Krieg und Keramik. Eine ukrainische Archäologin im Alten Museum
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Als der Krieg ausbrach, floh die ukrainische Archäologin Iryna Chechulina aus Kiew nach Berlin. Im Alten Museum forscht sie nun weiter an antiker Keramik – doch in ihrer Heimat ist das kulturelle Erbe massiv gefährdet.
Sie sind jetzt im Rahmen eines Stipendiums der SPK für Wissenschaftler, die aus der Ukraine fliehen mussten, am Alten Museum – was genau machen Sie dort?
Es gibt eine Sammlung von schwarz glasierter Keramik, vor allem aus der altgriechischen Region Attika, rund um die Stadt Athen, aber auch aus anderen Regionen, die bisher noch nicht erforscht wurde. Meine Hauptaufgabe besteht darin, sie zu analysieren, Datierungsinformationen zu finden, die Typologie der Stücke zu bestimmen und herauszufinden, ob sie tatsächlich aus der Region Attika stammen oder nicht. Der erste Schritt in diesem Prozess besteht darin, die Stücke von Hand zu zeichnen, dann übertrage ich die Zeichnungen in ein Illustrator-Programm und schreibe einen vollständigen Katalog mit allen Informationen, den andere Wissenschaftler:innen lesen können.
Haben Sie sich schon für die Sammlung des Alten Museums interessiert, bevor Sie nach Deutschland kamen?
Ich habe im letzten Dezember meine Dissertation verteidigt und mein Hauptthema war eigentlich attische schwarz glasierte Keramik, aber aus dem pontischen Olbia in der Ukraine, einer griechischen Schwarzmeer-Kolonie. Die Materialien sind jedoch ziemlich ähnlich, da bereits in der Antike Keramik aus Athen und der Region Attika in die ganze bekannte Welt exportiert wurde. Ich habe also schon vorher mit Keramik gearbeitet und wusste natürlich von der umfangreichen Sammlung im Museum in Berlin, aber ich wusste nicht, dass große Teile dieser Sammlung bisher unerforscht waren. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, mit diesen Objekten arbeiten zu können.
Sind Sie unmittelbar nach Kriegsbeginn am 24. Februar nach Deutschland gekommen?
Ich blieb zwei oder drei Wochen in Kiew, nachdem der Konflikt eskaliert war, und in dieser Zeit war es ziemlich schlimm. Als Freunde von mir Kiew verließen, ging ich mit. Wir sind nach Berlin gekommen, weil es dort eine Unterkunft für uns gab. Aber meine ganze Familie ist noch in Kiew und Gott sei Dank geht es ihnen jetzt gut.
Wie haben Sie von dem Stipendienprogramm der SPK erfahren, als Sie nach Berlin kamen?
Um ehrlich zu sein, habe ich einfach an das Alte Museum geschrieben und ihnen gesagt, wer ich bin und woran ich arbeite. Glücklicherweise hat mir Martin Maischberger, der stellvertretende Direktor des Museums, sofort geantwortet und mir gesagt, dass man an meiner Arbeit interessiert sei und mir helfen könne. Wir haben uns kurz darauf getroffen und es hat alles geklappt.
Wie ist das Arbeitsumfeld und wie ist die Arbeit mit der Sammlung im Alten Museum jetzt für Sie?
Es ist großartig. Ich bin so froh, dass ich mit solchem Material arbeiten kann. Wir haben zwar ähnliche Objekte zu Hause in der Ukraine, aber viele der Töpferwaren von dort sind fragmentiert und in Stücken, während wir hier in Berlin wunderbare intakte Stücke haben. Ich kannte solche Formen nur von Bildern oder von Museumsbesuchen, aber jetzt mit ihnen arbeiten zu können, ist großartig. Ich möchte auch sagen, dass ich sehr dankbar bin, dass ich in diesen für mich und mein Land schwierigen Zeiten die Möglichkeit habe, direkt in meinem Fachgebiet zu arbeiten. Es ist ein großer Schritt in meiner archäologischen Karriere und ich bin sehr froh, dass meine Arbeit auch für das Alte Museum hilfreich und nützlich sein kann. Daher schätze ich meine Arbeit in einem so wunderbaren Kollektiv sehr.
Konnten Sie bei Ihrer Arbeit hier in Berlin schon neue Erkenntnisse gewinnen?
Meine Arbeit ist ein Beitrag zur Erfassung der Sammlung. Zum Beispiel sind einige der Töpfe, die im 19. Jahrhundert gekauft wurden, noch nicht publiziert worden. Wenn ich also dazu beitrage, diese Objekte und Sammlungen zu veröffentlichen, ist das gut für meine wissenschaftliche Arbeit, aber auch für das Museum. Und ich kann feststellen, dass einige der Stücke wirklich einzigartig sind, es gibt zum Beispiel sehr interessante Stempel auf den äußeren Verzierungen.
Ich habe vorher mit einigen Wissenschaftlern des Alten Museums gesprochen, die ein großes Kooperationsprojekt mit russischen Kollegen hatten. Sie bedauerten, dass die jahrelange Arbeit durch den Krieg zerstört wurde, da alle Projekte mit russischen Institutionen auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt sind. Wie denken Sie darüber?
