Kostbarer Stein an den Versorgungsschächten der Neuen Nationalgalerie
Ein Blickfang in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie sind die raumhohen Versorgungsschächte. Sie beeindrucken nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Verkleidung mit grünem Marmor. Warum die Platten während der Bauarbeiten größtenteils vor Ort bleiben, erklärt Redakteurin Constanze von Marlin.
Das Interesse an Naturstein war für Ludwig Mies van der Rohe familiär begründet: Von 1887 bis 1900 erlernte der das Steinmetzhandwerk bei seinem Vater an der Aachener Dombauschule. In vielen seiner Bauten setzte Mies seine Kenntnis des Handwerks und seine besondere Wertschätzung für das Material ein, um spektakuläre Akzente zu setzten. Der legendäre Barcelona-Pavillon von 1929 sorgte nicht nur wegen seines „freien Grundrisses“ für Furore, sondern auch wegen der Wände aus kostbarsten Materialien wie goldenem Onyx doré und grünem Tinos Marmor.
Die Idee, Wände von ihrer Tragefunktion zu befreien, gilt als stilbildend für die moderne Architektur. Die tragenden Elemente des Pavillons sind die Außenwände und einige Stahlsäulen. Die Wände im Inneren haben demnach nur noch die Funktion von Raumteilern oder Flächen im Raum. Das von Mies entwickelte innovative Prinzip der freistehenden Wand ist unmittelbar mit der Idee verbunden, den wertvollen Stein in Szene zu setzen. Die Onyx-Wand kann nur durch ihre Platzierung als freistehendes Objekt in ihrer Schönheit voll zur Geltung kommen.
Keine Konkurrenz für die Kunst
In der stützenfreien oberen Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie befinden sich nur wenige Einbauten. Je zwei Treppenabgänge in Metall und Glas, Garderoben im warmen Farbton der Brauneiche und die mit griechischem Stein verkleideten, monumentalen Schächte gliedern den Raum.
„Mies wollte damit die Farbe Grün in die Halle bringen, die aber nicht so dominant sein sollte, als dass eine Konkurrenz für die ausgestellten Bilder entstünde“, sagt der damalige Projektleiter im Büro von Mies van der Rohe, Dirk Lohan. „Daher wurden die Platten lediglich stumpf geschliffen und nicht poliert, damit sie keine Reflexionen hervorrufen.“ Die Schächte sind mit drei Zentimeter starken Platten aus südägäischem, brekziösem Serpentinit (Handelsbezeichnung Tinos Marmor) verkleidet.
„Ein ausgesprochener Kenner von Steinarbeiten“
Lohan erinnert sich an die besonders sorgfältige Auswahl und Anordnung des Natursteins durch Mies: „Mein Großvater war ein ausgesprochener Kenner von Steinarbeiten und ich habe viel von ihm lernen können. In meinen Gesprächen mit ihm über die Verkleidung der Schächte sprachen wir über den Tinos Marmor, der uns natürlich bekannt war. Ich bin deswegen nach Italien gereist und habe dort die Blöcke mit der Absicht ausgesucht, möglichst wenig Maserung in den geschnittenen Platten zu erhalten. Mit der Firma für den Einbau des Marmors in Berlin habe ich vereinbart, dass die Platten nicht bookmatched, also von der Maserung spiegelbildlich eingebaut werden, sondern in einfacher Reihung. So entstehen keine symmetrischen, dekorativen Formbilder, sondern es wird nur eine langsame Veränderung der Maserung von Platte zu Platte sichtbar.“
