Im Krieg verloren – eine antike Vase aus dem Alten Museum kehrt zurück
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Seit Mai 2020 gibt es in der Antikensammlung im Alten Museum
ein neues Objekt zu bewundern: Eine antike griechische Vase. Sie wurde
vom Kulturhistorischen Museum Magdeburg an die Antikensammlung
übergeben, aus der sie ursprünglich stammte.
Ab
1945 galt das Gefäß als Kriegsverlust und gelangte 2001 durch den
Nachlass des Magdeburgers Hans-Joachim Riecke in die Sammlungen des
dortigen Kulturhistorischen Museums. Im Rahmen der Aufarbeitung der
vielschichtigen Sammlung Rieckes entdeckten die Wissenschaftler*innen in
Magdeburg, dass die Vase der Berliner Antikensammlung gehört. Die
Landeshauptstadt Magdeburg als Träger des Kulturhistorischen Museums
Magdeburg entschloss sich daher zur Rückgabe des Objektes.
Bei dem
Gefäß handelt es sich um eine attisch weißgrundige Lekythos, ein in
Athen hergestelltes Salbölgefäß aus der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v.
Chr., das im Grabkult verwendet wurde. Die Lekythos war 1912 für die
Antikensammlung erworben worden. Bis in die dreißiger Jahre war sie
gemeinsam mit ihrem Gegenstück, das bis heute verschollen ist, im Alten
Museum ausgestellt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Objekte
zu ihrem Schutz verpackt; die Kiste befand sich bei Kriegsende 1945 im
Keller des Pergamonmuseums. Über den anschließenden Verbleib der Vase
war bis zu ihrer Entdeckung in Magdeburg nichts bekannt.
Weißgrundige
Lekythen tragen über dem weißen Überzug oft mit bunten Mattfarben
virtuos aufgemalte Figurenbilder. Diese Gefäße – hier Beispiele im
Athener Nationalmuseum – wurden in Athen nur für den Grabkult
hergestellt. Die Flaschen enthielten Öl für die Salbung des Leichnams
und wurden bei der Aufbahrung im Haus und am Grab verwendet. Sie bilden
die schönste und qualitätvollste Malerei, die uns aus dem 5. Jh. v. Chr.
überliefert ist.
Die
dargestellten Themen stehen in direktem Zusammenhang mit den attischen
Totenritualen. Sie zeigen das Zwiegespräch zwischen Lebenden und Toten,
Rituale wie Aufbahrung, Szenen der Grabpflege und häufig, wie hier, den
Abschied eines Kriegers, der nicht zurückkehren wird.
Das
verlorene Gegenstück zu der Vase lieferte die Fortsetzung der
Geschichte: Dort war der Besuch einer Frau am Grab eines jungen Kriegers
dargestellt, der selbst über sein Schicksal trauernd vor seinem Grabmal
sitzt. Die beiden als Paar angefertigten Lekythen wurden vermutlich um
440/30 v. Chr. geschaffen.
In
Athen wurden von ca. 460 bis 400 v. Chr. Tausende dieser mit
empfindlichen Farben bemalten Gefäße hergestellt. Wir kennen Maler –
wenn auch anonym – die sich auf diese Gattung spezialisiert hatten.
Archäologen konnten ihr erhaltenes Oeuvre aufgrund von Charakteristika
der Malerhandschrift zusammenstellen und gaben ihnen Rufnamen. So heißt
der Schöpfer der Magdeburger Lekythos „Quadrat-Maler“, weil er in seinen
Ornamentbändern oft ein Quadrat mit einem Schachbrettmuster einsetzt.
Auch sein Figurenrepertoire ist gut erkennbar, bisher werden ihm über 70
Gefäße zugeschrieben.
Durch
die besondere Qualität der Darstellung und die charakteristische
Fehlstelle im Gefäßkörper ist die Magdeburger Lekythos jedoch
unverwechselbar. Bei den Recherchen zur Bestimmung der Lekythos wurde
sehr schnell klar, dass es sich bei der Magdeburger Vase um ein Original
des „Quadrat-Malers“ aus der Zeit um 440/30 v. Chr. handelt. Es stellte
sich aber auch heraus, dass die Vase, zusammen mit ihrem
Schwesterstück, einstmals Teil der Berliner Antikensammlung war und seit
dem Ende des Zweiten Weltkriegs als verschollen galt.
Nach
den Inventaren der Antikensammlung gehörte das Stück zur Sammlung des
jüdischen Frankfurter Großindustriellen Friedrich Ludwig von Gans
(1833-1920), die dieser 1912 der Antikensammlung geschenkt hatte. Die
Sammlung Gans war einer der bedeutendsten Zuwächse für die
Antikensammlung überhaupt und bestand hauptsächlich aus wertvollen
Goldarbeiten und exquisiten Gläsern. Sie war damals im Alten Museum in
einem eigenen Saal ausgestellt.
Ab
1943 verbrachte man die herausragenden Objekte aus den Berliner
Sammlungen zu ihrem Schutz in die beiden Flakturmbunker am Zoologischen
Garten und in Friedrichshain sowie in die Tresore im Keller der
Reichsmünze. Weniger wertvolle oder schwer transportable Gegenstände,
unter ihnen unsere Vase, verblieben im Keller des Pergamonmuseums.
Allerdings zeigte sich beim Einpacken, dass viele der weit mehr als
100.000 Objekte keine Nummer besaßen oder die alte Nummer
verlorengegangen war. Deshalb wurden neue, fortlaufende Nummern mit
einem x am Ende vergeben und in einer Liste erfasst.
In
der Tat stellte sich heraus, dass bei dem Ölgefäß in Magdeburg auf der
Unterseite des Fußes mit Bleistift die fragliche Nummer 3353 x notiert
war. Damit handelte es sich bei der Vase um eine der beiden Lekythen,
die mit der Standortangabe „Antiquarium, Gelbes Zimmer, Schrank“ in
Kiste A 93 verpackt wurden. Vor dem Anmarsch der Sowjetarmee wurden die
berühmtesten Stücke der Kleinkunstsammlung, darunter der Schmuck und die
Gläser der Sammlung Gans nach Westen ausgelagert. Vasen, Terrakotten
und Bronzen verblieben meist in Berlin und wurden mehrfach umgelagert.
Viele Objekte, wie auch die beiden Lekythen, gingen in der Folgezeit
verloren.
Es
ist ein außergewöhnliches Glück, dass die Lekythos trotz ihrer
wechselvollen Geschichte überhaupt und in so gutem Zustand erhalten
geblieben ist. Am 19. Mai 2020 aus ihrem Exil im Kulturhistorischen
Museum Magdeburg zurückgekehrt, tritt sie nun hier in der
Dauerausstellung in einen Austausch mit ihresgleichen. Es ist zu hoffen,
dass auch ihr verlorenes Gegenstück eines Tages wieder auftaucht.
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