Biografien der Objekte: Alfred Flechtheim und Paul Klees Lebkuchen-Bild
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Die Rückseite von Paul Klees Gemälde Lebkuchen-Bild von 1925
aus dem Bestand des Museum Berggruen zeigt zentrale Stationen der
Biografie des Werkes, darunter einen gut sichtbaren Aufkleber der
Galerie des jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim. Flechtheim wurde
von den Nationalsozialisten verfolgt – ist die Herkunft der kleinen
Ölcollage damit belastet?
Text: Sven Haase, Provenienzforscher am Zentralarchiv
Alfred Flechtheim,
leidenschaftlicher Kunsthändler der Moderne und Inhaber populärer
Galerien in Düsseldorf und Berlin gerät früh ins Visier der
Nationalsozialisten. Neben seinem Engagement für Künstler wie Leger,
Picasso, Grosz oder Kandinsky ist der Grund seine jüdische Herkunft.
1934 zwingt ihn die Verfolgung in die Emigration. Über Paris erreicht er
London. Verarmt und getrennt von seiner Frau in Berlin, dazu ohne
legalen Aufenthaltsstatus stirbt er dort 1937 an den Folgen eines
Unfalls.
Die
Kunstwerke, die er handelte und besaß, führen bis heute sein tragisches
Schicksal vor Augen und halten die Erinnerung an den einflussreichen
Kunsthändler wach. Der Provenienzforschung kommt hierbei eine besondere
Aufgabe zu: Um verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut aufzufinden ist
sie verpflichtet, die genauen Umstände zu klären, unter denen
Kunstwerke, die auch durch Flechtheims Hände gingen, ihre Besitzer
wechselten.
Vor
1945 kommt das Lebkuchen-Bild viel herum. Das verdankt Klee v.a.
Flechtheims Engagement, denn er ist einer der Händler des Künstlers. Auf
der Großen Kunstausstellung in Düsseldorf präsentiert er 1925 Klees
Bild zum ersten Mal der Öffentlichkeit. 1926 folgen Ausstellungen in
Dresden, Wiesbaden und Zürich, im Jahr darauf wieder Düsseldorf, dieses
Mal in Flechtheims Galerie sowie in Mannheim und Paris. Weitere
Stationen sind Berlin, Brüssel und Antwerpen, Paris und abermals Berlin.
Im Frühjahr 1930 dann der vorläufige Höhepunkt: Das New Yorker Museum
of Modern Art zeigt das Lebkuchen-Bild als eine von 63 Arbeiten Klees
auf dessen erster Schau in einem amerikanischen Museum. Es ist
Flechtheim, der es in Zusammenarbeit mit seinem amerikanischen Kollegen
J.B. Neumann nach New York vermittelt. Obwohl der Verkauf nicht gelingt,
ist es der Ritterschlag für das Bild.
Ein Dokument im
Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin liefert eine eindeutige
Antwort auf die Frage, ob das Werk eine problematische Herkunft hat. Es
hat sie nicht, es handelt sich vielmehr um eine Kommission Flechtheims –
er hat also versucht, es im Auftrag des Künstlers zu veräußern, Klee
ist aber Eigentümer geblieben. Nach dem MoMA stellt die Berliner
Nationalgalerie das Bild als Leihgabe im Kronprinzenpalais aus. 1933,
dem Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, geht es am
20. September von der Nationalgalerie direkt an Paul Klee in Düsseldorf
zurück. Wohl auch, um einer Beschlagnahmung der nun geächteten Kunst
vorzubeugen. Der Kurator Hentzen bittet in dem Schreiben darum, das Bild
neben drei weiteren Leihgaben an Klee zurückzuschicken, was der
Depotverwalter Bähr mit einer Notiz am unteren Rand des Schriftstücks
bestätigt. Klee ist zu diesem Zeitpunkt bereits aus seiner Professur an
der dortigen Kunstakademie entlassen und zieht im selben Jahr mit seiner
Frau in die Schweiz. Das Lebkuchen-Bild begleitet die beiden. Seine
schwindelerregende Ausstellungsgeschichte mit 15 Präsentationen in acht
Jahren, maßgeblich von Flechtheim ins Werk gesetzt, ist vorerst vorbei.
Auch die Ausleihe an die Nationalgalerie ist sein Verdienst. Dass er das
Leihgeschäft zwar einfädelt, aber nicht mehr abschließen kann,
verdeutlicht das abrupte und bittere Ende seines Wirkens, das ohne die
Provenienzforschung heute womöglich vergessen wäre.
Die geografisch
bewegte Besitzergeschichte des knapp 22 x 28 cm kleinen Werkes, die sich
über Europa, Amerika und Asien erstreckt, geht erst nach dem Krieg
weiter: Im Auftrag der Klee-Gesellschaft aus Bern verkauft es die
Galerie Nierendorf um 1947 an den Mailänder Sammler Carlo Frua de
Angeli, der das Bild bis 1954 behält und dann über die Galerie
Feilchenfeldt in Zürich in die USA veräußert. Dort ziert es abseits der
Öffentlichkeit 30 Jahre die Sammlungen von Werner Josten und Eugene V.
Thaw, beide aus New York. 1988 erwirbt Heinz Berggruen nach Stationen
durch diverse Galerien das Kunstwerk, verkauft es zwei Jahre später an
das japanische Unternehmen BIGI Co. bzw. seinen Vorsitzenden Yuji Okusu
in Tokyo, bis er es schließlich 1998 bei Sotheby’s in New York
zurückerwirbt. Erst mit dem Eigentümer Heinz Berggruen schließt das
Lebkuchen-Bild an seine öffentliche Biografie von vor 1933 an und
gastiert 1989 in London, 2001 in Balingen und 2004 in Taipeh. Seit 1999
ist es Teil der Präsentation im Berliner Stülerbau. Die über 80.000
gereisten Kilometer, also etwa zweimal um die Welt, sieht man der
reliefhaft geschichteten Materialcollage aus Öl und Tusche auf einer
kreidegrundierten Tapete nicht an. Das bescheidene Bild ist bis heute
eines der meist ausgestellten Werke Klees im Bestand des Museum Berggruen. Großen Anteil daran hat der deutsche Kunsthändler Alfred Flechtheim.
Nicht
immer gelingt es wie im Falle des Lebkuchen-Bildes, geschlossene
Provenienzketten von Kunstwerken zu recherchieren. Oft bleiben Lücken
oder Eigentümer lassen sich nicht ermitteln. Ein Bespiel dafür aus dem
Museum Berggruen ist Paul Klees Gemälde „Drei mal Drei Kreuze“, das
ebenfalls eine Flechtheim-Provenienz aufweist, deren Umstände aber auch
nach umfangreichen Recherchen ungeklärt bleiben. In diesem Fall, da ein
Anfangsverdacht nicht ausgeräumt werden konnte, wurde das Werk in der Lost Art Datenbank gemeldet.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
Die Nationalgalerie nahm im März 1942 eine Überweisung vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Empfang: Eine Studie zum „Eisenwalzwerk“… weiterlesen
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