Raffaello 500. Was sagt uns ein italienischer Renaissancekünstler heute?
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Zum Todestag des großen Renaissance-Künstlers Raffael hatten
viele Museen weltweit große Aktionen geplant, die nun wegen der
Coronakrise ausfallen. Auch das Kupferstichkabinett gedenkt Raffaels –
Direktorin Dagmar Korbacher über die vielen Facetten des Künstlers.
Text: Dagmar Korbacher
Am
6. April 1520, also heute genau vor 500 Jahren, starb Raffael. Auf
dieses Jubiläum haben viele Kolleginnen und Kollegen der Staatlichen
Museen zu Berlin hingearbeitet, um punktgenau am heutigen Tag neben zwei
Publikationen, einer Vortragsreihe, einem Vermittlungsprogramm und
einem Festakt auch gleich drei Ausstellungen präsentieren zu können,
eine davon bei uns im Kupferstichkabinett. Der Katalog zu den Ausstellungen ist zwar derzeit immerhin online erhältlich,
aber aufgrund der Coronakrise liegen die Vortragsreihe und das
Vermittlungsprogramm auf Eis, der Festakt ist gestrichen und die
Ausstellungen sind geschlossen. Dennoch soll uns der Todestag des
berühmten Künstlers Anlass sein, dass wir uns darüber Gedanken machen,
wer Raffael überhaupt war und warum wir uns heute, ein halbes
Jahrtausend später, noch mit ihm beschäftigen sollten. Eine ganz
persönliche Sicht auf den Meister.
Raffael, der Bilddenker
So
mag er wohl ausgesehen haben: Raffaello Santi, genannt Raffael, der nur
37 Jahre alt geworden ist. Er gilt als einer der bedeutendsten
Vertreter der italienischen Hochrenaissance und als einer der größten
Künstler überhaupt. Was war er für ein Mensch? Der
Kunstgeschichtsschreiber und Biograph Giorgio Vasari, der seine
Informationen über Raffael direkt von dessen Mitarbeitern hatte,
beschreibt ihn als unglaublich tüchtigen, liebenswürdigen, charmanten,
charismatischen, geselligen und erfolgreichen Menschen. Er war
Netzwerker, Manager und Chef einer wichtigen und gefragten
Malerwerkstatt, aber zuerst war er natürlich selbst Maler. Als solcher
ist Raffael in diesem Kupferstichporträt durch Farbtöpfe, Palette und
die Bildtafel im Hintergrund augenscheinlich auch charakterisiert. Aber
weder seine Hände noch Malwerkzeuge wie Pinsel sind zu sehen, die
Utensilien und die Tafel tragen keinerlei Spuren der Bearbeitung. Der
Kupferstecher Marcantonio Raimondi porträtiert Raffael hier auf
ungewöhnliche Art und Weise, nämlich als Denker von Bildern. Raffael war
ein Meister im Ersinnen von neuartigen Darstellungen und Kompositionen –
er erschuf sie zunächst im Geist, bevor er überhaupt einen Stift oder
Pinsel zur Hand nahm.
Raffael, der Coole
Eine besondere
Qualität von Raffaels Kunst war die so genannte „sprezzatura“ (heute
würde man vielleicht sagen „Coolness“), also eine gewisse anmutige
Lässigkeit, die den staunenden Betrachter glauben lässt, dass etwas
eigentlich höchst Komplexes und Kunstfertiges scheinbar aus dem Ärmel
geschüttelt und ganz mühelos geschaffen wurde. Dies kann nur gelingen,
wenn auch eine gehörige Portion Fleiß und in gewissem Maße natürlich
auch Genialität vorhanden sind. All dies machte für das deutsche 19.
