Raffael in der Gemäldegalerie: Ein unbekannter Bekannter
Lesezeit 6 Minuten
Raffael gilt als einer der größten Maler der italienischen
Renaissance. Im Berlin des 19. Jahrhunderts wurde er verehrt, doch heute
kennen viele die Madonnen der Gemäldegalerie nicht mehr. Das
Raffael-Jahr 2020 bietet Gelegenheit, neue Perspektiven auf einen „alten
Bekannten“ zu gewinnen.
Text: Sven Stienen
Böse
Zungen könnten behaupten, der große Renaissancemaler Raffael
(1483–1520) sei ein wenig langweilig. Während seine Zeitgenossen, allen
voran Leonardo da Vinci, bis heute als rätselhafte, schillernde
Charaktere gelten, die sämtliche Konventionen der Kunst überwanden, war
Raffael aus Urbino schon zu Lebzeiten einer der bedeutendsten
stilbildenden Künstler der Renaissance. Die Qualität seiner Werke ist
unbestritten – er arbeitete für den Papst und war ein Top-Architekt der
Epoche. Seine scheinbar fließbandartig produzierten Madonnengemälde und
die berühmten Engelchen berühren noch heute Tausende Menschen und zieren
Tassen, Pralinenschachteln und Wandkalender, doch waghalsige
Kompositionen und aufregende Perspektiven findet man bei Raffael eher
selten: Er steht für die italienische Hochrenaissance par excellence. Im
19. Jahrhundert galt seine Kunst als Inbegriff der Schönheit. Die
ausgewogene, klassische Ästhetik seiner Werke passte zum Ideal des
Klassizismus.
Am 6. April 2020 wird weltweit der 500. Todestag des
großen Raffaello Sanzio da Urbino begangen. Das Raffael-Jahr 2020
bietet Anlass, sich erneut mit dem Meister und seinem Werk zu
beschäftigen. Während in London und vor allem in Italien große Schauen
das imposante Gesamtwerk Raffaels präsentieren, nehmen die Staatlichen
Museen zu Berlin das Jahr zum Anlass, eigene Perspektiven auf den
Künstler aufzuzeigen. „In mehreren thematischen Interventionen geben wir
unseren Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, anhand der Werke
Raffaels weniger bekannte Seiten der Gemäldegalerie kennenzulernen, und
durch Leihgaben des Berliner Kupferstichkabinetts zeigen wir auch den
Reichtum unserer Sammlungen“, sagt Michael Eissenhauer, Generaldirektor
der Staatlichen Museen zu Berlin und Direktor der Gemäldegalerie.
Ein geteiltes Schicksal
Drei
Projekte, die teilweise in Kooperation mit dem Kunsthistorischen
Institut in Florenz – Max-Planck-Institut (KHI) entstanden, widmen sich
dem Renaissancemeister unter ganz verschiedenen Fragestellungen. In der
Gemäldegalerie vereint die Schau „Raffael in Berlin“ die fünf Berliner
Raffael-Madonnen sowie die „Madonna mit den Nelken“ (1506/08) aus der
National Gallery in London. Das Kupferstichkabinett zeigt die
zeichnerischen Arbeiten Raffaels sowie die wichtigsten Kupferstiche nach
seinen Vorlagen und ein anlässlich des Gedenkjahres erscheinendes Buch
thematisiert die im Zweiten Weltkrieg verlorenen Raffael-Tapisserien aus
dem Gobelinsaal des Bode-Museums. „Die Kabinettausstellung der
Gemäldegalerie und die Publikation zu den Raffael-Tapisserien des
Bode-Museums nehmen eine dezidiert sammlungsgeschichtliche Perspektive
ein“, erklärt Alexandra Enzensberger, die als Kuratorin die
Raffael-Projekte koordiniert.
Aus
der Besonderheit der Berliner Sammlungsgeschichte mit ihren vielen
Ortswechseln lässt sich auch erklären, warum die Berliner Madonnen
keinen „Meisterwerk-Status“ erlangten. „In der Rezeption von Kunstwerken
spielt immer auch der Ausstellungsort eine Rolle. Man denke etwa an die
berühmte Nike von Samothrake im Louvre: Wenn wir an die Nike denken,
denken wir automatisch das Treppenhaus des Louvre mit“, sagt
Enzensberger. „In Berlin gibt es eine solche Assoziation von Objekt und
Ort für die Raffael-Madonnen bisher nicht. Nicht zuletzt, weil die
Geschichte der Berliner Museen – besonders im 20. Jahrhundert – sehr
viel bewegter war.“
Die Raffael-Gemälde wurden ursprünglich für
das Alte Museum angekauft und wanderten danach ins
Kaiser-Friedrich-Museum, das heutige Bode-Museum. Dann folgten der
Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung, die auch die Berliner Museen
auseinanderriss. Nach der Wiedervereinigung zogen die Kunstwerke 1998 an
das damals neu errichtete Kulturforum, wo sie bis heute verortet sind.
