„Alexander der Große hat auch in Usbekistan Spuren hinterlassen“
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Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, über die neue Ausstellung auf der Museumsinsel, über Buddhas, die aussehen wie griechische Gottheiten – und über den Besuch der deutschen Außenministerin in Taschkent.
Interview: Oliver Hoischen
Herr Wemhoff, Alexander der Große kam bis an den Oxus, bis weit nach Mittelasien – ein beeindruckender Feldzug, bis heute. Was wissen wir darüber?
Matthias Wemhoff: Alexander überschritt 334 vor Christus den Hellespont und begann einen Krieg gegen die damals größte Macht auf Erden – das mächtige Perserreich. Innerhalb weniger Jahre brach dieses Reich zusammen. Alexander gelangte bis nach Zentralasien. Auch auf dem Gebiet, das heute zu Usbekistan gehört, stoppte er nicht, sondern überschritt den Fluss Oxus, der in der Antike als das Ende der Welt galt. Sein Ausgreifen über das heutige Afghanistan bis nach Indien und Pakistan setzte Regionen auf ganze neue Art und Weise sehr folgenreich in Beziehung.
Was genau meinen Sie damit?
Wer sich mit dem Alexanderzug beschäftigt, der könnte meinen, dass da jemand einfach so durchgerauscht ist und dass später, nach Alexanders frühem Tod, alles wieder so wie vorher war. Aber das stimmt nicht. Alexander hat selbst im entfernten Usbekistan Spuren hinterlassen. Nach seinem Tod entstand dort das graeco-baktrische Reich: mit einer prächtigen Kultur, einer starken Wirtschaft und blühenden Städten. Vieles blieb griechisch geprägt, sichtbar bis heute in Architektur und Kunst. Das Großreich der Kuschan, das es dort in den ersten Jahrhunderten nach Christus gab, zeigt ganz deutlich: das Griechische verschmolz mit den vielen lokalen Traditionen – und etwas Neues entstand. Die großräumigen Verbindungen haben das dann zusätzlich bereichert.
Kopf des Alexander III. mit Diadem und Ammonshorn auf einer griechischen Goldmünze, ca. 297 v.Chr. (c) bpk / Münzkabinett, SMB / Lutz-Jürgen Lübke
Von Alexander dem Großen bis zum Reich der Kuschan – archäologische Schätze aus Usbekistan. So heißt die Ausstellung, die ab Mai 2023 auf der Museumsinsel zu sehen sein wird. Worauf können sich die Besucherinnnen und Besucher freuen?
Das usbekische Kulturministerium hat zusammen mit den usbekischen Museen die Ausleihe von mehr als 270 großartigen Leihgaben genehmigt. Viele davon waren nie zuvor außerhalb des Landes zu sehen. Gerade haben wir den Vertrag mit der usbekischen Art und Culture Development Foundation unterzeichnet. Sie ist ein wunderbarer Partner. Wir können viele Zeugnisse zeigen, die unmittelbar vom Feldzug Alexanders stammen und die zum Teil erst in den vergangenen Jahren auf einsamen Bergfestungen ausgegraben wurden.
Was ist das zum Beispiel?
Besonders spektakulär sind die Funde aus Uzun Dara und Kurgansol, die wir in der Ausstellung erstmals außerhalb Usbekistans präsentieren können: Münzen, aber auch Keramik, Waffen und vieles mehr. Uzun Dara und Kurgansol waren hellenistische Festungsanlagen. Ihre Entdeckung ist eine wissenschaftliche Sensation.
Das macht neugierig …
Faszinierend sind auch die Skulpturen aus bemaltem Lehm, die in den trockenen Lehmhügeln der alten Städte, Klöster und Burgen hervorragend die Jahrhunderte überstanden haben. Ihre Qualität ist unglaublich. Die Gesichter der Figuren wirken ganz vertraut. Und manch ein Buddha sieht wirklich aus wie eine griechische Gottheit. Dabei wird sehr deutlich: Westliche und östliche Einflüsse sind hier zu einer neuen Bilderwelt verschmolzen.
Herr Wemhoff, Sie sind ein gefeierter Ausstellungsmacher. Vor vier Jahren haben sie in Berlin eine viel beachtete Show über die Bronzezeit in Turkmenistan präsentiert, einem Nachbarland. Was fasziniert Sie so an dem Gebiet?