Ich habe davon gehört und verstehe, dass es sehr traurig ist, all die Fortschritte zu verlieren, die in diesen Projekten über Jahre hinweg gemacht wurden. Ich verstehe auch, dass Wissenschaftler aus Russland ebenfalls unter den Folgen dieses Konflikts leiden und dass sie nicht persönlich für die Handlungen ihrer Regierung verantwortlich sind. Andererseits arbeiten sie für staatliche Institutionen, und ich halte es für richtig, diese Projekte einzufrieren und die Zusammenarbeit in der derzeitigen Situation nicht fortzusetzen.
Glauben Sie, dass Kultur, Wissenschaft und Kunst in der Lage sein werden, die Brücken zwischen den Völkern wieder aufzubauen und die Schwierigkeiten der Zukunft zu überwinden?
Es ist sehr kompliziert. Meiner Meinung nach sind alle Russen daran beteiligt, ob sie die Regierung unterstützen oder nicht. Sie zahlen Steuern, und viele Menschen in Wissenschaft und Kunst arbeiten in staatlichen Einrichtungen. Sie sind also involviert, und es fällt mir sehr schwer, an eine Versöhnung zu denken, solange die Russen noch in der Ukraine sind und unser kulturelles Erbe aus unseren Museen nach Russland bringen. Und diese Objekte werden genau in die Museen gebracht, die an dem von Ihnen erwähnten Kooperationsprojekt beteiligt waren. Wie Sie sehen, wird unser kulturelles Erbe schwer geschädigt, und die Region, in der ich früher gearbeitet habe, in der Nähe der Stadt Mykolaiv an der nördlichen Schwarzmeerküste, ist von all dem stark betroffen.
Wie genau?
In der Antike gab es in dieser Region große griechische Städte wie Olbia. Jetzt steht das gesamte Gebiet, einschließlich der archäologischen Stätten, unter schwerem Beschuss durch Raketen und Artillerie. Es wird zerstört, und auch Menschen sterben in diesem Moment. Und auch die Museen in den betroffenen Gebieten werden zerstört oder geplündert. Wir wollen so viel wie möglich vom kulturellen Erbe retten, aber unsere Regierung hat nicht genug Mittel und natürlich hat die Rettung von Menschen Vorrang. Und wir wissen mit Sicherheit, dass in den Regionen, die unter russischer Besatzung stehen, die Museen geleert werden. Wertvolle Gegenstände wie das berühmte skythische Gold werden aus der Ukraine gebracht und in russischen Museen ausgestellt. Das alles erinnert an das letzte Jahrhundert, an die Sowjetzeit, als es normal war, dass alles, was wichtig oder wertvoll war, nach Moskau oder Sankt Petersburg gebracht wurde. Das tun sie auch heute noch. Es ist also alles sehr kompliziert, und ich weiß nicht wirklich, was ich tun und wie ich helfen kann.
Auf der politischen Bühne wird viel darüber gesprochen, wie der Westen die Ukraine mit Waffen und Geld unterstützen kann. Wie könnten westliche Museen und Kultureinrichtungen der Ukraine helfen, ihr kulturelles Erbe zu bewahren?
Viele Länder helfen bereits bei der Bewahrung unseres Kulturerbes. Wir haben zum Beispiel viele Kollegen in Polen, und die polnischen Museen haben in Zusammenarbeit mit unseren ukrainischen Kollegen eine Stiftung gegründet, um unserem nationalen Erbe zu helfen. Sie sammeln Geld und leisten materielle Hilfe, um die Sammlungen der Museen in der Ukraine zu sichern. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, es gibt eine Menge Unterstützung, und wir wissen das zu schätzen.
Um auf Sie und Ihren Schwerpunkt zurückzukommen – was werden die nächsten Schritte in Ihrer Arbeit sein? Was sind Ihre Pläne für die unmittelbare Zukunft?
Im Moment bleibt noch etwas Zeit, um dieses Stipendium abzuschließen, und es besteht die Möglichkeit, die Arbeit im Alten Museum danach fortzusetzen, denn was ich im Moment mache, ist ein erster Schritt für diese Sammlung. Es wäre sehr gut, wenn wir die Arbeit fortsetzen und schließlich unsere Ergebnisse veröffentlichen könnten, denn bisher wurde nur figürliche Keramik mit großer Ikonographie veröffentlicht. Dies war in der Vergangenheit das Hauptaugenmerk in der wissenschaftlichen Welt, da man sich nur für bunte und farbenfrohe Töpferwaren interessierte. Es wäre sinnvoll, einen neuen Katalog mit allen Keramiken zu veröffentlichen. Außerdem schreibe ich gerade eine Monographie für meine Doktorarbeit. Es gibt also eine Menge zu tun für mich.
Die Forscherinnen Ursula Kästner und Karoline Lölhöffel arbeiteten mit russischen Kolleg*innen an einem Kooperationsprojekt zu antiken Vasen. Durch den Krieg… weiterlesen
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