Embodied Histories – Entangled Communities:

Alternative Systeme: ruangrupa im Hamburger Bahnhof

ruangrupa, Foto: Gudskul/Jin Panji, 2019

Bei der Konferenz „Embodied Histories – Entangled Communities“ am 13. und 14. Juni im Hamburger Bahnhof kamen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen aus Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Thailand, Australien und Deutschland zusammen, um neue Perspektiven auf Narrative, Geschichte und deren Verkörperungen in performativen Praktiken zu diskutieren.

Text: Charlotte Heimann

Im Zuschauerraum hebt sich eine Hand. Meine Aufgabe ist es gerade, das Mikrofon herumzureichen, damit Besucher*innen ihre Fragen an Julia Sarisetiati stellen können. Die indonesische Künstlerin hat gerade die Konferenz „Embodied Histories – Entangled Communities – Southeast Asian and Western Approaches to Narratives and Performance Art“ im Hamburger Bahnhof eröffnet. In ihrem Vortrag ANTI ORDER ORDER CLUB berichtete sie über die Arbeitsweisen und Projekte des indonesischen Künstler*innen-Kollektivs ruangrupa, das 2022 auch die nächste documenta kuratieren soll.

Genau darauf bezieht sich auch die Frage des engagierten Zuschauers, der sich eben gemeldet hat. Was wird nun aus dem freien Geist des Künstlerkollektives? Können die individuellen Ansätze in einem so etablierten Rahmen wie der documenta bestehen? Julia Sarisetiati geht die kritische Frage ganz locker an: „Je mehr Leute wir erreichen können, desto besser ist es doch!“. Die Antwort wird mit freudigem Lächeln seitens der Zuschauer angenommen und der Vortrag findet sein Ende. Mich beschäftigt diese Frage jedoch weiterhin und sie begleitet mich während der ganzen zweitägigen Konferenz.

Julia Sarisetiati, Foto: Gudskul/Jin Panji, 2019

Um herauszufinden, ob ruangrupa die documenta ohne Kompromisse in ihrer Kunst kuratieren kann und ob die Kasseler Kunstschau überhaupt das richtige Medium für ruangrupa ist, müssen wir uns zuerst fragen, wofür das Kollektiv eigentlich steht. David Teh, ebenfalls ein Teilnehmer der Konferenz, beschreibt es als einen Schnittpunkt von Subkulturen sowie künstlerischen Strömungen, der einfacher Institutionalisierung trotzt. Alleine in dieser Definition verdeutlichen sich schon die Vor- und Nachteile. Dass ruangrupa verschiedene Strömungen auf einer globalen Sphäre vereinen möchte, geht Hand in Hand mit der Ursprungsidee der documenta. Das Ziel der ersten Schau 1955 war, die bedeutendsten Strömungen in der Kunst wie Fauvismus, Expressionismus, Kubismus, den Blauen Reiter und Futurismus zu präsentierten, um Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in einen Dialog mit der Welt zu bringen.

Indonesiens Kunstwelt

Auf der anderen Seite ist die documenta inzwischen eine ziemlich große und etablierte Institution. Wie weit sind die Mitglieder von ruangrupa bereit, sich auf diesen Status einzulassen oder wie werden sie versuchen, genau diesen Aspekt zu ändern? In einem Interview für das Magazin „Afterall“ erklärt Ade Darmawan, einer der bekanntesten Mitgründer des Kollektivs, dass ruangrupa nicht versucht, etablierte Systeme anzugreifen sondern ein alternatives System zu entwickeln, dass den Umständen entspricht und die lokalen Strukturen verbessern kann.

