„Impressionismus ist eine Haltung“ – Kuratorin Anna Pfäfflin im Interview
Lesezeit 9 Minuten
Anna Pfäfflin ist Kuratorin für das 19. Jahrhundert am Kupferstichkabinett. Im Interview spricht sie anlässlich der neuen Ausstellung im Haus über überraschende Seiten des Impressionismus.
Interview: Louis Killisch
Die Kunst des 19. Jahrhunderts feiert 2024 gleich zwei große Jubiläen: Den 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs und 150 Jahre Impressionismus – viel zu tun für Anna Pfäfflin, Kuratorin am Kupferstichkabinett und zuständig für diese Epoche. Wir treffen sie während der Aufbauarbeiten ihrer Ausstellung „Der andere Impressionismus“ und sprechen über die unbekannten Seiten einer vermeintlich allseits bekannten Kunstrichtung.
Impressionismus und Druckgraphik sind zwei Begriffe, die man nicht automatisch miteinander verknüpfen würde. Trotzdem machen Sie eine ganze Ausstellung dazu. Was verstehen Sie unter dem „anderen“ Impressionismus?
Anna Pfäfflin: Wenn man an Impressionismus denkt, dann denkt man an Gemälde, farbenfroh, in Öl auf Leinwand. Wir zeigen hier nun aber Druckgraphiken auf Papier – noch dazu oft in Schwarz-Weiß. Für viele ist das erstmal eine totale Überraschung. Man muss aber wissen, dass fast alle impressionistischen Künstlerinnen und Künstler – mit Ausnahme von ausgerechnet Claude Monet – auch druckgraphisch tätig waren. Wenn man den Impressionismus nur malerisch denkt, dann denkt man ihn also nur halb.
Sowohl das jeweilige Œuvre als auch die Stilrichtung an sich sind ohne den „anderen“, den druckgraphischen Impressionismus nicht vollständig. Auch auf der ersten Impressionismus-Ausstellung 1874 gehörte die Druckgraphik ganz unbedingt mit dazu. Damals wurde ja der Name dieser Stilrichtung geboren, deren 150. Jubiläum wir in diesem Jahr feiern.
Auch thematisch gibt es Überschneidungen zwischen Malerei und Druckgraphik: Im Zentrum steht immer das Licht. Die Industrialisierung spielte dabei eine entscheidende Rolle. Manche sagen sogar, ohne sie hätte es gar keinen Impressionismus gegeben. Mit der Industrialisierung änderte sich die Zusammensetzung der Luft (es gab Rauch, Dampf und sogar Smog), wodurch sich das Licht anders brach. Das wiederum inspirierte die Künstlerinnen und Künstler des Impressionismus.
Welche Künstler*innen sind denn in der Ausstellung zu sehen?
Es ist eine spannende Mischung aus bekannteren Impressionistinnen und Impressionisten, wie Manet, Renoir oder Cassatt, und unbekannteren. Insgesamt haben wir Druckgraphiken von etwa 40 Künstlerinnen und Künstlern aus sechs Nationen hier hängen. Das zeigt, wie international der Impressionismus ist und wie schwer es ist, eine Auswahl zu treffen. Aus unserer umfangreichen Sammlung habe ich versucht von einer künstlerischen Position immer mehrere Werke auszuwählen, damit man einen Eindruck des jeweiligen Œuvres erhält.
Die großen Maler*innen des Impressionismus arbeiteten bevorzugt in der freien Natur. War das in der Druckgraphik überhaupt so möglich? Nahm man die Druckplatten dann einfach mit?
Der englische Künstler Francis Seymour Haden nahm tatsächlich seine Druckplatten mit wie andere ihre Skizzenbücher. Generell ist es aber auch bei der Gemäldemalerei oft ein Missverständnis, dass die Künstlerinnen und Künstler mit ihren Riesenleinwänden in der freien Natur standen. Man denke nur an den Pointilismus, der ja eine sehr mathematische Art der Kunst ist. Da wäre dies kaum vorstellbar. Bei den Druckgraphiken wurde oft mit der Kaltnadel direkt vor Ort in die Platte geritzt, während etwas kompliziertere Verfahren, wie z.B. Aquatinta und andere Ätzvorgänge, dann in der Werkstatt erfolgten.
Erwähnenswert sind auch jene Künstler, die sich ab den 1850er Jahren im Wald von Fontainebleau trafen. Sie nutzten die Technik des Cliché-Verre. Dabei wurde eine lichtundurchlässige Glasplatte verwendet, in die die Künstler ihre Zeichnungen einritzten. In einem zweiten Schritt legte man die Glasplatten auf foto-sensibles Papier. Die Belichtung der Sonne löste dann den Prozess der Zeichnung aus. Die Arbeiten sind auch heute noch extrem lichtempfindlich.
