Touchscreen Bellini

Dagmar Korbacher, Kuratorin im Kupferstichkabinett, ist von einem Werk aus „ihrer“ Sammlung so begeistert, dass sie es sogar als Bildschirmhintergrund eingerichtet hat. Welches und warum, erzählt sie hier.
Wenn man in einem Museum arbeitet, das an die 700.000 Kunstwerke aufbewahrt, dann ist die Frage nach dem Lieblingsstück schwierig zu beantworten. Ganz grob geschätzt gehören vielleicht 100.000 Werke aus der Sammlung des Kupferstichkabinetts – Zeichnungen, Druckgraphiken, Buchmalereien, Manuskripte, frühe gedruckte Bücher – zu meiner Abteilung, nämlich der Kunst Italiens, Frankreichs und Spaniens vor 1800. Dabei ist sicher nicht alles überragend, aber doch ziemlich vieles, und deswegen ist es eigentlich unmöglich, ein einziges Lieblingskunstwerk zu haben. Trotzdem – ein paar Lieblinge gibt es immer.
Einer ziert seit Jahren den Bildschirmhintergrund meines Handys und ich kann mich nicht daran sattsehen. Es ist eine Federzeichnung des venezianischen Künstlers Giovanni Bellini (um 1430/35-1516), einem der größten Künstler der italienischen Renaissance.
Die Geschichte, die hinter der komplexen dargestellten Szene steckt, ist wenig bekannt: Als der Hl. Markus nach Alexandria kam, ging ihm ein Schuh kaputt und er ließ ihn reparieren. Anianus der Schuster verletzte sich dabei mit einem Werkzeug die Hand. Der Heilige nahm sie und heilte die Wunde.
Zugegeben, das ist eine relativ unspektakuläre Geschichte, soweit man das von einer wunderbaren Heilung behaupten kann. Aber es ist nicht die Geschichte, die mich besonders fasziniert, sondern die Zeichnung an sich: Nur mit brauner Tinte auf Papier gebracht, ist sie unglaublich vielfältig. Vorne und Hinten, Licht und Schatten sind ganz fein unterschieden, mit hellerer oder dunklerer Tinte, mit dichteren oder eher lockeren Schraffuren. Und dann die Details: links oben hängen an Holzstangen schon fertige Schuhe und warten auf Kunden. Darunter sieht man in einem Bogendurchblick einen typisch venezianischen Kamin, obwohl die Szene ja im ägyptischen Alexandria spielt. Daher auch die orientalische Aufmachung der Herren. Bellini kannte solche exotischen Gewänder sicher aus seiner Heimatstadt Venedig, die damals die internationale Handelsmetropole des Mittelmeers war.
Besonders toll sind die vielen verschiedenen Hände und Handbewegungen in der Bildmitte. Auf dem Blatt sind nicht weniger als neun Hände in unterschiedlichen Gesten zu sehen. Der Heilige Markus ergreift die verletzte Hand des Schusters. Dieser hält sie ihm schmerzerfüllt mit der andern hin. Der Heilige segnet sie mit seiner erhobenen Rechten. Ein Zuschauer dahinter breitet seine Hände erstaunt aus, ein anderer stützt links den Kopf des Verletzten mit einer Hand und legt ihm die andere auf die Schulter. Die neunte Hand und ihr Arm gehören zu niemandem. Sie sind unten in der Mitte zu sehen und sollten eigentlich die des Schusters sein. Bellini hat zuerst dessen verletzte Hand unten gezeichnet, sich dann aber überlegt, dass sich der Arm besser in die Gesamtkomposition einfügt, wenn er erhoben ist.
Ein Bild also, in dem es um das Zusammenspiel von Händen geht, die Sprache der Gesten und die Macht der Berührung. Dass es perfekt als Hintergrundbild für den Touchscreen eines Handys passt, liegt eigentlich auf der Hand.
Kommentare
Das hätte ich aber auf gerne als Bildschirmhintergrund ! 😉
LG Katharina