Die Ausstellungsintervention „Objektwege – Von der Kunstkammer ins Museum“ hinterfragt die museale Praxis: Welche Rolle haben Museen heute, wie werden Objekte präsentiert und wie beeinflusst die Präsentation unseren Blick auf die Dinge?
Text: Lisa Botti
In der Sammlung des Museums für Islamische Kunst befindet sich ein kunstvoll verzierter Teller aus dem 17. Jahrhundert. Er stammt aus Iznik in der Türkei und gelangte einst in die königliche Berliner Kunstkammer. Von dort wanderte er ins Kunstgewerbemuseum und schließlich ins Museum für Islamische Kunst. Doch warum durchlief der Teller diese vielen Stationen? Sein Weg durch die Sammlungen der Berliner Museen zeigt, wie sich die Perspektive auf ein Objekt im Zuge seiner Zuordnung zu verschiedenen Sammlungen ändern kann und wie transkulturelle Bezüge mehr oder weniger sichtbar werden, je nachdem in welcher Sammlung ein Objekt sich befindet.
Die Ausstellungsintervention „Objektwege – Von der Kunstkammer ins Museum“ beschäftigt sich mit der musealen Praxis und hinterfragt Grenzen, Spezialisierung, Kategorien, Zuordnungen und somit Geschichtsschreibung. Die Intervention ist Teil dieses Multiperspektiven-Blickwinkels, der transkulturelle Gesichtspunkte der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin in den Mittelpunkt stellt: Fünf Objekte sind in überraschenden Konstellationen am Kulturforum und auf der Museumsinsel präsentiert. Dabei werden ihre historischen Wege durch die Sammlungen beleuchtet.
Aufstellung des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum, Türkischer Saal, Raum 15, Fotografie, 1935, 18 x 24 cm, Ident.Nr. ZA 2.11./03255, Staatliche Museen zu Berlin – Zentralarchiv, Copyright Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.
Die Staatlichen Museen zu Berlin sind eines der größten Universalmuseen der Welt und haben einen Bestand von etwa 5,3 Millionen Werken, welche in 15 verschiedenen Sammlungen im Bode-Museum, Pergamonmuseum, Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum sowie vielen anderen untergebracht sind. Der Ursprung dieser Museumslandschaft ist die einst im Berliner Schloss beheimatete Kunstkammer. Die Berliner Kunstkammer geht auf Kurfürst Joachim II. zurück (reg. 1535 bis 1571). Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Bestand fast gänzlich vernichtet, jedoch von Kurfürst Friedrich Wilhelm wieder neu aufgebaut. Unter Friedrich III. fand die Sammlung schließlich ihren Standort im neu ausgebauten Berliner Stadtschloss. In dieser Kunstkammer-Sammlung, die vom 16. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein existierte, waren Objekte der Natur, Kunst und Wissenschaft vereint. Heute sind viele der vormals der Kunstkammer zugehörenden Objekte über zahlreiche Berliner Museen verteilt.
Roter Faden zwischen Standorten
Doch wie zeigt man einen gemeinsamen Ursprung und vor allem Bezüge der vielen Sammlungen in unterschiedlichen Häusern? Dies geschieht bereits, mit sammlungsübergreifenden Ausstellungen, wie der aktuellen Schau „Spätgotik – Aufbruch in die Neuzeit“ in der Gemäldegalerie, die Werke aus der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, dem Kunstgewerbemuseum sowie dem Kupferstichkabinett vereint; weitere Projekte mit einer ähnlichen Ausrichtung sind die regelmäßige stattfindenden, interdisziplinären Volontärsausstellungen sowie die Veranstaltungen der Reihe „WEITWINKEL – Globale Sammlungsperspektiven“, welche sich mit transkulturellen und gesellschaftsrelevanten Fragestellungen beschäftigt: Wie sind die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin entstanden und welche Bedeutung haben sie heute in einem globalen Zusammenhang? Wie wird mit Erwerbungen aus der Kolonialzeit umgegangen? Welche kulturübergreifenden Verbindungen und Geschichten verbergen sich hinter den Objekten? Welche Aufgaben haben Museen in der heutigen Zeit und welche neuen Konzepte stehen hierzu bereit? Inwiefern stellen Diversität und Inklusion eine besondere Herausforderung und zugleich Chance in Museen dar? Dies sind Fragen der sammlungsübergreifende Initiativen, die einen roten Faden zwischen den Standorten Museumsinsel, Kulturforum und Dahlem ziehen.
Teller (Gefäßkeramik), 1. Viertel 17. Jahrhundert, Iznik, Türkei, Höhe: 6,4 cm, Durchmesser: 34 cm, Wandungsstärke: ca. 0,9 cm, Quarzfritte, schwarze, blaue, grüne und Bolus-rote Bemalung unter transparenter farbloser Glasur, Ident.Nr. K 2352, Staatliche Museen zu Berlin – Museum für Islamische Kunst, Copyright Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Foto Johannes Kramer.
Wie interessant und ertragreich diese Perspektiven sein können, zeigt ein Blick auf die Geschichte unseres Tellers aus Iznik: In diesem Fall konnten Besucher*innen, die den Teller während seiner Zeit im Kunstgewerbemuseum sahen, erfahren, dass Keramik aus Iznik anfangs von chinesischem Porzellan beeinflusst und blau-weiß war und später selbst zum Vorbild für italienische Majolika Keramik wurde. Als er später ins Museum für Islamische Kunst kam, befand sich der Teller im „Türkischen Saal“ zusammen mit Wandteppichen und konnte so in Bezug auf Ornamentik und die Betrachtung der Keramikproduktion und -gestaltung in der islamisch geprägten Welt aufzeigen. Je nachdem wo und in welchem Rahmen ein Objekt ausgestellt ist, stellt es demnach andere Bezüge und Narrationen her; Werke stehen nicht für sich, sondern stets in einem Kontext, und dieser kann gesteuert werden.
Wie gelangten Objekte ins Museum?
Doch das Projekt „Objektwege“ besteht nicht nur aus der gerade beschriebenen Ausstellungsintervention, sondern es beinhaltet viel mehr. Es ist Teil des Forschungsprojekts „Das Fenster zur Natur und Kunst“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, eine Kooperation von Humboldt-Universität zu Berlin, Museum für Naturkunde Berlin und den Staatlichen Museen zu Berlin. Das Kooperationsprojekt fragt: In welcher Weise gelangten die Objekte in die Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin und wie wurden sie dort in immer wieder neue taxonomische, narrative, räumliche, inszenatorische sowie nutzungsbezogene Zusammenhänge gestellt? Es geht der Frage nach, welche Deutungen mit den jeweils neuen Sammlungszuordnungen der Objekte einhergingen und gewinnt so neue Einblicke in die Geschichte der Kunstkammer und die Entstehung der Museen. „Objektwege“ ist hier eine erste Präsentation von Resultaten dieser Forschungsrecherche.
Was ist „Objektwege“ noch? Es ist auch eine Online Ausstellung – mit vielen weiteren Hintergrundinformationen und Geschichten, die in einer analogen Ausstellung so nie kommuniziert werden könnte: Mit unserem Partner Deutsche Digitale Bibliothek konnten wir eine englisch- und deutschsprachige Ausstellungsplattform schaffen, die zunächst tiefgreifend Werke, Ursprung, Vergleichsobjekte und Wanderung beschreibt, und des Weiteren für immer online verfügbar und somit ohne Ticket, Zeitrahmen oder Anreise einsehbar ist.
Und zuletzt ist „Objektwege“ nicht nur eine Ausstellungsintervention, sondern eine eigene Ausstellung an sich: Sie zeigt exemplarische Objekt-Biographien auf, um somit wechselnde Interpretationen und Perspektiven hervorzuheben. Sie lädt ein, sich aus der starren Kategorisierung von beispielsweise Gewerbe, Design oder Skulptur herauszubewegen und durch Perspektivwechsel neue Einsichten zu erlangen.
Die Reihe „WEITWINKEL Globale Sammlungsperspektiven” beschäftigt sich ausgehend von Ausstellungen, Forschungsprojekten und Kooperationen der Staatlichen Museen zu Berlin mit transkulturellen Themen und gesellschaftsrelevanten Fragestellungen.
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Hallo liebes Forschungsteam, Ich finde Euren Beitrag sehr aufschlussreich. Besonders die Ergänzung von historischem Kontext und individuellen Objektwegen. Ich selbst bin auch Ethnologe und have mich einst mit Adolf Bastian und seiner Schrift befasst. Momentan suche ich nach einer Forschungsstelle. Vielleicht können wir ja einmal ins Gespräch kommen? Freundliche Grüße Heiner Kayser
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Hallo liebes Forschungsteam,
Ich finde Euren Beitrag sehr aufschlussreich. Besonders die Ergänzung von historischem Kontext und individuellen Objektwegen. Ich selbst bin auch Ethnologe und have mich einst mit Adolf Bastian und seiner Schrift befasst. Momentan suche ich nach einer Forschungsstelle. Vielleicht können wir ja einmal ins Gespräch kommen? Freundliche Grüße Heiner Kayser