Die Gruppe wird immer wieder als besonders alternativ und unabhängig bezeichnet. Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Strukturen Indonesiens zu werfen. Die institutionelle Kunstwelt ist dort längst nicht so ausgebaut, wie wir es aus der westlichen Hemisphäre kennen, betont Grace Samboh, ein ehemaliges Mitglied von ruangrupa und Teil des kuratorischen Teams der Konferenz im Hamburger Bahnhof. Aufgrund der geringen institutionellen Strukturen organisieren sich Künstler*innen und Kulturschaffende vor allem selbst in Form von Kollektiven und unabhängigen Netzwerken.
Als Autorin setzt sich Grace Samboh in ihren Aufsätzen und Artikeln dafür ein, dass indonesische Kunst vor allem vor dem Hintergrund des eigenen geschichtlichen Kontexts verstanden wird. Ebenso wie Julia Sariseriati weigert sie sich, den Erwartungen des westlichen Blicks und Kanons zu entsprechen. Beide vertreten einen äußerst versierten und selbstbewussten, aber unaufgeregten Standpunkt, der die Welt aus indonesischer Sicht betrachtet und jegliche Selbstexotisierung kritisch sieht. Eine Einstellung, die bereits kritische Äußerungen sammeln musste.

Grace Samboh, Foto: Julian Abraham

Facettenreich und transnational

Hierbei stellt sich nämlich die große Frage, ob westliche Kunsthistoriker überhaupt über südostasische Kunst urteilen können und sollten. Und, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: ob ruangrupa geeignet ist, die documenta zu leiten. Kann ein Künstlerkollektiv, das so gar nicht aus dem westlichen Rahmen kommt, die documenta überhaupt „richtig“ kuratieren?
Bislang wurde die Kunstschau von individuellen Kuratoren und ihren für die documenta zusammengestellten Teams geleitet. Nun wird ein zehnköpfiges, eingespieltes Kollektiv mit großer Erfahrung diese Aufgabe übernehmen. Laut offizieller Website, dient die documenta als „Ort innovativer und Maßstäbe setzender Ausstellungskonzepte“. Vielleicht ist das ja endlich mal eine Gelegenheit, wirklich facettenreich und transnational zu arbeiten.

Diesen Weg geht das internationale kuratorische Team von „Embodied Histories – Entangled Communities“ bereits. Seit 2017 treffen sich die Beteiligten regelmäßig, um herauszufinden, was sie unterscheidet und was sie verbindet. Diesen Fragen soll auch nach der Konferenz in weiteren Workshops sowie verschiedenen Ausstellungen, Performances und Symposien von 2020 bis 2021 weiter nachgegangen werden. Auf die nächsten Schritte des Teams bin ich gespannt, da auch meine eigenen Interessen globalen performativen Künsten und kollektiver Arbeit gelten.

„Embodied Histories – Entangled Communities. Southeast Asian and Western Approaches to Narratives and Performance Art“ war eine Kooperation des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin mit dem Exzellenzcluster 2020 „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective“ der Freien Universität Berlin und wird durch die Unterstützung des Goethe-Instituts Südostasien ermöglicht.
Das Konferenz- und Performanceprogramm wurde entwickelt von Gridthiya Gaweewong (Jim Thompson Art Center, Bangkok, MAIIAM, Chiang Mai), Anna-Catharina Gebbers (Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin), Grace Samboh (Wissenschaftlerin, Kuratorin, Yogyakarta), Siuli Tan und June Yap (Singapore Art Museum) in Zusammenarbeit mit Kirsten Maar (Institut für Tanzwissenschaft, Freie Universität Berlin) und Annette Jael Lehmann (Institut für Theaterwissenschaft und Exzellenzcluster „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective“, Freie Universität Berlin).

Projektteam: Transfer Unit of the Cluster of Excellence 2020 “Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective”: Petra Wodtke; Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin: Alexander Wilmschen (Projektassistenz), Derya Aksoy, Charlotte Heimann (Praktikantinnen Wissenschaftliche Mitarbeiter) + Stella Becker, Noa Sehring (Praktikantinnen Restaurierung); Goethe-Insitut Indonesien: Anna Maria Strauß (Leiterin Kulturprogramme), Maya (Programmkoordinatorin); Video-Dokumentation: Art/Beats

Kommentare

    Kommentare

  • Widerlich, dass dieser antisemitischen, antideutschen und kommunistischen Truppe hier immer noch ein Forum geboten wird.
    Das passt, so sieht es aus, andererseits haargenau zur Zielrichtung des Direktorenduos. Woke nähert sich anscheinend unaufhaltsam einem Diskurs, der mit illiberal zu milde apostrophiert ist. Diesem Museum, das einmal eine gute Periode durchlebte, wünscht man wenig Gutes.

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