Die Brandenburgisch-preußische Kunstkammer gilt als Nukleus der Berliner Museen. In einem großen Forschungsprojekt haben Wissenschaftler:innen nun die Wege der Sammlung innerhalb der Berliner Museumslandschaft verfolgt.
Am Anfang war die Kunstkammer. Der brandenburgische Kurfürst Joachim II. gründete sie im 16. Jahrhundert als Kuriositätenkabinett für seinen Hof und sie wurde der Nukleus, aus dem später die Königlichen Berliner Museen und weitere Einrichtungen hervorgingen. Was im Laufe der Jahrhunderte (oder „bis zu ihrer endgültigen Auflösung im 19. Jahrhundert“) in der Brandenburgisch-preußischen Kunstkammer gesammelt wurde, war so vielfältig, kurios und komplex, wie die Welt eben ist: Nautiluspokale aus der Südsee als Verkörperungen von natürlichen Algorithmen, europäische Goldschmiedekunst, Schnitzereien aus Elfenbein, Jade oder Speckstein, Automaten, Textilien aus aller Welt, aztekische Masken aus Holz und menschlichen Knochen, mit Türkisen besetzten Mosaike, ausgestopfte Vögel, Münzen, mathematische Messinstrumente und vieles mehr. Im 18. und 19. Jahrhundert beteiligte sich zunehmend die wachsende Berliner Stadtgesellschaft an der Kunstkammer: Kaufleute, Wissenschaftler:innen und andere betuchte Bürger:innen der Stadt empfanden es als Ehre, Teile ihrer eigenen Sammlungen dem König für seine Kunstkammer zu überlassen.
Heute sind die Staatlichen Museen zu Berlin eines der größten Universalmuseen der Welt und haben einen Bestand von etwa 5,3 Millionen Werken, die auf 15 Häuser verteilt sind. Der Ursprung dieser Museumslandschaft lag in eben jener Kunstkammer Joachims II. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Sammlung des Kurfürsten fast gänzlich vernichtet, jedoch von einem seiner Nachfolger, Friedrich Wilhelm, Mitte des 17. Jahrhunderts wieder neu aufgebaut. Unter Friedrich III. fand die Sammlung schließlich ihren Standort im neu ausgebauten Berliner Stadtschloss, wo sie bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb.
In einem großangelegten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Projekt mit dem Titel „Das Fenster zur Natur und Kunst“ hat ein Forscher:innenteam seit 2018 die Kunstkammer und die Wege ihrer Objekte untersucht. In dem Projekt arbeiteten Fachleute der Staatlichen Museen zu Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und des Museums für Naturkunde Berlin zusammen.
„Ziel des Projektes war es, die Geschichte der Kunstkammer und ihren Einfluss auf die Berliner Museumslandschaft umfassend zu untersuchen und die Wege der Objekte nachzuzeichnen, die sich später in den Sammlungen etwa des Kunstgewerbemuseums, des Ethnologischen Museums oder des Museums für Naturkunde wiederfanden“, erklärt Angela Fischel, die das Projekt von Seiten der Staatlichen Museen zu Berlin koordiniert hat.
Während Forschungsarbeiten aus den 1980er Jahren sich auf eine Bestandsaufnahme konzentrierten und fragten, wie die Bestände der Kunstkammer ausgesehen und neuere Studien einzelne Phasen in der Geschichte der Kunstkammer beleuchtet hatten, beschäftigte sich das neue Projekt vorrangig mit den Quellen und Sammlungsdynamiken. Es wollte ergründen, was heute aus der Sammlung geworden ist und wie sich ihre Deutung über die Jahrhunderte veränderte.
„Das Bild, das die Forschenden gezeichnet habe, ist dementsprechend viel differenzierter“, erläutert Angela Fischel: „Anhand einzelner, exemplarischer Objektgeschichten gelang es, die Wege innerhalb der Berliner Museumsgeschichten nachzuzeichnen, aber auch die verschiedenen Deutungen der Sammlung und Objekte nachzuvollziehen.“
Interessant ist etwa die Geschichte eines „Krebsautomaten“ aus China, den die Forscherin Eva Dolezel im Team der Staatlichen Museen zu Berlin erforscht hat. Der fragile Automat, der aussieht wie eine Krabbe und sich von alleinefortbewegen konnte, gehört heute zum Bestand des Ethnologischen Museums. Dass dieses Objekt bereits 1740 aus China nach Berlin kam, zeigt die globale Ausrichtung der Sammlung, die schon damals präsent war. Als der Automat in die Kunstkammer kam, bestand in Berlin, wie überall in Europa, ein großes Interesse für das ostasiatische Kunsthandwerk. Er ist als Automat ein typisches Kunstkammerobjekt, das „exotisch“ ist und zugleich eine mechanische Meisterleistung darstellt. Aus diesem Kunstkammer-Kontext wurde der Automat herausgelöst, als er um 1850 in die ethnographische Abteilung des Neuen Museums überwiesen wurde. Später gelangte er in die Sammlung des damaligen Völkerkundemuseums und geriet dann in Vergessenheit. Wie Eva Dolezel recherchiert hat, wurde er noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher abwertend unter „Kuriosa“ verbucht. Heute steht der fragile Automat als Zeugnis der Berliner Sammlungs- und Museumsgeschichte wieder im Fokus der Wissenschaft.
Diese Geschichte verdeutlicht nicht nur, wie sich die Bedeutung der Objekte im Laufe der Zeit verändert hat, sondern zeigt auch, wie damit eine Zuordnung zu verschiedenen Sammlungen einherging.
„Als Koordinatorin im Projekt fand ich es sehr reizvoll, zu sehen, wie die heutige Trennung der Sammlungsbestände nach Disziplinen überwunden werden musste, um die ursprünglichen Zusammenhänge zu verstehen“, erinnert sich Angela Fischel. „Es war sehr spannend zu sehen, wie Objekte aus dem Kunstgewerbemuseum, dem Museum für Islamische Kunst oder dem Naturkundemuseum einmal zusammen funktioniert haben. Diese Neu-Kontextualisierung der Objekte wirft interessante Fragen auch über das Projekt hinaus auf.“
Die Ergebnisse des Kooperationsprojektes wurden in einer wissenschaftlichen Publikation sowie auf der Onlineplattform berlinerkunstkammer.de veröffentlicht. Hier können Interessierte nun in einer großen Materialsammlung stöbern und eigene Fragestellungen an die Kunstkammer entwickeln. „Die umfassende Materialsammlung, die meine Kolleg:innen zusammengestellt habe, birgt großes Potential“, sagt auch Angela Fischel. Die Seite lade dazu ein, sich selber auf die Suche zu begeben und zu sehen, wie Inventarlisten, Objekte und zeitgenössische Reiseberichte miteinander verknüpft sind. Damit sind gute Grundlagen für zukünftige Forscherinnen und Forscher gelegt, die vielleicht in zukünftigen Projekten genutzt und weiterentwickelt werden können – denn die Geschichte der Kunstkammer ist noch nicht zu Ende erzählt.
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