Virtuell reisen: Tunesien und Ägypten durch die Augen von Paul Klee
Lesezeit 6 Minuten
Die Ausstellung „Klee in Nordafrika“ im Museum Berggruen
begibt sich auf die Spuren der zwei Reisen, die den Maler Klee
nachhaltig prägten. Während der Corona-bedingten Schließung des Museums
gibt es die Ausstellung als #virtualtour zu sehen.
Text: Anna Wegenschimmel
„Darum,
Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!“ lautet ein
berühmt gewordenes Sprichwort, das Wilhelm Busch zugeschrieben wird.
Aktuell ist der Gedanke ans Reisen schon das höchste der Gefühle –
schließlich bringen es die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung mit sich,
dass die meisten Menschen schon den täglichen Weg ins Büro durch das
Aufklappen eines Laptops ersetzen müssen. Gezwungenermaßen muss sich
auch jegliches Fernweh und jede Lust am Neuartigen in den digitalen Raum
verlagern – so auch die Ausstellung „Klee in Nordafrika“, die derzeit
über virtuelle Umwege im Museum Berggruen zu sehen ist.
Es ist
bekannt, dass das Reisen nicht erst eine Erfindung von
Fluggesellschaften und Reisebüros ist: Mit jeweils unterschiedlichen
Zielen und Beweggründen machten sich etwa Wallfahrer und Händler schon
seit der Antike auf den Weg. Seit dem Spätmittelalter gehen Handwerker
auf die Walz, der Adel seit dem 16. Jahrhundert auf humanistische
Bildungsreisen, die Grand Tours, und im Zeitalter der Romantik entdeckte
das Bürgertum Erholungsreisen in die Natur für sich. Marco Polo
berichtete von China, Kolumbus holte Amerika auf die europäischen
Landkarten, Humboldt erforschte die halbe Welt, Goethe bereiste Italien,
Lord Byron führte seine Grand Tour nach Griechenland, Le Corbusier
studierte die Architektur Istanbuls.
Bildende Künstlerinnen und
Künstler wiederum erhofften sich in der Moderne von Reisen in die Ferne
neue Inspirationen – berühmtestes Beispiel ist wohl Paul Gauguin mit
seinen Südsee-Gemälden. Aber auch weniger weit entfernte Regionen übten
große Anziehungskraft aus: Seit Napoleons Ägyptenfeldzug 1798, an dem
auch eine ganze Armee von Wissenschaftlern, Gelehrten und Künstlern
teilnahm, wurde Nordafrika und der Nahe Osten als vermeintlich
fremdartiger „Orient“ zu einem beliebten Ziel.
Neue stilistische Anregungen
Dies
gilt besonders für die Kolonialzeit im 19. und 20. Jahrhundert, als
zahlreiche Künstler (weniger Künstlerinnen) die Regionen bereisten –
getragen von der Intention, etwas Fremdes, Ursprüngliches,
Geheimnisvolles zu ergründen. Ergebnis waren eindrucksvolle Malereien,
die vor Farbe förmlich sprühten. In einer Welt ohne massenhaft
verfügbare Fotografie sollten diese Bilder vom Leben in Ländern wie
Ägypten, Tunesien, Algerien oder Marokko berichten und schließlich auch
die Vorstellung prägen, die man sich in Europa davon machte – man denke
etwa an Wilhelm Gentz’s „Gebet in der Wüste“ (1869) oder Adolf Seels „Sklavenmarkt in Kairo“ (1895), die sich in der Alten Nationalgalerie befinden.
Etwas
anders waren die Interessen bei Künstlern gelagert, die zu Beginn des
20. Jahrhunderts in den Nahen Osten reisten – Henri Matisse etwa oder
Wassily Kandinsky, Max Slevogt und Jean Dubuffet. Viel weniger als um
die ethnographische Repräsentation anderer Lebensformen (das hatte nun
die Fotografie übernommen) ging es um das Finden von neuen stilistischen
Anregungen, um die Weiterentwicklung der eigenen Kunst. So auch im Fall
von Paul Klee (1879–1940), den es Zeit seines Lebens zwei Mal zu
Studienzwecken nach Nordafrika zog: Am Beginn seiner künstlerischen
Karriere fuhr er nach Tunesien, als etablierter Künstler und Lehrer am
Bauhaus nach Ägypten.
Vor allem die knapp zweiwöchige Studienfahrt nach Tunesien mit August Macke und Louis Moilliet im Jahr 1914 ist in die Kunstgeschichte eingegangen. Die sogenannte „Tunisreise“ war zweifelsohne wegweisend für Klees Schaffen. In über vierzig Aquarellen und Zeichnungen intensiviert er die Farbigkeit und löst seine Motive weitgehend von gegenständlichen Bezügen. Dabei übersetzt er Architektur und Landschaft in stark abstrahierte, rasterförmige Farbfelder wie bei dem Aquarell „Rote u. weisse Kuppeln“. Diese neue Bildsprache ist zwar in dem wenige Wochen vor der Reise entstandenen Aquarell „Erinnerung an einen Garten“ schon angelegt – Klee selbst legt aber Wert auf die Erzählung, erst die Tunisreise habe diese Farb- und Formentwicklung mit sich gebracht. In seinem einige Jahre nach der Reise überarbeiteten Tagebuch findet sich die berühmt gewordene Passage: „Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiss. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Auch in den folgenden Jahren greift er immer wieder auf die im mediterranen Klima perfektionierten bildnerischen Ansätze zurück, nun auch bei der Darstellung von mitteleuropäischer Natur wie in „Landschaft in Blau“ von 1917 oder in „Landschaft in Grün“ von 1922.
„Menschenhölle im Pflanzenparadies“
Während
der Winterferien am Bauhaus 1928/29 treibt es Klee erneut nach
Nordafrika, alleine bereist er Ägypten. Während er in seinen Briefen und
Postkarten Enttäuschung über die dort vorgefundene Architektur und
Lebensbedingungen äußert, begeistert ihn die Natur. Auf einer dieser
zahlreichen Postkarten, die er gen Heimat schickt, bezeichnet er das
Land als eine „Menschenhölle im Pflanzenparadies“. Vor Ort arbeitet er
wenig, seine Eindrücke finden vor allem nach der Reise ihren Widerhall,
wie im kurz nach der Rückkehr entstandenen Gemälde „Nekropolis“. Mit der
Ägyptenreise wird das von Klee selbst als „Cardinalprogression“
bezeichnete Prinzip in Verbindung gebracht: Seine modular aufgebauten
Streifenbilder, wie in „vermessene Felder“, werden auf die Aufteilung
der Felder zurückgeführt, die Klee entlang des Nils gesehen hat.
Kurz
vor der Pandemie-bedingten Schließung eröffneten wir im Museum
Berggruen die Ausstellung „Klee in Nordafrika“, die dem künstlerischen
Einfluss dieser beiden Reisen auf Klees Oeuvre nachspürt. Solange sie
nicht besucht werden kann, nehmen Gabriel Montua und ich euch mit auf
eine virtuelle Reise: Tunesien und Ägypten durch die Augen von Paul
Klee. In regelmäßigen Abständen veröffentlichen wir Videos und Texte zu
ausgestellten Werken auf den Instagram– und Facebook-Kanälen des Museums, einige Folgen dieser #virtualtour sind schon online.
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