„Ich möchte raus aus dem Büro und ins Museum“ – Interview mit Antje Scherner
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Seit August ist Antje Scherner Direktorin des Bode-Museums. Im Interview spricht sie über ihre Erwartungen und Pläne, einen der wichtigsten Museumsstandorte des Landes mit zu gestalten.
Interview: Sven Stienen
Die Museumsinsel ist einer der bedeutenden Kulturstandorte in Deutschland – kommt da auch bei jemandem wie Ihnen, mit so einer beachtlichen Laufbahn, ein bisschen Ehrfurcht auf?
Antje Scherner: Ja natürlich. Die Museumsinsel ist wahrscheinlich der Museumsstandort in Deutschland und das Bode-Museum beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen Byzantinischer Kunst weltweit. Auch die Skulpturensammlung kann international mitspielen. Ich empfinde also Ehrfurcht vor diesem Erbe, aber auch viel Freude, mit diesen tollen Sammlungen künftig arbeiten zu dürfen.
Antje Scherner, neue Direktorin der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum; Foto: SPK / Photothek, Sebastian Rau
Das Bode-Museum mit dem Museum für Byzantinische Kunst und Skulpturensammlung ist ein ganz wichtiger Baustein im Gesamtensemble der Sammlungen hier auf der Insel – was sind ihre Pläne für das Haus und wie wollen sie die Sammlung in den Kosmos Museumsinsel integrieren? Haben Sie bereits Kontakt zu den anderen Sammlungen gehabt und haben Sie Pläne für die Zusammenarbeit auf der Insel?
Ich habe schon viele Ideen, möchte aber mit dem Kollegium gemeinsam Pläne erarbeiten und diesem Prozess hier nicht vorgreifen. Denn hier im Haus gibt es bereits viele tolle Projekte, sehr viel geballtes Wissen. Einen Gedanken, der mich seit Längerem beschäftigt, kann ich vielleicht an dieser Stelle verraten. Die plastischen Bildwerke, egal aus welcher Epoche, kreisen immer wieder um dieselben Themen: Immer wieder finden wir zum Beispiel Porträts, Grabmäler oder die Darstellung von Gottheiten. Ich möchte das gern anhand unserer Sammlung zeigen und die verschiedenen Epochen auf diese Weise verknüpfen. Die Präsentation der Bildwerke muss also nicht zwangsläufig chronologisch sein, sie kann auch thematisch sein. Diese Themen ziehen sich durch die Kulturgeschichte der Menschheit, von der Vorgeschichte und Antike über das Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein. Sie verbinden die Museen auf der Insel und dies könnte man herausarbeiten.
Sie haben gesagt, Sie wollen die museale Arbeit hinter den Kulissen über das direkte Gespräch von Wissenschaftler*innen und Restaurator*innen mit den Besucher*innen in die Präsentation miteinbeziehen. Wie genau wollen Sie das machen, gibt es schon konkrete Pläne oder Projekte?
Ich bin erst relativ kurz da und konnte mich noch nicht mit allen Kolleginnen und Kollegen eingehender austauschen, weshalb ich jetzt für mich als Direktorin spreche. Ich möchte möglichst oft raus aus dem Büro ins Museum und zu den Besucher gehen, also Führungen für die Allgemeinheit anbieten, nicht nur für ausgewählte Gäste. Mir ist dieser unmittelbare Kontakt und das Feedback sehr wichtig. Dabei möchte ich auch unsere Museumsarbeit thematisieren und problematisieren. Wir können durchaus offenlegen, dass auch wir manchmal Zweifel an Künstlerzuschreibungen haben und aus welchen Gründen das so ist. Wir sollten erklären, warum wir manche Arbeiten für Meisterwerke halten und andere nicht. Wir sollten thematisieren, dass auch wir manchmal nicht sicher sind, ob vor uns ein Original oder doch eine perfekte Fälschung steht. Ich denke, es kann für das Publikum sehr spannend sein, wenn wir uns trauen, auch unsere Überlegungen oder Fragen offenzulegen und nicht nur deren Ergebnisse zu präsentieren. So können die Besuchenden unsere Methoden und uns als Wissenschaftler:innen kennenlernen.
