Was macht eigentlich ... :

Anna-Catharina Gebbers, Kuratorin im Hamburger Bahnhof

Das Kapitel „Making Paradise – Ein Paradies erfinden“ in der Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof widmet sich der Kunst von Bali. Kuratorin Anna-Catharina Gebbers spricht über die Herausforderungen und Chancen des Projektes.

Welche Schwerpunkte oder Leerstellen haben sich in der Sammlung der Nationalgalerie für Sie gezeigt?

Anna-Catharina Gebbers: Das Sehnen nach einem Ursprung und dessen Abbild bezieht sich sowohl auf die Erfindung eines kunstgeschichtlichen Kanons in Deutschland und in Indonesien sowie auf die Erfindung einer Nation in beiden Fällen. Leerstellen finden sich in den Narrationen, Sammlungsbeständen und im Wissen. Dem gehe ich mit meinen wissenschaftlich-kuratorischen Beratern Grace Samboh und Enin Supriyanto aus Indonesien nach.

Mit welchen Objekten knüpft Ihr Ausstellungsteil an diese Bestände an?

Raden Saleh, mit dem die Kanon-Erzählungen in Indonesien zumeist beginnen, definierte sich gefördert durch die niederländische Kolonialmacht als Künstler in einem Europa, das ein diskriminierendes orientalistisches Anderes als Krücke für die Erfindung der eigenen Identität und Vorherrschaft erfand. Wie bewusst Künstler die Klischees einsetzten, zeigen in der Ausstellung Werke aus der Gründungssammlung der Nationalgalerie (die 1861 eröffnete – im gleichen Jahr wurde der deutsche Missionar Ludwig Nommensen nach Sumatra entsandt, wenig später fanden sich deutsche ‚Schutzgebiete“ auf dem Archipel). Doch obwohl Saleh sich in diesen Künstlerkreisen bewegte und er zum Mitbegründer des deutschen Orientalismus wurde, befindet sich von ihm kein Werk in der Sammlung (ebenso wenig wie von Künstlerinnen wie Louise Seidler).

Die Kanon-Narrationen in Indonesien weisen wiederum eine Lücke zwischen Saleh und den 1920er Jahren auf. In dieser Spanne lieferten sich allerdings westlich geprägte Fotografie, Ethnologie und Malerei ein Rennen um die Abbildungsvorherrschaft. Wie sehr diese vermeintlichen Dokumentationen aus den Kolonien und Schutzgebieten mit Bilderfindungen durchsetzt sind zeigen in der Ausstellung aus den Beständen der Staatlichen Museen u.a. Gauguins an Reliefs des javanischen Tempels Borobudur angelehnte Tahiti-Werke oder kategorisierenden ethnologischen Indonesien-Fotos. Die Bilderfindungen der ethnologischen Fotografie thematisieren Werke der zeitgenössischen indonesischen Künstler Agan Harahap und Octora.

Mit der von Walter Spies, I Nyoman Lempad und anderen auf Bali gegründeten Künstlerorganisation Pita Maha setzt die Kanon-Erzählung in Indonesien wieder ein: Dieser Allianz und während der 1920–30er Jahre auf Bali entstandenen, von mir dazu in den Berliner Sammlung gefundenen literarischen und ethnologischen Publikationen sowie Filmen widmet sich ein zentraler Ausstellungteil. Das Ende dieser hochkolonialen Phase deutet sich mit dem Pita Maha-Mitglied I Nyoman Ngendon an, der zugleich im Kontakt zur in die Nationenbildung involvierten Künstlergruppe Persagi auf Java stand, die ab 1945 die Unabhängigkeit Indonesiens begleiteten.

Den Werken abzulesen ist, dass ein Interesse an der „exotischen“ Kunst der „Anderen“ aus allen Richtungen bestand. Die Migration der Formen durch jahrhundertelange indische, chinesische, arabische, europäische Handelsbeziehungen lässt sich in der Erweiterung der Stile und Motive bis zur Gegenwartsmalerei auf Bali ablesen – von der ich gemeinsam mit dem zeitgenössischen Künstler Gede Mahendra Yasa Werke aus den Beständen des ethnologischen Museum ausgewählt habe.

Eine Videoarbeit von Tita Salina zu den Landgewinnungsmaßnahmen vor Jakarta markiert das Ringen um die Hoheit gegenwärtiger Paradieserfindungen und Gesellschafts- und Gemeinschaftsentwürfe. Diese sozial aufgeladenen Werke und die Fotos aus dem Ethnologischen Museum zeigen, dass Objekte nicht nur wissenschaftlich zu bearbeitende Artefakte sind, sondern mit emotionalen persönlichen Geschichten verknüpft sind – insofern wird auch durch das Aufrufen dieser Emotionen mit den Sammlungsbeständen verbunden.

Welche Perspektive trägt Ihr Kapitel zur Ausstellung als Ganzes bei? 
„Making Paradise“ erprobt, wie sich die verwobene Kunst- und politische Geschichte ausgehend von einzelnen Werken aus der Sammlung aufzeigen lässt. Das Ausstellungskapitel folgt dabei nicht nur Erzählungen von Künstlerkontakten, Allianzen und Pendlern. Die kuratorische Konstellation bricht Chronologien und Geografien auf: Vergangenheit und Gegenwart rücken zusammen. Das der Nationalgalerie eigene Narrativ wird geöffnet durch den Einbezug von Künstler*innen wie Gede Mahendra Yasa und Wissenschaftler*innen – wie Grace Samboh und Enin Supriyanto, mit denen ich am Konzept des Kapitels auch in Hinblick auf die Bedeutung der Malerei bezüglich der politischen Geschichte und der Nationenbildung Indonesiens gearbeitet habe. Derartige Prozesse der Dekolonialisierung des Museums und die Methode der Konstellation markieren das Temporäre, Flüssige und Subjektive einer kuratorischen Setzung und der Sammlung — wenn man so die Sammlung mit immer wieder neuen Themen, Fragen umkreist.

Welche Verbindungen gibt es zu Ihrer bisherigen kuratorischen Arbeit?
Meine kuratorische Arbeit war immer darauf ausgerichtet, über experimentelle Herangehensweisen Verbindungen zwischen Kunst und Gesellschaft, Geschichte und Gegenwart, Individuum und Gemeinschaft zu markieren. Dazu gehören gesellschaftspolitische Dimension in jüngsten internationalen künstlerischen Praktiken und Diskursen, bei denen Kunst ein Raum zur Erprobung zukünftiger Modelle ist: Wie wollen wir leben, z.B. postterritorial, postnational. Teil dessen ist die virtuelle Dimension, die ja nicht nur digitale Medien ausmacht, sondern in Literatur, Philosophie, Gesellschaftsentwürfen eine wichtige Rolle spielt.

Warum ist es heute dringend notwendig, die Kunstgeschichtsschreibung und die Idee des Kanons zu hinterfragen?
An der Kunstbetrachtung lässt sich ablesen, was auch für die Zivilgesellschaft wichtig ist: Man muss nicht tiefgehend alle Varianten der Kunst und des Lebens verstehen, aber es wäre gut, wenn wir uns darauf verständigen könnten, dass es Varianten gibt und dass es nicht den einen Standard gibt. Die Gegenwart ist mehr denn je durch Zersplitterung gekennzeichnet, auch im Sinne der ‚Zeitgenossenschaft‘ als Zusammenführen von unterschiedlichen Zeiten und historischen Aufladungen. Daher wäre es zudem hilfreich, in einem Austausch mit anderen Museen und Sammlungen auf der Welt die Unterschiedlichkeit und Subjektivität von Perspektiven und die „Erfindung“ von so etwas wie einem Kanon zu zeigen.

Was kann ein Museum und eine Sammlung im Besonderen dabei leisten?
Die Museumssammlung birgt in ihren Beständen Werke, in denen sich die historischen Zusammenhänge mit ihren die Gegenwart prägenden offenen Fragen abzeichnen. Die Sammlung kann die sehr spezifische Art des Denkens und der Wahrnehmung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, aber auch die zur heutigen Perspektive führende Wahrnehmungsgeschichte aufzeigen – und auch wie wir die Geschichte immer wieder neu denken können und müssen, um unsere Gegenwart zu verstehen. Ein Museum kann in diesem Sinne als offene Universität seine Mitarbeiter*innen und Besucher*innen zu einem Austausch und stetigen, spannenden Lernprozess einladen.

Die Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ findet noch bis 26.8.2018 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin statt.

Titelbild: Michael Mann

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