Die Berliner Gemäldegalerie feiert den „Meister des Augenblicks“ seit dem 12. Juli mit einer großen Ausstellung. Kuratorin Katja Kleinert erzählt im Interview, was die Porträts des holländischen Malers so besonders macht, wie die „Malle Babbe“ nach Berlin kam und wie Frans Hals Lovis Corinth beeindruckte
Interview: Gesine Bahr
Frans Hals gilt als „einer der größten Porträtmaler aller Zeiten“. Warum? Anders gefragt: Was macht ein gutes Porträt aus?
Katja Kleinert: In der Porträtmalerei geht es darum, den Menschen als Abbild festzuhalten und in seiner ganzen Besonderheit wiederzugeben. Frans Hals hat diverse Konventionen der damaligen Porträtmalerei gebrochen und es so geschafft, die Menschen erstaunlich individuell und überzeugend darzustellen. Er entwickelte eine besonders freie Maltechnik, mit der er die Momenthaftigkeit der Darstellungen wunderbar inszenieren konnte. Hals Malweise ist spontan, frei und offen. Sie erzeugt das Gefühl, als seien die Dargestellten mitten in einem Moment oder in einer Bewegung festgehalten worden. Sie wirken ungewöhnlich lebendig und nicht so, als hätten sie stundenlang Modell gesessen, um ihr Porträt anfertigen zu lassen. Diese Natürlichkeit und Authentizität der Darstellungen ist seine große Besonderheit.
Frans Hals fing dann auch als einer der ersten an, soziale Außenseiter als Individuen zu malen. Wie kam es dazu?
Kleinert: Hals war einerseits Porträtmaler, er fertigte aber auch Genrebilder, also Alltagsszenen, an. In diesen Genrebildern nahm er sich, im Gegensatz zu den Porträts der Elite, Randfiguren der Gesellschaft als Modell. Im 17. Jahrhundert wurden Menschen in Genrebildern üblicherweise als kleine ganze Figuren dargestellt. Frans Hals machte an der Stelle aber etwas ganz Neues: Er malte sie im Porträtformat, fast alle als Halbfigur in Lebensgröße. Und damit gab er diesen Menschen erstmals eine Bühne. Viele von Hals´ Genrefiguren sind nach lebendem Modell gemalt. Bei der „Malle Babbe“ beispielweise, weiß man von der Person, die hier als Vorbild diente. Bei dem „Rommelpottspieler“ ist es auch sehr wahrscheinlich, dass es eine ganz bestimmte historische Person gab, die Modell gestanden hat.
„Bei Porträts war eigentlich schon ein Lächeln kaum denkbar“
Die Figuren sind sehr individuell in all ihren Eigenheiten dargestellt. Die Genremalerei erlaubte mehr Freiheiten als das Porträt, das viel mehr Konventionen unterlag, weil es dabei ja um Repräsentation ging. In der Genremalerei konnte Hals sich ausprobieren, beispielsweise die Figuren lachend darstellen, mit entblößten Zähnen und geöffnetem Mund. Bei Porträts war eigentlich schon ein Lächeln kaum denkbar – aber bei Frans Hals lächeln viele der Porträtierten. Ein wirklich offenes Lachen hätte aber gegen alle Konventionen der Porträtmalerei verstoßen. Man sieht, dass die Genremalerei für Frans Hals eine Art Experimentierfeld war, wo er bestimmte Sachen ausprobieren konnte – und diese Erfahrungswerte flossen dann wieder in die Porträtmalerei zurück.
Woran lag dieser Unterschied in der Strenge der Regeln zwischen Porträt und Genremalerei?
Im Unterschied zur Genremalerei wurden die Porträts beauftragt: jemand wollte sich porträtieren lassen und Frans Hals hat das künstlerisch umgesetzt. Die Genremalerei ist hingegen für den freien Markt produziert worden, wo die Werke als Virtuosenstücke von Frans Hals verkauft wurden. Über diese besondere, freie Malerei konnte er sich als eine Art eigene Marke etablieren. Wer ein Porträt in dieser Art Malerei beauftragte, hat sehr bewusst auch die „Marke“ Frans Hals mitgekauft
Wie war denn die damalige Resonanz auf Frans Hals experimentierfreudige Kunst?
Frans Hals war erfolgreich mit seiner Malerei, insofern muss die Resonanz positiv gewesen sein. Schließlich war es auch die gesellschaftliche Elite seiner Heimatstadt Haarlem, die sich von ihm hat porträtieren lassen. Das 17. Jahrhundert war eine Zeit vieler Umbrüche und religiöser Auseinandersetzungen. Auch in Haarlem fanden viele Umbrüche statt, mit Auswirkungen auf diese Elite: die traditionell mächtigen und reichen Familien mussten zurücktreten und andere wurden wohlhabende und kamen an die Macht. Und diese zu Wohlstand und Macht gelangte Klientel war sehr viel offener für Experimente und für Grenzüberschreitungen. Sie hat sich getraut, mit Konventionen zu brechen. Frans Hals hat hier seine Auftraggeber gefunden und passte mit den Neuerungen, die er zu bieten hatte, genau in diese Zeit hinein. Auch seine Genredarstellungen passten offensichtlich zu dem Publikum und hatten großen Erfolg. Die Bilder der „Malle Babbe“ oder des „Pekelharing“ hat er in mehreren Versionen gemalt. Diese Figuren sind erfolgreiche Bilderfindungen gewesen, die mehrmals von ihm, beziehungsweise der Werkstatt, gemalt wurden und sich gut verkauft haben müssen.