Antje Scherner, neue Direktorin der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum; Foto: SPK / Photothek, Sebastian Rau
In den letzten Jahren gab es eine große Debatte, vor allem um Ethnologische Museen, in der teilweise gefordert wird, das eurozentrisch Konzept „Museum“ völlig zu überdenken. Gleichzeitig berührt der Diskurs um Provenienzen und das globale Kulturerbe immer häufiger auch Museen, die nicht aus dem völkerkundlichen Bereich stammen. Wie stehen Sie zu diesen Debatten?
Die Provenienzforschung ist sehr wichtig, nicht nur mit Blick auf mögliche Restitutionen, sondern auch weil sie uns die Geschichte der Objekte und ihren ursprünglichen Zusammenhang offenbart. Das ist hier auf der Museumsinsel natürlich ebenso wichtig wie in den Ethnologischen oder außereuropäischen Sammlungen. Wir müssen fragen: wie weit lässt sich ein Werk zurückverfolgen, was wissen wir über vorherige Besitzer und wie ist das Werk in die Sammlung gekommen? Mit diesem Wissen können wir weitere Bedeutungsebenen von Sammlungsobjekten erschließen. Wir geben den Werken einen bedeutsamen Teil ihrer Geschichte zurück, wenn wir z.B. sagen können, wo ein Werk lange Zeit aufbewahrt wurde, wo es gekauft, gefunden oder auch ergraben wurde. Die Provenienzforschung gehört als zweite Seite der Medaille zum wissenschaftlichen, bzw. kennerschaftlichen Arbeiten dazu.
Zu der Forderung, das Konzept Museum neu zu denken: Das hängt m.E. sehr davon ab, in welchem Museumsgebäude man ist. Das Bode-Museum hat natürlich das Privileg, noch sehr viel von seiner historischen Aura zu besitzen. Wir haben hier viele Räume, die sehr nah am ursprüngliche Konzept eingerichtet werden konnten und das würde ich nicht ohne Not aufgeben. Andererseits bin ich der Auffassung, dass wir als öffentliche Einrichtung die Verantwortung haben, auf die Erwartungen und Bedürfnisse unseres Publikums einzugehen und uns diesen Fragen stellen müssen.
Also eine mehr nach außen gewandte Haltung, anstelle des klassischen „Elfenbeinturms“ …
Diese Erwartungen der Öffentlichkeit zu kennen und darauf einzugehen, ist eine der zentralen Aufgaben, die wir haben. Am Bode-Museum haben wir das Ziel, mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Kontakt zu treten und gemeinsam zu erarbeiten, was wir im Museum zeigen. Die Grenze verläuft für mich dort, wo die Kunstwerke nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Wir wollen immer vom Kunstwerk ausgehen oder von Fragen an Kunstwerke oder Epochen. Insofern hängt das alles auch stark damit zusammen, was für einen Typ Sammlung man hat. In einer volkskundlichen Sammlung stellen sich natürlich ganz andere Fragen als bei uns. Aber ich will auf jeden Fall aktiv Einladungen an Menschen aussprechen, die vielleicht vorher nie auf die Idee gekommen wären, das Bode-Museum zu besuchen.
Außerdem wollen Sie Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besonders ansprechen. Warum ist Ihnen das wichtig und wie wollen Sie es machen?
Die Sammlung bietet z.B. mit ihren byzantinischen Objekten sehr gute Ansätze, um über den europäischen Tellerrand hinaus zu schauen. Es gibt hier auf der Insel das Projekt Multaka, die Teilnehmenden möchte ich sehr gern hierher einladen, gemeinsam schauen, was sie hier spannend finden, und das weiterverfolgen. Dieses Gespräch hat für mich Priorität, damit möchte ich schnell beginnen.
Antje Scherner, neue Direktorin der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum; Foto: SPK / Photothek, Sebastian Rau
Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, hat neulich in einem Interview gesagt, er wolle die Insel als Ganzes in den Vordergrund rücken und noch besser die Besucherinnen ansprechen, also im Grunde so etwas wie eine Marketing-Offensive – wie stehen Sie dazu?
