Der lang ersehnte Strandurlaub blieb in diesem Jahr für viele
aus. Manch einer denkt in diesen Herbsttagen nostalgisch an den letzten
Spaziergang am Meer und gemeinsames Muschelsammeln zurück … Zeit für
einen Blick auf das bunte Strandgut in unseren Museen.
Auf
einem Tauchgang durch die Sammlungen und Archive der Staatlichen Museen
zu Berlin kommen vielfältige Muschelschalen und Schneckengehäuse zum
Vorschein: als archäologische Funde sorgfältig aufbewahrt, zu
kunstvollen Gegenständen verarbeitet oder naturgetreu in Zeichnungen und
Gemälden dargestellt – die geheimnisvollen Gebilde laden die
Betrachter*innen regelrecht dazu ein, über die oftmals verschwimmende
Grenze zwischen Natur und Kunst nachzudenken. Muschelschalen und
Schneckengehäuse sind die sonderbaren Hüllen und Lebenstrümmer
verschiedener Meeresweichtiere, die zum Geschlecht der Mollusken und
somit zu den ältesten Lebewesen der Erde gehören. Zugleich sind sie seit
prähistorischer Zeit fester Bestandteil des menschlichen Alltags –
spielen die bunt gemusterten und vielgestaltigen Schalentiere als
Wertgegenstände doch seit Jahrtausenden eine bedeutende Rolle in
rituellen Kontexten, in Handelsbeziehungen und transkulturellen
Verflechtungen.
Muscheln und Meeresschnecken begegnen uns in
unterschiedlichster Form, Verarbeitung und Bedeutung in diversen
kulturellen Kontexten und somit in fast allen Sammlungsbereichen unserer
Museen. Neben ihrer Schönheit ist oft ihre Seltenheit oder das
Vorkommen in einst schwer erreichbaren Gewässern der Grund für die
besondere Wertschätzung, die ihnen zuteil wurde. Der damit einhergehende
symbolische Gehalt der Meereswunder zeugt von der Faszination, die
Menschen seit jeher für ihre Farben- und Formenvielfalt sowie für die
vielen Verwendungsmöglichkeiten hegten. Bis heute dienen die
geschwungenen oder spiralförmigen Hüllen als Schmuck, als
Zahlungsmittel, als Gefäße, als Musikinstrumente, als Vorlage
ornamentaler und architektonischer Strukturen, als Träger magischer
Kräfte und noch vieles mehr.
Die
Muschel Tridacna squamosa kommt in tropischen Gewässern wie dem
Persischen Golf, dem Roten Meer und dem Indischen Ozean vor. Besonders
große Exemplare mit reicher Gravur wurden in Westasien und im
Ostmittelmeerraum als Luxusgegenstände gehandelt und dienten in
wohlhabenden Haushalten wohl als Behälter für Kosmetika, wie
Rückstandsanalysen zeigen. Sie zeigen, dass es bereits um 700 v. Chr.
einen Austausch gab, der von Italien im Westen bis nach Iran reichte. Bei dem eleganten Exemplar aus den Ausgrabungen in der historischen
Stadt Assur im heutigen Irak bildet die geschnitzte Muschel-Schließe den
Kopf eines geflügelten Wesens. Sein reich verzierter Mantel und
ausgebreitete Flügel setzen sich auf der Außenseite der Muschel fort. Im
Inneren flankieren Musikanten einen heiligen Baum, und Sphingen
besetzen die äußeren Ecken.
Nautilusschnecken
stammen aus dem Pazifischen und Indischen Ozean und gehörten in der
Frühen Neuzeit zu den begehrtesten Sammlungsstücken europäischer
Wunderkammern. Dieses prächtige Gefäß soll der preußische König
Friedrich I. im Jahre 1701 als Neujahrsgeschenk erhalten haben. Es
befand sich nachweislich seit 1752 in der Königlichen Kunstkammer im
Berliner Schloss.
Die
ebenfalls im Indischen und im Pazifischen Ozean beheimateten
Kaurischnecken haben in vielen Kulturen eine große Bedeutung als Amulett
und dienen zur Abwehr böser Geister. Gleichzeitig werden sie in manchen
Volksgruppen als allgemein anerkanntes Zahlungsmittel genutzt. Bei
dem historischen Schmuck der Volksgruppen Ersja und Mockscha in Russland
sind Kaurischnecken besonders üppig an Brustgehängen der Frauentrachten
zu finden. Sie gelangten schon im Mittelalter über den Handel nach
Zentralrussland und wurden noch im 18. Jahrhundert gegen Pelze
getauscht.
Im
Alten Ägypten sollten Kaurischnecken Kinder und Frauen vor schlechten
Einflüssen wie auch dem „Bösen Blick“ schützen. Wohl wegen der
Ähnlichkeit mit dem weiblichen Genital wurden die Schnecken zudem als
Fruchtbarkeitssymbole gedeutet. Sie wurden als einzelnes Amulett oder
auch als Hals- und Bauchketten getragen.
Ein
weiteres Beispiel für den Glauben an die Wunderkräfte von
Naturmaterialien ist dieses Amulett aus dem 16. Jahrhundert, das heute
im Kunstgewerbemuseum beheimatet ist. Der Perlmutt-Zahnbeißer und Rassel
für Kinder sollte Stärke und Schutz verleihen. Die Vorderseite zeigt
als Relief eine Taube des Heiligen Geistes, auf der Rückseite ist das
Christusmonogramm ‚IHS‘ eingraviert, welches sich von den ersten drei
Buchstaben des Namens Jesu in griechischen Großbuchstaben ableitet, Ι Η Σ
Ο Υ Σ, wobei das Sigma durch ein lateinisches S ersetzt ist.