Die Berliner Gemäldegalerie bewahrt einen der umfangreichsten und hochkarätigsten Bestände an Gemälden von Frans Hals weltweit auf. Wie kam es dazu?
Kleinert: Die meisten großen Kunstsammlungen haben ihren Ursprung in herrschaftlichen Sammlungen. Hier hat ein Herrschaftshaus bzw. Herrscher nach eigenem Geschmack gesammelt. Die Berliner Gemäldegalerie wurde 1830, also relativ spät, mit der Idee gegründet, eine kunsthistorische Sammlung anzulegen. Man hat von Beginn an versucht, einen enzyklopädischen Überblick über die Kunstgeschichte zusammenzubekommen, hat also in die Breite gesammelt und entsprechend auch Werke von Hals angekauft. Frans Hals war zwar nie ganz vergessen, im 18. Jahrhundert aber nicht sehr angesehen, weil man seine Art der Malerei als unvollständig, schlampig und einfach nicht als „comme il faut“ empfunden hat. Das änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu diesem Zeitpunkt hatte man in Berlin bereits die ersten Gemälde von Frans Hals angekauft. Berlin hat also überdurchschnittlich früh angefangen Gemälde von Hals zu sammeln, als sich sonst kaum jemand für diesen Maler interessierte.
„Berlin hat in einer Zeit, als Hals noch bezahlbar war, diese ganzen Erwerbungen getätigt und großes Glück gehabt“
Ein weiterer großer Glücksfall war 1874 der Ankauf der Sammlung Barthold Suermondt. Suermondt war ein Sammler aus Aachen, der eine große Niederländer-Sammlung zusammengetragen hat, mit Künstlern, die es zu dieser Zeit noch zu entdecken galt, wie Vermeer und eben Frans Hals. Mit der Sammlung von Suermondt sind insgesamt sieben Bilder von Frans Hals nach Berlingekommen, darunter alle Highlights, die wir haben: die „Malle Babbe“, das „Porträt der Catharina Hooft mit ihrer Amme“, der „Singende Knabe mit Flöte“. Sieben Bilder auf einen Schlag in dieser Qualität sind ein enormer Zuwachs für die Sammlung. Berlin hat in einer Zeit, als Hals noch bezahlbar war, diese ganzen Erwerbungen getätigt und großes Glück gehabt.
Die Gemäldegalerie kooperiert für die Ausstellung mit der National Gallery in London und dem Rijksmuseum in Amsterdam – wäre die Ausstellung auch ohne diese Zusammenarbeit denkbar gewesen?
Amsterdam und London haben schon lange vor uns mit der Ausstellungsplanung angefangen. Man kann so eine Ausstellung auch alleine machen, das wäre aber sehr viel schwieriger geworden. Viele der Leihgaben für die Schau wurden erst durch die Zusammenarbeit dieser drei Häuser ermöglicht. Es ist eine Win-Win-Situation, wenn solche großen internationalen Player zusammenarbeiten. So hat es eine gute Synthese gegeben und es sind extrem viele Werke zusammengekommen. Wir haben fast alles bekommen, was wir angefragt haben, das ist überdurchschnittlich erfolgreich.
Neben der umfassenden Präsentation von Hals‘ Meisterwerken wird der Einfluss seiner Kunst sowohl auf seine zeitgenössischen Malerkollegen als auch auf spätere Nachfolger bis ins frühe 20. Jahrhundert behandelt. Wie sieht dieser Einfluss aus und wo tritt er zutage?
Frans Hals hat im 17. Jahrhundert schon Dinge ausprobiert, die die Impressionisten und Realisten des 19. Jahrhunderts später aufgegriffen haben: zum Beispiel der sehr offene, freie Pinselstil oder die spontane Maltechnik ohne Unterzeichnungen. Das haben die Impressionisten und Realisten für sich entdeckt und festgestellt. Auch thematisch war Hals seiner Zeit voraus. gemalt hat. Das großes Interesse am Menschen und seinem Ausdruck ist etwas, das im 19. Jahrhundert wieder wichtig wird. Als etwa Lovis Corinth 1907– schon als erfolgreicher Maler – in Kassel Rembrandt kopieren will, entdeckt er den „Mann mit Schlapphut“ von Frans Hals und kopiert ihn. Er schreibt daraufhin erstaunt an seine Frau, Frans Hals male genauso wie er. Er [Lovis Corinth] müsse sich in seinen Bildern gar nicht verstellen. Corinth findet hier eine Bestätigung seiner Kunst.
„Frans Hals hat im 17. Jahrhundert schon Dinge ausprobiert, die die Impressionisten des 19. Jahrhunderts später aufgegriffen haben“
Heute sind wir an eine freie Pinselführung, an impressionistische Maltechnik gewöhnt. Diese Art zu Malen ist für uns „normal“ und allgegenwärtig. Zur Zeit von Frans Hals war das aber etwas ganz Besonderes. Die Maler des 19. Jahrhunderts wussten und sahen das besser als wir.
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