Jahrhundert die besondere Vorbildhaftigkeit Raffaels aus. Einem
tüchtigen, moralisch integren, liebenswürdigen Künstler wie ihm
erscheint schon mal die Muttergottes höchstpersönlich als Vision und
Inspiration beim Malen der „Sixtinischen Madonna“. In Anlehnung an eine
angebliche Aussage des Malers sollen Raffaels berühmte Madonnenbilder keine irdischen Frauen, sondern überirdische Frauengestalten von
himmlischer Schönheit zeigen, die eben nicht der direkten Anschauung
seiner jeweiligen Geliebten, sondern einer „certa idea“, einer gewissen
geistigen Vorstellung, entspringen. Und das, obwohl er den Frauen, wenn
man den Anekdoten über ihn Glauben schenken will, über die Maßen zugetan
war, es ihm also an irdischen Vorbildern nicht mangelte.
Raffael, der Lernbegierige
Wir
kennen Raffael heute besonders als Madonnenmaler und tatsächlich hat er
sich sehr häufig und sein gesamtes Leben lang immer wieder mit dem
Bildthema „Maria mit Kind“ beschäftigt. Die fünf Madonnen der
Gemäldegalerie sind allesamt Raffaels Frühwerk zuzurechnen und – so
verschieden sie auch erscheinen mögen – sie sind in einem Zeitraum von
nur etwa sechs Jahren entstanden. Trotzdem lassen diese Bilder erahnen,
welche Vielfalt der Künstler bereits als junger aufstrebender Malerstar
aus diesem relativ simplen Motiv herauszuholen wusste. Dabei ist Raffael
nicht als Meister vom Himmel gefallen, er war begierig, sich
weiterzuentwickeln und dazuzulernen – aber nur von den Besten. Schon als
junger Künstler verstand er es auf sehr kluge Art und Weise Anregungen
von Kollegen und Zeitgenossen aufzugreifen und in seine eigene Arbeit zu
integrieren. So beeindruckt beispielsweise seine „Madonna Terranuova“
durch eine ganz ähnliche psychologische Tiefe und ein geheimnisvolles
Sfumato wie bei Leonardo da Vinci, während die „Madonna Colonna“ eine
emotionale Kraft und Ausdrucksstärke ausstrahlt, die seiner Kenntnis von
Werken Michelangelos entspringt. Dass das Jesuskind der Muttergottes in
den Ausschnitt greift, ist dagegen Raffaels ganz eigene, spielerische
Interpretation des Andachtsmotivs, das die Eleganz und Lieblichkeit
vorwegnimmt, die für den Künstler kennzeichnend wurden.
Raffael, der Zeitlose
Raffaels
geradezu klassische, allgemein gültige, harmonisch ausgewogene
Bildkompositionen faszinieren durch ihre zeitlose Ästhetik. Die Bilder,
die er in seinem relativ kurzen, aber enorm produktiven Leben geschaffen
hat, ergeben dabei ein überraschend vielfältiges Panorama. Sicher
bilden Madonnen und Heilige einen besonderen Schwerpunkt, doch finden
wir auch zahlreiche humanistisch geprägte, mythologische und erotische
Themen, manches leicht zu deuten und eingängig, anderes nach 500 Jahren
(weiterhin?) rätselhaft und wieder anderes von beunruhigender
Aktualität. Der Kupferstich „Il morbetto“ zeigt, wie Mensch und Tier
einer Epidemie zum Opfer fallen. Er stellt die erschütternden Szenen in
einem Spannungsfeld dar, das uns heute nur allzu gut bekannt sein
dürfte: zwischen Dunkel und Hell, zwischen Drinnen und Draußen, zwischen
Tod und Leben, zwischen Leid und Hoffnung.