So lässt sich an Raffaels Madonnen exemplarisch auch das Schicksal der
Berliner Sammlungen im 20. Jahrhundert nachvollziehen.
Ein Gobelinsaal ohne Gobelins
Auch
die Geschichte der Raffael-Tapisserien aus dem Bode-Museum ist eng mit
der Berliner Historie verwoben. Die Tapisserien wurden im 16.
Jahrhundert von Papst Leo X. für die Sixtinische Kapelle in Auftrag
gegeben und zeigen Szenen aus der biblischen Apostelgeschichte. Für
diese Bildteppiche fertigte Raffael maßstabsgetreue Vorlagen aus dickem
Papier an, die sich heute als „Raphael Cartoons“ im Victoria and Albert
Museum in London befinden, während die neun originalen Wandteppiche in
der Vatikanischen Pinakothek hängen. Nach diesen Vorlagen Raffaels
wurden in der Folge weitere Tapisserien hergestellt. Eine dieser Serien
gelangte in den Besitz des englischen Monarchen Heinrich VIII.
(1491-1547) und wurde schließlich 1844 für die Königlichen Museen zu
Berlin angekauft. Nach ihrer Präsentation in der Rotunde des Alten
Museums wurde für diese Tapisserien im neuen Kaiser-Friedrich-Museum
1904 ein „Raffael-Saal“ errichtet. Im Zweiten Weltkrieg sollten die
Tapisserien im Flakbunker Friedrichshain geschützt werden, doch nach
einem verheerenden Brand im Mai 1945 verliert sich ihre Spur. „Mit dem
Verlust der Tapisserien im Zweiten Weltkrieg verblasste auch die
Erinnerung an diese Objekte. Heute wissen viele Berlinerinnen und
Berliner vermutlich gar nicht mehr, warum der Gobelinsaal diesen Namen
trägt“, erklärt Alexandra Enzensberger.
Anlässlich
des Raffael-Jahres 2020 wird nun die Geschichte der Objekte in dem Buch
„Apostel in Preußen. Die Raffael-Tapisserien des Bode-Museums“ aus
verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die Publikation begibt sich auf
Spurensuche und ruft die bewegte museale Geschichte der
Raffael-Tapisserien, von ihrer ersten Sonderausstellung im Königlichen
Museum 1848 bis zu ihrem Verlust im Zweiten Weltkrieg, wieder ins
Bewusstsein. Zugleich wird die Geschichte des ehemaligen Raffael-Saals
im Bode-Museum erzählt, der durch den Verlust der Werke seine
ursprüngliche Funktion verloren hatte und erst durch seinen Wiederaufbau
1987 in der damaligen DDR als „Gobelinsaal“ wieder zugänglich gemacht
wurde. „Die Kooperation mit dem KHI hat Museum und Forschung in diesem
Projekt beispielhaft verbunden“, resümiert Generaldirektor Eissenhauer.
Innovativ auf Papier
Während
des Raffael-Jahres wird aber auch die kunsthistorische Relevanz des
Künstlers gewürdigt: Das Kupferstichkabinett zeigt zeichnerische
Arbeiten von Raffael selbst, von seinem Lehrer Perugino und von Raffaels
Schülern und Mitarbeitern sowie Druckgrafiken von mit ihm assoziierten
Kupferstechern. Die Schau knüpft an die Präsentation in der
Gemäldegalerie an, setzt aber eigene Schwerpunkte. „Wir möchten vor
allem zeigen, wie breit gefächert Raffaels künstlerisches Schaffen war
und was er neben seinen Madonnen sonst noch gemacht hat“, sagt Dagmar
Korbacher, Italien-Expertin und Direktorin des Kupferstichkabinetts. Da
kommt einiges zusammen: Neben originalen Zeichnungen des Meisters sind
vor allem die Werke der Kupferstecher interessant, mit denen Raffael eng
zusammenarbeitete. „Besonders in der Kunst auf Papier zeigt sich
Raffael viel innovativer, als man ihn gemeinhin kennt“, schwärmt
Korbacher. „Er hatte diverse Verträge mit professionellen Druckgrafikern
und hat neue Medien wie den Kupferstich, ausgiebig und klug zu nutzen
gewusst.“
So wird das Raffael-Jahr 2020 in Berlin mit seinen
verschiedenen Projekten am Ende einen ganz eigenen, einen Berliner Blick
auf einen großen Künstler werfen, der hoffentlich Neues über ihn, aber
auch über unsere Museen offenbart.
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