Obwohl die aktuelle Grundinstandsetzung des Museums einen Rückbau bis auf den Rohbau erforderlich macht, bleiben die Schachtverkleidungen im Obergeschoss auf drei Seiten bestehen, denn jeder Eingriff birgt die Gefahr einer Beschädigung. Da jedoch der Stein gezielt ausgesucht wurde, wäre es schwer, die Platten zu ersetzen. „Um die Schächte im Zuge der Grundinstandsetzung mit modernen Haustechnikelementen zu bestücken, muss eine Seite der wertvollen und einzigartigen Verkleidung geöffnet werden“, erklärt Arne Maibohm vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. „Die anderen Flächen werden während der Bauzeit geschützt und nur gereinigt.“
Suche nach der Lücke
Ausgangspunkt für die notwendige Entfernung der Platten war die Kenntnis der bauzeitlichen Konstruktion. Die beiden Schächte sind dreiseitig geschlossene Stahlbetonkonstruktionen mit je einer Wand aus Mauerwerk, um zur Bauzeit eine Bestückung mit Lüftungskanälen sinnvoll im Bauablauf vornehmen zu können. Aus dem erhaltenen Plan A19 von Mies van der Rohe geht zwar hervor, auf welcher Seite die Ausmauerung vorgenommen wurde – dennoch wurden die Schachtwände mit einem Metalldetektor untersucht, der auf die stählerne Bewehrung im Beton reagiert. Die Fachleute fanden so bestätigt, dass die Ausmauerungen auf den Seiten zur Fassade hin, also beim Südschacht auf der Südseite und beim Nordschacht auf der Nordseite liegen.
Verschwindende Anker für mehr Eleganz
Außerdem wurde über die Metalldetektion die Lage der Anker festgestellt: In jeder Lagerfuge sind zwei Traganker, die die obere Platte tragen und die untere Platte in ihrer Lage halten. „Die Eleganz besteht darin“, so Manuela Figaschewsky von der Firma Gebauer Steinmetz, „dass die Edelstahlanker wegen der gewünschten, sehr geringen Fugenbreite im Stein verschwinden.“
Nach den Voruntersuchungen durch ProDenkmal entfernte die Firma Gebauer Teile der Vorhangfassaden aus den Natursteinplatten. Nachdem die erste Platte millimetergenau angehoben und der Anker durchschnitten worden war, wurden auch alle weiteren Natursteinplatten ohne Beschädigung entfernt. Dabei wurde die Lage und Ausrichtung der Marmorplatten genau dokumentiert. Wenn die notwendigen Arbeiten in den Schächten erledigt sind, werden die Platten an ihrem ursprünglichen Platz wieder eingesetzt, sodass keine Spur des Eingriffs mehr sichtbar ist.
Text: schmedding.vonmarlin.
Titelfoto: Thomas Bruns / BBR
Kommentare
Liebes Schmeidig/vonMalin Team, euch ist im Text ein kleiner Fehler unterlaufen: Auf dem von ihnen genannten Plan A19 sind die Rastermaße der Schachtverkleidungen eindeutig nicht die gleichen vom restlichen Bau. Die Längsseiten rastern auf 165 cm, die Schmalseiten auf 180 cm.
Eine Korrektur wäre schön 🙂
Ansonsten lässt sich anhand Plan A19 unter Zuhilfenahme von Plan A7 eindeutig feststellen, auf welcher Seite die gemauerte Wand des nördlichen Schachts liegt. Ergibt natürlich Sinn trotzdem nachzuforschen, aber man hatte zumindest einen Anhaltspunkt.
Lieber Dirk M., mit den abweichenden Maßen der Plattengrößen am Versorgungsschacht vom Grundraster haben Sie vollkommen recht, da ist uns trotz größter Sorgfalt bei der Recherche ein Fehler unterlaufen. Und zu Ihrem 2. Punkt: Planung und Ausführung eines Gebäudes sind nicht immer deckungsgleich, daher geboten die besonderen Umstände der Grundinstandsetzung des denkmalgeschützen Museums eine Überprüfung am Bestand. Constanze von Marlin
Wundervolle Sanierung der Versorgungschächte, ein schöner Anblick für jeden Steinmetz. Die Nationalgalerie entwickelt sicht wirklich fabelhaft. Dies ist nun schon knapp das dritte Projekt bezüglich einer Sanierung von der mir berichtet wurde.