Ich sage gern: Zentralasien ist ein riesiger Austauschraum. Viele Einflüsse kommen zusammen. Schon in der Antike gab es hier Entwicklungen, die in alle Himmelsrichtungen wirkten. Das Reich der Kuschan lag zwischen dem römischen Reich und dem chinesischen Reich, es war eine Brücke, die beide Welten verband, es war eine Kreuzung zwischen Orient und Okzident – und zwischen den Steppen im Norden und Indien im Süden. Obwohl es so riesig und mächtig war, haben die meisten von uns heute noch nie davon gehört. Das zeigt: Unsere Geschichtswahrnehmung ist sehr eurozentrisch. Vielen scheint es, als läge Zentralasien ganz am Rand. Mit unserer Ausstellung wollen wir dazu beitragen, diese Perspektive zu ändern.
Das klingt aktuell. Wie politisch ist die Ausstellung?
Natürlich können wir keine Ausstellung über Archäologie machen und dabei so tun, als gäbe es die Welt um uns herum nicht. Gerade war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Usbekistan. Dabei ist wieder einmal mehr als deutlich geworden, wie sehr beide Seiten ihre Kontakte intensivieren möchten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev haben schon 2019 die Ausstellung als wichtigen Beitrag zur Festigung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bezeichnet und ihre Unterstützung zugesagt. Nun, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, wird nochmals deutlich, wie wichtig es ist, auch die Länder Zentralasiens zu kennen.
Wie sehr geht es dabei neben dem russischen auch um den chinesischen Einfluss? China möchte die alte Seidenstraße als Handelsroute wiederbeleben …
Das stimmt, und Usbekistan spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber es gibt eben auch eine Menge europäischer Einflüsse in der Region. Bei meinen Besuchen bin ich überrascht gewesen, wie viele Menschen in Usbekistan Deutsch lernen und wie groß das Interesse an unserem Land ist. Auch bei uns ist die Neugier auf das Land in den letzten Jahren gewachsen. Wir werden nun die Aufmerksamkeit auf eine bisher unbekannte Epoche in der Geschichte lenken, die deutlich macht: Diese Region hatte immer schon das Potential eine verbindende Brücke, ein Austauschraum zu sein, nicht nur von Waren, sondern auch von Gedanken und Ideen.
Ja, mein Kollege Manfred Nawroth und ich sind in den vergangenen Jahren mehrfach nach Usbekistan gereist. Im intensiven Austausch mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen, den Archäologen vor Ort und den Museumsdirektoren haben wir Einblick in die aktuellen Forschungen und in die Funde erhalten. Es ist für mich immer ausgesprochen wichtig, wirklich vor Ort zu sein, um den Charakter eines Platzes zu begreifen und ihn dann auch in einer Ausstellung angemessen präsentieren zu können. Wir sind besonders intensiv durch den abgelegenen Süden Usbekistans gereist, durch die Region Surkhandarya, die abseits der Touristenströme liegt, also abseits der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stätten Samarkand, Buchara und Chiva. In Deutschland kennt man dieses Gebiet – und insbesondere den Hauptort Termez – vor allem deshalb, weil es an der Grenze zu Afghanistan liegt.
Ist es richtig, dass auch das Gold und Silber der Kuschan in der Ausstellung zu sehen sein wird?
Und ob. Die Haupstadt der Kuschan war Dalverzintepa, gelegen am Fluss Surchan-Darja. Sie war stark befestigt. Unsere archäologischen Funde lassen die Internationalität der Bewohner dieser Stadt deutlich erahnen. Schon in den wenigen bisher ausgegrabenen Arealen wurden zwei Tempel einer lokalen Gottheit, ein zoroastrischer Kultplatz und zwei buddhistische Tempel entdeckt. In den prächtigen Palästen trafen ganz unterschiedliche Völker aufeinander, es herrschte eine babylonische Sprachenvielfalt. Und tatsächlich: In einem Keramikgefäß haben unsere Kolleginnen und Kollegen einen riesigen Goldschatz gefunden – Barren, aber auch Ketten, Ohrringe und Armreifen mit einem Gesamtgewicht von 36 Kilogramm. Das ist wirklich eine Menge. Kein vor- und frühgeschichtlicher Goldschatz in Europa hat nur annähernd ein solches Gewicht. Einen Teil davon werden wir zeigen können.
Was ist Ihr persönliches Highlight?
Am meisten beeindrucken mich die Gesichter der Personen, die im großen Fries des Palastes von Kalchayan dargestellt sind. Die Darstellungen sind so plastisch, dass man meint, lebendige Menschen vor sich zu haben. Vor allem freue ich mich aber auf die vielen Videoinstallationen und Animationen. Bei unserem Besuch im September konnte ein Filmteam fantastische Aufnahmen mit einer Drohne von allen Grabungsplätzen machen. Die Filme sind richtig gut geworden. Wir nehmen die Besucherinnen und Besucher quasi mit auf eine Reise zu den Fundplätzen – und machen das Großreich der Kuschan erstmals visuell erfahrbar.
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