Das sehe ich genauso! Ich komme aus einem Haus, in dem immer über Disziplinen hinweg zusammengearbeitet wurde. In Kassel, wo ich die fürstliche Sammlung betreut habe, habe ich sehr eng mit einer Kollegin aus der Vor- und Frühgeschichte und einer europäischen Ethnologin zusammengearbeitet. Genau diesen Ansatz bietet auch die Museumsinsel : Wir können hier immer wieder unkompliziert mit Leihgaben arbeiten, um häuserübergreifende Bezüge aufzuzeigen. Es gibt immer wieder Zusammenhänge, die man nicht entdeckt, wenn man nur chronologisch arbeitet, die aber thematisch Sinn ergeben. Das finde ich faszinierend und damit kann man vieles entwickeln. Schon Wilhelm (von) Bode, der Namensgeber unseres Museums, hat zu seiner Zeit Bestände gesammelt, die diese Möglichkeiten bieten, und das wollen wir weiterverfolgen. Dies setzt natürlich voraus, dass man seine Bestände gut im Griff hat, deswegen möchte ich auch hier die Ideen im Kollegium entwickeln. Ich glaube, dass die Museumsinsel als Ganzes das Pfund ist, mit dem wir wuchern müssen. Letztlich profitieren alle davon, wenn wir als Verbund zusammenstehen und gemeinsames Marketing für den Standort machen. Wenn die Archäologische Promenade dann in der Zukunft alle Häuser miteinander verbindet, gewinnen wir hier eine Qualität, die der des Louvre nahekommt. Ich möchte aber nicht nur die Tourist:innen ansprechen, sondern auch die Berlinerinnen und Berliner. Vor allem letztere möchte ich ins Museum holen und gezielt bestimmte Bevölkerungsgruppen und Communities ansprechen, z.B. mit Jahresprogrammen und ähnlichem. Das passiert derzeit schon, aber ich möchte das noch stärker in den Vordergrund rücken.
Sie kommen inmitten eines grundlegenden Reformprozesses in die SPK. Bis Ende des Jahres sollen die Museumsteams an den Start gehen, auch auf der Museumsinsel wird es dann ein neues Team geben. Haben Sie diese Prozesse von außen ein bisschen verfolgt? Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in dieser Transformation?
Mir ist es aus der Außenperspektive sehr schwer gefallen zu verstehen, wo der Prozess gerade steht. Ich finde es aber auf jeden Fall reizvoll und richtig, dass die Direktionen der Häuser mehr Autonomie bekommen sollen. Ich glaube nicht, dass die Sammlungen inhaltlich auseinanderdriften werden, denn es wird ja weiterhin eine enge Zusammenarbeit und eine gemeinsame Direktionskonferenz aller Museen geben. Ich habe in der kurzen Zeit, die ich hier bin, schon gesehen, wie gut der Austausch zwischen den Museen funktioniert und wie eng teilweise die wissenschaftlichen Kontakte sammlungsübergreifend sind. Ein Auseinanderdriften befürchte ich gar nicht, im Gegenteil: Ich habe in meiner eigenen beruflichen Vergangenheit immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es ein Win-Win ist, wenn man über Disziplinen hinweg zusammenarbeitet und sich austauscht.
Zum Abschluss eine persönliche Frage. Sie haben einen fachlichen Fokus auf der italienischen Skulptur bis zum Barock – haben Sie ein Lieblingsobjekt in der Sammlung des Bode-Museum?
Ich mag so viele Teile dieser Sammlung. Natürlich liegt mein Schwerpunkt auf dem römischen Barock und eines meiner Lieblingsobjekte ist der kleine Putto von Bernini, aber ich mag auch sehr gern die spätgotischen Bestände. Die Sammlung ist viel zu großartig und hochkarätig, um sich da auf ein Objekt festzulegen. Ich will tatsächlich sehr gern mit dem Kollegium zusammen ein Projekt machen, bei dem sich jeder zehn Objekte aussuchen kann, die man gesehen haben muss, so ähnlich wie eine „Bucket List“. Ich fände es toll, wenn wir das dann als „Unsere Empfehlung“ präsentieren würden. Das können auch ganz unscheinbare oder ungewöhnliche Objekte sein, jenseits der üblichen Highlights. So kann man die Sammlung vielleicht neu entdecken – ich würde mich sehr freuen, so ein Projekt anzustoßen.
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