Vorsicht, lichtempfindlich! Anna Pfäfflin bringt einen temporären Lichtschutz über den Cliché-Verre-Arbeiten an. Foto: SPK / Killisch
Fotografie und Druckgraphik kommen sich in dieser Zeit ganz nahe, wenn man sich zum Beispiel eine Druckgraphik von Camille Corot neben einer Fotografie von Louis-Désiré Blanquart-Evrards ansieht. Man hat fast den Eindruck, als hätten beide Künstler dasselbe Waldstück „abgelichtet“, der eine mit einem von Hand gezeichneten Negativ, der andere mit der Fotokamera: Die Ähnlichkeit ist verblüffend – wie der Fokus gesetzt wird, wie nah sie der Natur kommen, wie sie den Wald quasi inhalieren.
Sie zeigen auch einzelne Radierungen von Rembrandt. Der war doch gar kein Impressionist, oder?
Impressionismus ist mehr als nur eine Stilrichtung innerhalb bestimmter Epochengrenzen. Impressionismus, bzw. die Welt impressionistisch zu sehen, ist eine Haltung. Deshalb bezeichne ich Rembrandt als einen Impressionisten avant la lettre. Rembrandt ist quasi der Alter Ego aller Malererradiererinnen und Malerradierer. Keiner hat je besser Licht und Schatten in seinen Werken darstellen können. Auf ihn beziehen sich alle.
Der schon erwähnte englische Künstler und Sammler Francis Seymour Haden kam 1881 nach Berlin ins Kupferstichkabinett, einen Monat bevor hier die legendäre Ausstellung „Maler-Radierungen französischer und englischer Künstler der Neuzeit“ eröffnete. Haden, der selbst eine große Rembrandt-Sammlung besaß, schenkte dem Kupferstichkabinett damals seine Monographie über Rembrandt. Er hat sich viel mit ihm beschäftigt, sowohl theoretisch wie auch als Künstler. In unserer Ausstellung haben wir darum Radierungen von Rembrandt neben Arbeiten von Haden gehängt.
Und weil wir die Epochengrenzen des Impressionismus möglichst aufdehnen wollten, zeigen wir in unserer Ausstellung auch elf Fotografien des Piktorialismus (alle sind Leihgaben aus dem Museum für Fotografie). Blanquart-Evrard wurde eben schon im Zusammenhang mit dem Cliché Verre erwähnt. Hadens „Sonnnuntergang in Irland“ konfrontieren wir mit Hans Watzeks Fotografie „Sumpfige Wiese“ aus dem Jahr 1896. Es entseht der Eindruck eines regnerischen Tages in mildem grünlichem Licht – auch das ist Impressionismus! Durch solche medien- und epochenübergreifenden Konstellationen wollen wir diese These unserem Publikum sinnlich und intuitiv vermitteln.
Francis Seymour Haden, Sonnenuntergang in Irland, 1863, Radierung und Kaltnadel, auf geripptem Büttenpapier, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz
Hans Watzek, Sumpfige Wiese, 1896, Fotografie, Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz
Sie sprachen eben die Ausstellung von 1881 im Kupferstichkabinett an. Welche Rolle spielte diese für den Aufbau einer Sammlung impressionistischer Druckgraphik in Berlin?
Mit einem roten Balken haben wir extra all jene Werke markiert, die auch schon in der Ausstellung von 1881 zu sehen waren. Die damalige Schau bildet so etwas wie die DNA unserer jetzigen Präsentation. Damals haben sich Kupferstichkabinett und Nationalgalerie unter ihren Direktoren Friedrich Lippmann und Max Jordan zusammengeschlossen um drei Ziele zu erreichen:
Erstens sollte der Museums-Kanon aufgesprengt werden. Nicht nur Historisches, sondern auch die zeitgenössische Kunst sollte ins Museum kommen. Zweitens sollte das Publikum für zeitgenössische Kunst begeistert werden. Und drittens sollten deutsche Künstlerinnen und Künstler von der internationalen Kunst inspiriert werden. Aus der Ausstellung von 1881 wurden damals 300 Werke für das Kupferstichkabinett angekauft. Das war sehr früh! 15 Jahre bevor Manets „Im Wintergarten“ von der Nationalgalerie erworben wurde, als weltweit erstes impressionistisches Gemälde in Museumsbesitz. Die Druckgraphik hingegen kam leiser, praktisch durch die „kalte Küche“, in unsere Sammlung. Als Folge der Ausstellung wurde bei uns dann 1897 die Neue Abteilung für moderne Kunst gegründet.
Edouard Manet, Im Wintergarten, 1879, Gemälde / Öl auf Leinwand, bpk / Nationalgalerie, SMB / image by google
Die Zusammenarbeit zwischen Nationalgalerie und Kupferstichkabinett war 1881 erfolgbringend. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen für das Kupferstichkabinett heute?