Der
Nürnberger Landschaftsmaler Johann Christoph Dietzsch war vom breiten
Farb- und Formenspektrum von Muscheln und Meeresschnecken so fasziniert,
dass er sogar eine eigene Sammlung besaß. Mit diesem Aquarell schuf er
um 1750 einige Vorlagen das Bildwerk ‘Vergnügen der Augen und des
Gemüths’ (Teil 11, Nürnberg 1764, Tab.III, IV und IX.) des
Kupferstechers und Fossiliensammlers Georg Wolfgang Knorr. In der
Bildanordnung der fünfzehn Muscheln in drei gegeneinander versetzten
Reihen passte sich Dietzsch formal der in Nürnberg um 1750
gebräuchlichen Muschelillustration an.
In
Neuguinea hatten Objekte aus Muschel- und Schneckenschalen häufig einen
besonderen Wert und sollten nicht von allen genutzt werden. Einen
solchen Kopfschmuck durfte am mittleren Gebiet des Sepik-Flusses
beispielsweise nur ein erwachsener Mann tragen, der im Krieg erfolgreich
gewesen war.
Spondylusmuscheln
hatten eine zentrale Bedeutung in Ritualen der Moche-Kultur (0-600 n.
Chr.) an der Nordküste Perus. Die auffälligen Stacheln und die rötliche
Färbung dieser Muschel sowie der Umstand, dass sie von der
ecuadorianischen Küste importiert werden musste, machten sie zu einem
besonders wertvollen Material. Lediglich während El Niño, wenn warme
Meeresströmungen den kalten Humboldstrom nach Süden drängen und es zu
starken Niederschlägen kommt, finden sich Spondylusmuscheln gelegentlich
auch vor der peruanischen Küste. Forscher*innen vermuten, dass die
Spondylusmuschel bei Ritualen eingesetzt wurde, die im Zusammenhang mit
dem ökologischen und damit auch sozialen Gleichgewicht standen.
Meeresschnecken
wurden vor der Ankunft der Spanier in Südamerika als Trompeten (pututu,
Quechua) verwendet, da sie einerseits durchdringende Töne erzeugen, die
eine große Reichweite haben, andererseits aber auch ein nuanciertes
Spiel ermöglichen. Sie wurden daher sowohl in Ritualen eingesetzt als
auch als Signalinstrumente verwendet. Es handelt sich um besonders
große Schnecken der Gattung Strombus, der Riesenschnecke des Pazifischen
Ozeans. Schon im ersten Jahrtausend vor Chr. finden sich pututus in
Zeremonialzentren in den Anden (beispielsweise Chavín de Huantar). Wie die Spondylusmuscheln wurden auch Meeresschnecken aus den warmen
Gewässern vor der ecuadorianischen Küste über weite Strecken in den
südlichen Andenraum gehandelt und waren daher besonders kostbar. Schon
in vorspanischer Zeit wurden sie auch aus Ton nachgebildet und in
heutigen traditionellen Festen durch Hörner ersetzt.
Ein
Kapitel für sich ist der symbolische Gehalt von Muscheln und
Meeresschnecken in der Malerei. In Stillleben, mythologischen Szenen
oder in Porträts tauchen sie immer wieder auf. Kaum zu übersehen ist
dabei ihr oftmals erotischer Beiklang. Als Venus-Symbol, aus dem
eine rote Lilie wächst, unterstreicht die monumentale Muschel in diesem
Gemälde aus der Nationalgalerie die sinnlichen Reize der Dargestellten:
Es handelt sich um die junge Pauline Bendemann (1809-1895), eine
Berliner Bankierstochter, die sich kurz zuvor mit dem Maler Julius
Hübner verlobt hatte. Das Bild entstand kurz nach dem Verlöbnis im Jahr
1829.
Auch
in diesem Gemälde von Jan Gossaert aus dem Jahr 1516 lässt sich eine
Meeresschnecke entdecken. Dargestellt ist das Götterpaar Neptun und
Amphitrite, wie es in einem von dorischen Säulen getragenen Kuppelbau
und auf einem von Wasser umgebenen Sockel steht. Seit jeher genoss der
Meeresgott Neptun als Beschützer der Schifffahrt und Seeleute besondere
Verehrung. Gossaert schuf sein Gemälde im Auftrag des Admirals der
niederländischen Flotte, Philipp von Burgund, der sich auf diese Weise
mit dem Meeresgott identifizieren wollte. Der Dreizack, den Neptun mit
seiner rechten Hand hält, dient der Entfachung oder Schlichtung von
Seestürmen. Auffällig und zugleich raffiniert platziert, bedeckt eine
fein gemusterte Meeresschnecke Neptuns Geschlechtsteil. Mit dem
elfenbeinähnlichen Kolorit und ihrer zugespitzten Form fügt sie sich
dabei geschickt in die Körperlichkeit der Bildgestalten ein.
In
Westeuropa sehr populär und auch sonst weit verbreitet ist die
Jakobsmuschel. Ihr Fleisch ist nicht nur fester Bestandteil der
mediterranen Küche, ihre Schale ist auch ein wesentliches
Erkennungszeichen des heiligen Jakobus, der als Schutzpatron der Pilger
gilt. Als Pilgerzeichen am Hut oder am Gürtel getragen, ist sie seit dem
Mittelalter mit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela verbunden,
die den meisten heute als „Jakobsweg“ bekannt ist.
„Weitwinkel
– Globale Sammlungsperspektiven“ ist eine interdisziplinäre
Veranstaltungsreihe, die sich in Anlehnung an aktuelle Ausstellungen,
Forschungsprojekte und Kooperationen der Staatlichen Museen zu Berlin
mit transkulturellen Themen und gesellschaftsrelevanten Fragestellungen
beschäftigt. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite zu Weitwinkel.
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