Raffael, der Kreative
In
den Zeichnungen Raffaels erkennen wir einen Künstler, der nie aufhört,
mit dem Stift auf dem Papier nach Harmonie und Perfektion zu suchen,
nach dem Wahren und Guten in der Kunst zu streben. So studierte er
Bewegungen, Haltungen und Ausdrücke seiner Figuren und entwickelte ihr
zugleich harmonisches und komplexes Verhältnis zueinander, so konnte er
sie ausarbeiten und überprüfen, bevor er sie in die Malerei übertrug. In
manchen Skizzen erkennen wir, dass Raffael sogar schon vor dem Zeichnen
anfing zu zeichnen, indem er zuerst mit einem farblosen Griffel kaum
sichtbare Linien zur groben Orientierung auf dem Papier anlegte und dann
erst einen Stift, hier einen Rötelstift, zu Hand nahm. In dieser
Figurenstudie erscheinen diese ersten Griffellinien in den Schattenzonen
an der Hüfte oder am Arm als formsuchende helle Striche. Wir können
davon ausgehen, dass Raffael für die Vorbereitung der mythologischen
Figur des Pluto einen Werkstattmitarbeiter gezeichnet hat, der sich
dafür in die entsprechende Pose setzen musste. Doch die besondere
Faszination der Figur geht weit über ihren Studiencharakter hinaus – sie
liegt in ihrer überraschend widersprüchlichen Ausstrahlung zwischen
zurückhaltender Keuschheit und einer gewissen satyrhaften Sinnlichkeit.
Raffael, der Manager
Heute eher wenig beachtet, doch umso
interessanter, ist eine andere Tatsache: Raffael war nicht nur ein
erfolgreicher und viel beschäftigter Künstler, sondern er leitete als
Unternehmer auch eine äußerst produktive, gut organisierte Werkstatt.
Nur so konnte es ihm gelingen, etliche Großaufträge gleichzeitig zu
bewältigen. Dabei fungierte er nicht nur als Ideengeber und Netzwerker,
sondern auch als eine Art „Manager“ mit einem modernen Führungsstil. Er
stellte sicher, dass jedes „Produkt“, das die Werkstatt verließ, als
„Raffael“ erkennbar war und die Qualität eines „Raffael“ hatte, wobei er
die besonderen Talente seiner Mitarbeiter jeweils einzuplanen und
effektiv zu nutzen verstand. Dazu zählten auch Gianfrancesco Penni (1490
– 1528) und Giulio Romano (1499 – 1546), die ihrerseits bedeutende
Künstler der italienischen Renaissance waren. Die Ähnlichkeit der
Zeichnungen, die für gemeinsame Projekte entstanden, ist teilweise so
groß, dass die Forschung heute Schwierigkeiten hat, die Entwürfe des
Meisters und seiner begabtesten Werkstattmitarbeiter zu unterscheiden.
Diese beiden mit Rötel angelegten Figurenstudien für das Jesuskind und
den Johannesknaben der „Madonna della Perla“ waren immer wieder auch
Raffael selbst zugeschrieben. In der etwas weniger schwungvollen
Linienführung und der flächigeren, an einigen Stellen weniger
organischen Darstellung der Körper, erkennen wir jedoch inzwischen ein
Werk Giulio Romanos. Er hat die Zeichnung etwa 1518 in Vorbereitung des
Gemäldes ausgeführt, dessen Zuschreibung ebenfalls zwischen ihm und
seinem Meister schwankt.
Raffael und der Influencer
Raffael
war ein Künstler, der sich in außergewöhnlichem Maße für neue Medien
und ihr enormes Potential interessiert hat und dieses schlau zu nutzen
wusste. Seine intensive Beschäftigung mit der Druckgraphik und seine
Zusammenarbeit mit professionellen Kupferstechern (heute würde man sagen
„Influencern“) gelten als völlig neuartig. Sie dienten dazu, Raffaels
Bilderfindungen zu verbreiten und zu vermarkten, eine wichtige Rolle
spielten dabei aber auch ökonomische Faktoren und andere Aspekte wie das
Ausstechen von Konkurrenz und künstlerische Selbstdarstellung. Unter
anderem arbeitete Raffael mit Marcantonio Raimondi (1480 – 1534)
zusammen, der sich mit seiner starken Präsenz in der Branche und seinem
durch das Fälschen von Dürergraphik erworbenen hohen Ansehen für
Raffaels Selbstvermarktung geradezu anbot. Ihm gelang es wie keinem
anderen, die gezeichneten Vorlagen Raffaels mit den Ausdrucksmitteln der
Graphik, die auf der bewegten Linie und dem Gegensatz zwischen Schwarz
und Weiß beruhen, in malerische Kompositionen zu verwandeln. Bereits
1509 / 1510 bereitete Raffael einen gezeichneten Entwurf mit einer
Darstellung des Kindermords von Bethlehem vor, der den Zweck hatte, von
Marcantonio als Kupferstich umgesetzt zu werden. Während der Inhalt der
Darstellung von Gewalt und Schrecken geprägt ist, zeichnet sich die
Bildkomposition dagegen durch äußerste Schönheit und Ausgewogenheit aus.
Raffael, der Berliner
Die
Ausstellungen der Gemäldegalerie und des Kupferstichkabinetts tragen
den Titel „Raffael in Berlin“. Man könnte sich also fragen, was Raffael
überhaupt mit Berlin zu tun hat und ob Raffael nicht eigentlich nach
Italien gehört. Sicher ist Raffael für uns der Inbegriff von Italien,
aber seine Werke wurden auch in London, Paris, Wien und nicht zuletzt
hier in Berlin gesammelt, eben weil sich seine Bedeutung weit über die
Grenzen Italiens hinaus erstreckt und er jahrhundertelang vorbildhaft
für die gesamte europäische Kunst war. Gerade in Preußen war Raffael
hochgeschätzt: neben dem Raffael-Saal in der Orangerie von Sanssouci,
der ein einzigartiges Monument darstellt, fanden und finden sich
zahlreiche Spuren der Raffael-Verehrung in den Sammlungen der
Staatlichen Museen zu Berlin. Neben den fünf Raffael-Madonnen der
Gemäldegalerie, hatte man 1844 neun „Raffael-Tapisserien“ (Bildteppiche,
die nach seinen Vorlagen um 1540 in Brüssel gewoben wurden) angekauft
und für rund 50 Jahre in der Rotunde des Alten Museums präsentiert,
bevor für sie ein eigener Saal im Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen
Bode-Museum, geschaffen wurde. Heute zählen sie zu den Kriegsverlusten
der Sammlung, allein der Name des Raums „Gobelinsaal“ erinnert noch an
die hochkarätigen Exponate.
Raffael prägt also unser Bild von der
Kunst der Renaissance und unsere Berliner Museen und ihre Sammlungen bis
heute. Und wir können auch einiges von Raffael lernen, dem Bilddenker,
dem Coolen, dem Lernbegierigen, dem Zeitlosen, dem Kreativen, dem
Manager, dem Influencer und nicht zuletzt dem Berliner, nämlich: das
Bewusstsein, dass Kunst verbindet, in Freud und Leid. Wie unsere
Berliner Präsentationen musste auch die große Raffael-Ausstellung in Rom
wenige Tage nach ihrer Eröffnung schließen. Dass Kunst über
Sprachgrenzen und geographische Grenzen hinweg verbindet und dass nicht
Abgrenzung, sondern nur Austausch und gegenseitige Anregung
weiterbringen, wusste schon Raffael selbst. Er hat Dürer eigene
Zeichnungen geschenkt, die dieser sehr geschätzt hat. Umgekehrt war
Raffael von Dürers Kupferstichen fasziniert. Hoffen wir, dass die
unersetzlichen, einzigartigen und faszinierenden Kunstwerke Raffaels,
die Teil unseres kulturellen Erbes sind, nicht nur in Berlin und Rom,
sondern bald wieder überall und für alle erfahrbar sein werden.
Alle
Ausstellungen unter dem Motto „Raffael in Berlin“ sowie aktuelle
Informationen zu den Schliessungen der Häuser und den Museen während der
Coronakrise unter www.smb.museum
Die Ausstellung „The Botticelli Renaissance“ in der Gemäldegalerie widmet sich der späten Wiederentdeckung des florentinischen Altmeisters Sandro Botticelli. Um die… weiterlesen
Dagmar Korbacher wird Direktorin des Kupferstichkabinetts. Sie folgt damit als erste Frau in dieser Position dem komissarischen Leiter Holm Bevers… weiterlesen
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