In diesem Jahr war natürlich das Caspar-David-Friedrich-Jubiläum institutionsübergreifend bestimmend. An der Ausstellung „Unendliche Landschaften“ in der Alten Nationalgalerie beispielsweise, waren auch wir mit sehr vielen Leihgaben beteiligt. Auf den ersten Blick erscheint das ganz gegensätzlich zum Impressionismus zu sein: Die Kunst Caspar David Friedrichs ist ja spätestens seit der Jahrhundertausstellung von 1906 ein wichtiger Faktor für die nationaler Identität.
Der Impressionismus gilt hingegen als der erste internationale Stil. Letztlich sind es aber einfach zwei Seiten einer Medaille. Ich muss also das Charakteristische einer nationalen Schule beschreiben können, um diese Grenzen dann zu sprengen. Es gibt kein Internationales ohne das Nationale. Wir unterscheiden den französischen, den englischen, den niederländischen, schwedischen oder deutschen Impressionismus und weil die Künstlerinnen und Künstler gerade in der Druckgraphik besonders mobil sind und sich gegenseitig beeinflussen, wird der Impressionismus der erste Stil der internationalen Moderne.
Camille Pissarro, Rouen. Platz / Place de la République…, 1883, Radierung, bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Dietmar Katz
Auch mit dem Museum Barberini in Potsdam haben wir im Rahmen unserer Ausstellung eine tolle Kooperation geschlossen, mein Dank geht hier insbesondere an die Direktorin Dr. Ortrud Westheider. In Potsdam ist nämlich zeitgleich eine Art Spin-Off unserer Ausstellung mit dem Titel „Der andere Impressionismus des Camille Pissarro“ zu sehen: 26 Pissarro-Druckgraphiken aus dem Bestand des Berliner Kupferstichkabinetts. Einen besseren Multiplikator für unsere impressionistischen Werke als das Barberini kann es kaum geben!
Sind Ihnen im Zuge der Arbeit an dieser Ausstellung einige Bilder besonders ans Herz gewachsen?
Johan Barthold Jongkinds „Abendsonne im Hafen von Antwerpen“ (1868) ist für mich ein sehr wichtiges Werk. Weil es eine Radierung in Schwarz-Weiß ist, sieht man letztlich gar nicht, ob es sich um einen Sonnenauf- oder untergang handelt. Jongkind hat das Werk 1868 geschaffen, vier Jahre vor Claude Monets Gemälde „Impression, Sonnenaufgang“ von 1872, das ja namensgebend für den Impressionismus gewesen ist. Monet bezeichnete Jongkind sogar als seinen Lehrmeister im Sehen. Das ist natürlich gewaltig, wenn der größte Maler des Impressionismus sagt: „Das Sehen habe ich gelernt von einem Druckgraphiker.“
Edvard Munch, Harry Graf Keßler, 1906, Gemälde / Öl auf Leinwand, Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Auch Albert Besnards „Über der Asche“ (1887), das unser Cover- und Katalogmotiv ist, gehört zu meinen Favoriten. Es ist ein magisches Blatt – dieser intensive Blick und mit welcher Kunstfertigkeit der Rauch hier dargestellt wird. Gleichzeitig hat es auch etwas Unheimliches, an die Ästhetik von Hitchcock erinnernd. Besnard widmete „Über der Asche“ übrigens Auguste Rodin, dem größten impressionistischen Bildhauer. Und noch ein weiterer Impressionismus-Bezug: Das Werk kommt 1937 in den Bestand des Kupferstichkabinetts – ein problematisches Jahr, wo man natürlich erstmal alarmiert ist. Mein Kollege Sven Haase vom Zentralarchiv hat zu der Arbeit die Provenienz erforscht und herausgefunden, dass es von Max Goertz kam, dem Lebensgefährten Harry Graf Kesslers, der in Berlin zum größten Fürsprecher des Impressionismus wurde und den Stil in der Kunstzeitschrift Pan in Deutschland bekannt gemacht hat.
Klingt so, als ob Sie die impressionistische Druckgraphik noch eine Weile verfolgen wird.
Natürlich ist diese Ausstellung erstmal ein krönender Höhepunkt. Aber wahrscheinlich wird mich das Thema jetzt nicht mehr loslassen. Mit den tollen Werken, die wir in unserer Sammlung haben, hätte ich 15 unterschiedliche Ausstellungen gestalten können. Material hat das Kupferstichkabinett zum Glück genug.
Die Provenienzforscherin Hanna Strzoda und Anna Pfäfflin, Kuratorin im Kupferstichkabinett, schildern die täglichen Probleme bei der Herkunftsforschung in einer graphischen… weiterlesen
Mit der neuen Ausstellung „Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann“ widmet sich die Alte Nationalgalerie dem Aufbruch künstlerischer Avantgarden in den Kunstmetropolen… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare