Großartig restauriert ist das Marinestück „Dreimaster auf leicht bewegter See“ von Olfert de Vrij nun in der Gemäldegalerie zu entdecken – ein seltenes Beispiel der niederländischen Penschilderkunst
Text: Irene Bazinger
Ironisch überzogen und dabei der Wahrheit ganz nahe: „Des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse“ wurde Brandenburg genannt, wegen der kargen, trockenen Böden mit ihren Kiefern-, Birken und Heidekulturen. Viel Sand, viele Seen – und viel Gelegenheit, vom Meer zu träumen, von großen Schiffen und Abenteuern in fernen Ländern. So tat es auch Friedrich Wilhelm (1620-1688) aus dem Hause Hohenzollern, Herzog von Preußen und bekannt geworden als der Große Kurfürst. Um ihn zu schützen, wurde er als Junge im Dreißigjährigen Krieg nach Den Haag an den Hof eines Onkels seiner Mutter geschickt, zum Statthalter Friedrich Heinrich von Oranien. Es war das Goldene Zeitalter der Niederlande und ließ sämtliche privaten, öffentlichen und kulturellen Bereiche aufblühen. Für den Sohn aus dem armen Brandenburg war es eine prägende Erfahrung, zu der das Schiffsbauhandwerk kam, das er in Amsterdam kennenlernte. Nach vier Jahren wurde er nach Berlin zurückbeordert und musste sich ab 1640 als Regent in den Staatsgeschäften bewähren. Schließlich wollte der Große Kurfürst eine eigene Flotte haben, aber weniger, um ferne Kulturen und Völker kennenzulernen, sondern um im globalen Kolonialerwerb und im kolonialen Seehandel mitzumischen.
Sein erster Versuch, eine Brandenburg-Preußische Seemacht aufzubauen, führte 1662/63 zum Ankauf von zwei bewaffneten Handelsfregatten, die „Grafschaft Mark“ und „Herzogtum Kleve“ hießen. Sie wurden in Amsterdam gebaut und sollten auch visuell festgehalten werden, wie das seinerzeit üblich war. Da seine Finanzen zumeist eher knapp bemessen waren, konnte er sich keinen der berühmten Marinemaler leisten. Also wandte er sich, wohl auf Vermittlung des erfolgreichen und teuren Ludolf Backhuysen, eines gebürtigen Deutschen, der Verbindungen etwa zum kurbrandenburgischen Hof hatte, an Olfert de Vrij (1635-1699). Der war im Hauptberuf Jurist und Quartiermeister, das heißt, er kümmerte sich zum Beispiel um die Ausstattung der Schiffe mit Proviant. Er lebte in der nordholländischen Hafenstadt Hoorn, wo die Vereinigte Ostindische Kompanie einen wichtigen Standort unterhielt. Hier hatte sich Mitte des 17. Jahrhunderts abseits aller Kunstzentren eine Künstlergemeinschaft formiert, die sich auf die Penschilderkunst konzentrierte, ein Spezialgebiet der Marinemalerei, das Federzeichnung und Malerei kombinierte.
Erst gefeiert, dann vergessen,schließlich mit Liebe gerettet
Die Penschilderijen („Federstücke“) erfreuten sich hoher Beliebtheit, weil sie äußerst detailgetreue und technisch exakte Darstellungen erlaubten. Mit ihrem frühen Fotorealismus waren sie für die Maler eine enorme Aufgabe. Diese mussten bestens mit ihrem Handwerkszeug umgehen können, denn Fehler waren wegen der rasch trocknenden Tusche kaum zu beseitigen. Der Amateurmaler Olfert de Vrij war ein Virtuose in dieser Technik, wie man heute anhand von „Dreimaster auf leicht bewegter See“ (1665) in der Sonderpräsentation „Vision Seemacht. Ein Marinestück für den Großen Kurfürsten“ in der Gemäldegalerie entdecken kann. Die zwei darauf gezeigten, um die 280 Tonnen schweren Handelsfregatten können als das Herz der sich vergrößernden brandenburgischen Flotte betrachtet werden. Als allerdings Ende der 1660er-Jahre die maritimen Ambitionen Friedrich Wilhelms gescheitert waren, verlor das Bild drastisch an Wert, denn wer wollte noch an diesen Schiffbruch erinnert werden? Bis 1851 war es in der Dauerausstellung zu sehen, dann wurde es ausgemustert und ins Depot entsorgt. Es war zu dokumentarisch und zu wenig repräsentativ, und den Schöpfer kannte bald auch niemand mehr. Selbst in den Niederlanden ist er in Vergessenheit geraten, ebenso wie die Penschilderkunst. Olfert de Vrijs „Dreimaster auf leicht bewegter See“ überstand die Jahre schlecht, nahm durch Zeit und Lagerung erhebliche Schäden. Die Eichenholztafel, auf die es gemalt ist, entwickelte durch unsachgemäße Lagerung Risse und Fehlstellen im Farbauftrag, die bei vorherigen Restaurierungen einfach überpinselt worden waren.
Könnte man dieses Bild noch retten? Und wenn ja, wie? Für das Restaurierungsteam um Babette Hartwieg war das Marinestück eine gewaltige Herausforderung: Nicht nur musste der vergilbte Firniss abgenommen werden, auch die verschiedenen Löslichkeiten der späteren Übermalungen mussten analysiert und fachgerecht beseitigt werden. Es klappte tatsächlich und so wurde liebevoll ein großartiges Bild freigelegt, in dem Kunst- und Weltgeschichte verschmelzen: Eine besondere Art der Malerei und ein kurzer historischen Moment, in dem Preußen am internationalen Seehandel teilhaben wollte. Olfert de Vrijs Meisterwerk wurde überdies aus seinem goldfarbenen Rahmen gehoben und kommt jetzt in einem schwarzen Ebenholz-Rahmen ideal zur Geltung. Vorzüglich kann man die präzise durchgezeichneten Details auf den Schiffen, Segeln und Wellen studieren, die mit schwarzer Tusche und in Grauabstufungen, welche durch unterschiedliche wässrige Verdünnung erzielt wurden, ausgeführt sind. Mit feinen Pinseln variierte Olfert de Vrij seine Auftragstechnik, setzte sie stupfend, strichelnd, lavierend oder in langen Linienzügen ein – immer dezidiert und prägnant, ehe der Trocknungsprozess begann. Das gelang ihm so eindrucksvoll, dass man förmlich das Meer riecht und die Gischt spürt, die Möwen irgendwo oben im wolkenverhangenen Himmel kreischen hört.
Ein virtuoses Meisterwerk alswiederentdecktes Juwel
Für Katja Kleinert, Kuratorin dieser Ausstellung und allgemein für die niederländische und flämische Kunst des 17. Jahrhunderts verantwortlich, ist es ein Juwel, das eine Lücke in der Sammlung schließt. Es wird deshalb auch in die ständige Ausstellung wandern. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass sich von Olfert de Vrij bloß drei Werke erhalten haben. Um zwei davon ist die Berliner Ausstellung organisiert, eines – beträchtlich kleiner – ist eine Leihgabe aus dem Westfries Museum Hoorn.
Mit weiteren Arbeiten aus der Gemäldegalerie, dem Kupferstichkabinett und dem Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin wird der geschichtliche Hintergrund thematisiert und das Schaffen Olfert de Vrijs im Bezug zur niederländischen Marinemalerei eingeordnet. Als Leihgabe der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg glänzt ein großformatiges Ölgemälde von Lieve Verschuier, betitelt mit „Kurbrandenburgische Flotte“ (1684). Es ist eine idealisierte Inszenierung, denn in dieser Konstellation sind diese Schiffe in der Realität niemals zusammengekommen. Auch ist in der Mitte auf einer Jacht der Große Kurfürst zu sehen, was als eher unwahrscheinlich gilt, soll er doch schnell seekrank geworden sein. Aber mit dem höchst repräsentativen Charakter überhöhte es die Wirklichkeit und entsprach damit dem Anspruch des Landes und seiner Herrschaft. Es überdauerte die politischen Entwicklungen und den Abschied von allen maritimen Bestrebungen – und fand seinen Platz im Arbeitszimmer Kaiser Wilhelm II. Heute hängt es im Schloss Oranienburg.
Olfert de Vrij, von dem man so wenig weiß, außer vielleicht, dass er das Meer und die Schiffe liebte, zog sich 1689 mit seiner Frau und seinem behinderten Sohn in ein Altenheim zurück – vermutlich, um dessen Absicherung zu gewährleisten, für die er umfängliche Vorsorge getroffen hatte. In der Gemäldegalerie kann man sich nun nach über 170 Jahren wieder an ihn erinnern – und ihn für ein Werk bewundern, dass alle Aufmerksamkeit und Wertschätzung verdient hat.
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