder zusammenfinden können.
Lölhöffel: Das ist ein grundsätzliches Dilemma: Wenn man ein Projekt mit staatlichen Institutionen initiiert und der Staat diktatorisch-autoritär geführt wird, dann hat man stets das Problem, dass die eigene Arbeit zum Prestige dieses Staates beitragen kann. Hinzu kommt, dass eine Regierung wie die aktuelle russische eine nationalistische Ausrichtung von Kunst, Kultur und Wissenschaft anstrebt und gleichzeitig die Freiheit massiv einschränkt. Das birgt natürlich Herausforderungen für die Arbeit, aber gleichzeitig ist es umso wichtiger, dass wir nicht aufhören, russische Künstler*innen und Wissenschaftler*innen in europäische Zusammenhänge einzubinden. Denn sonst bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich komplett auf Russland zu beschränken und somit von Europa abzuwenden. Und das wäre ein großer Verlust – für die russischen Kolleg*innen, aber auch für uns. Im Übrigen sind es genau diese Leute, die in ihrem Land etwas bewegen wollen und können, daher ist es wichtig, die Kontakte aufrecht zu erhalten und die Partner*innen so gut wie möglich zu unterstützen.
Die so genannte „Prussia-Sammlung“ war bis 1945 die bedeutendste archäologische Sammlung des Ostseeraums. Die Archäologen Christoph Jahn und Iza Szter… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare