Die Entstehung einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof
Unsere Kollegin Zora Block hat sich während der Vorbereitungen für die große, am 28. April eröffnete Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof umgeschaut.
Text: Zora Block
Ein lang gehegter Traum von mir war es, einmal durch den menschenleeren Hamburger Bahnhof streifen zu dürfen. Es war nur einer jener vagen Träume, wie man sie manchmal mit sich herumträgt – auch ohne ihre Erfüllung geht das Leben weiter –, aber dieser wurde wahr. Durch eine glückliche Fügung arbeite ich eine Zeit lang im Hamburger Bahnhof und der kleine rote Ausweis, den ich jeden Morgen an der Pforte ausgehändigt bekomme, ist der magische Türöffner in alle Winkel des Museums. Die Wärter nicken freundlich und lassen mich ungestört durch die Hallen wandern, an Cy Twombly und Joseph Beuys vorbei und eine Treppe höher stoße ich unvermutet auf eine Arbeit des Bildhauers Constantin Brâncuși. Vom Aufbau der großen Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“, auf deren Eröffnung hier alle fieberhaft hinarbeiten, spürt man nichts in diesen Räumen. Der Trubel findet anderswo statt.
Es ist eine seltsame Erfahrung, einen Ausstellungsaufbau mitzuerleben als jemand, der Kunst bisher immer nur an der Wand eines Museums erlebt hat. Der Aufbau einer Ausstellung bedeutet, dass die Kunst kurzzeitig zum Ding wird. Werke, die man sonst nur aus der Entfernung bewundert, eingeschüchtert von Absperrungen, dem Aufsichtspersonal und der pietätvollen Stille des Museums, werden nun auf einmal in ihre Bestandteile zerlegt und warten auf Luftpolsterfolie gebettet auf ihre Hängung, bedeckt mit einem Tuch, an das ein Zettel geheftet ist, auf dem „Kunst“ gekritzelt steht.
In der historischen Halle markiert ein rosafarbenes Banner die Stelle, an der bald Mladen Stilinovićs „An Artist Who Cannot Speak English Is No Artist“ (1992) von der Decke hängen wird und mehrere Betonteile fügen sich allmählich zu Goshka Macugas „Pavilion for International Institute of Intellectual Co-operation“ (2016) zusammen. Die Türen am hinteren Ende der Halle stehen weit auf und Kälte weht herein, die Kunst muss ja irgendwie ins Museum kommen. Die Arbeit von Alfredo Jaar „(Kindness) of (Strangers)“ (2015) leuchtet probeweise auf und auch „A Four Color Sentence“ (1966) von Joseph Kosuth flackert mich im Vorbeigehen kurz bunt an. Die Elektrik funktioniert, das Neon strahlt, man wendet sich anderen Schauplätzen zu.
In den oberen Räumen wird Anish Kapoors „1000 Namen“ (1980–1984) aufgebaut. Gestalten in weißen Anzügen und mit Mundschutz, die man eher in einer Quarantänesituation vermuten würde als bei dem Aufbau von Kunst, sprühen rotes Pigment über die geometrischen Formen und lassen das Werk erst so zum Werk werden. Am nächsten Tag gehe ich noch einmal schauen und da sind sie, die Formen, als wären sie von Zauberhand dorthin gesetzt worden und nicht das Resultat menschlicher Präzisionsarbeit.
Und dann die Rieckhallen. Hier ist der Aufbau noch im Anfang begriffen. In jeder Halle stehen riesige Holzkisten, oft noch verschlossen, manchmal schon ausgepackt und die Bilder und Skulpturen schwimmen in einem Meer aus Verpackungsmaterial. Dieses Zwischenstadium eröffnet mir ein neues Kunsterleben, die Werke sind plötzlich auf eine Weise nahbar, die ich vorher nicht kannte. Hier steht ein Bild und dort liegt ein Teil einer Skulptur, nichts ist an seinem vorgesehenen Platz und dennoch sind es all die Werke, die einen später in der Ausstellung umgeben werden. Die Zufälligkeit, mit der die Werke in den Hallen verstreut sind, entwickelt eine eigene Poesie. Über „Heruntergerissene Landschaft“ (1977/1991) von Ilya Kabakov ist eine dünne Plastikplane gehängt, die sich im Luftzug bauscht und manchmal sind einzelne Sätze zu lesen und verschwinden dann wieder. Unzählige Tonteile liegen herum wie in einer Ausgrabungsstätte; sie gehören zu der Serie „Who will measure the space, who will tell me the time? (Sérignan)“ (2015) von Mariana Castillo Deball und werden bald filigrane Säulen ergeben. Es riecht nach Wachs, aber ich kann nicht ausmachen, woher der Geruch kommt.
Fast ganz am Ende des Flurs gehe ich in eine Halle, in der es ungewohnt still ist – keine Verpackungen und keine Menschen, nur Barnett Newmans “Who is Afraid of Red, Yellow and Blue IV” (1969/70). Das Bild lehnt beiläufig an einer der Wände und dennoch beherrscht es schon den Raum. Auch nicht das provisorische Abstellen auf ein paar Kisten kann ihm etwas anhaben und als ich irgendwann wiederkomme und es an seinem vorgesehenen Platz hängen sehe, denke ich man hätte es auch fast einfach auf den Kisten stehen lassen können.
Während einige Ausstellungsräume im historischen Gebäudeteil schon bald fertig sind und ich mir gut vorstellen kann, wie sie einmal wirken werden, sehe ich der Ausstellung in den Rieckhallen beim Entstehen zu. Jeden Tag ist etwas Neues zu entdecken, hängt ein weiteres Bild, ist eine weitere Skulptur aufgebaut, haben sich einzelne Werke zu einer Erzählung zusammengefügt.
Am 27. April ist es soweit, die Schatzkammer ist wieder ein Museum, die Kunst hängt in wohldurchdachten Anordnungen an den Wänden; aber ich bin froh, dass ich die Werke einmal so ganz „informell“ kennenlernen durfte.
Die Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ läuft vom 28.4.2018 bis 26.8.2018 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.
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