Barbara Kruger im Interview: Bitte lachen / Please cry – Die Macht der Worte
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Die amerikanische Künstlerin Barbara Kruger fokussiert politische Themen in großformatigen Typografien. Die Neue Nationalgalerie zeigt nun die erste institutionelle Einzelausstellung „Bitte lachen / Please cry„. Joachim Jäger, stellvertretender Direktor des Hauses, traf die Künstlerin zum Gespräch.
Interview: Joachim Jäger
Joachim Jäger: Wenn man an Dein großes und komplexes Werk denkt, das Du in den letzten Jahrzehnten geschaffen hast, ist es auffällig, dass Bilder immer eine große Rolle gespielt haben. Berühmte Werke wie „Untitled (Your body is a battleground)“ oder „Untitled (Just be yourself)“ oder zuletzt das Cover des New Yorker Magazins mit dem Titel „Loser“ auf dem Gesicht von Donald Trump, sind jeweils von starken fotografischen Motiven geprägt. Für die Neue Nationalgalerie in Berlin hast Du Dich jedoch entschieden, hauptsächlich Texte zu verwenden. Wie kamst Du zu dieser Entscheidung?
Barbara Kruger: Jede Installation die ich mache, wird von ihrem Standort bestimmt: von der Architektur und der gebauten Umgebung, in der sie vorzufinden ist. Also versuche ich zu überlegen, wie das Betrachten jeweils Bedeutung konstruiert: Handelt es sich um eine Fußgänger*innen-Perspektive oder um eine Sicht aus dem Auto heraus? Für mich sind Erreichbarkeit und Lesbarkeit immer ein großes Anliegen. Und bei der Neuen Nationalgalerie dreht sich alles um den Innenraum, um eine ebenerdige Betrachtung. Es gibt keine Luftaufnahme, in der das Werk in einem Stück zu sehen wäre. So hoffe ich also, dass die Art und Weise, wie die Texte und Symbole verwendet werden, die bestmögliche und überzeugendste visuelle Dramaturgie ergibt für die Bedeutungen, die ich versuche hier herzustellen.
Können wir diese Installation, die Du für Berlin geschaffen hast, als ein Werk verstehen? Oder ist es eine Art Zusammenstellung von mehreren Werken?
Ja, ich sehe diese besondere Versammlung als ein Werk.
Was war der Ausgangspunkt für die Arbeit an der Neuen Nationalgalerie? War es ein konkretes Zitat oder gab es am Anfang mehrere Ideen? Womit hast Du angefangen?
Nun, mein erster Gedanke galt natürlich der Möglichkeit, in diesem historisch wichtigen Gebäude zu arbeiten, gerade in Bezug auf seine Rolle inmitten der Architektur und Kultur von Berlin, von Deutschland und Europa. Und was die Texte angeht, hoffe ich, dass ich, indem ich Texte von James Baldwin, Walter Benjamin und George Orwell einbeziehe, im Grunde genommen anrege, sich mit Ideen über Geschichte und Zukunft, über Angst und Hoffnung und über die Verwendung und den Missbrauch von Macht zu beschäftigen. Und die Texte, die ich selbst geschrieben habe, sind Fortsetzungen eines dauerhaften Anliegens in meiner Arbeit, nämlich zu fragen, wie wir zueinander stehen: bei Begeisterung, bei Verachtung, bei all unseren Ordnungen und Hierarchien.
„Emojis sind zu einer Art globaler Kurzform geworden, die in unserem gesamten digitalen Universum mitschwingt“
Einige deiner Texte, wie „Please Cry“ oder „Bitte lachen“, klingen wie eine Aufforderung und sind in einem Nachrichten-Stil geschrieben, den wir in den sozialen Medien gewohnt sind. Beziehst Du Dich also ganz konkret auf unsere zeitgenössische Kommunikation?
Ich versuche, sensibel auf die Möglichkeiten eines Ortes zu reagieren, und wie dort welche Bedeutungen produziert werden können. Und ich behalte das immer im Hinterkopf. Einige Räume ermöglichen eine längere, nachhaltige Betrachtung, während andere eine kürzere, effiziente Herangehensweise an die Betrachter*innen vorschlagen. In meiner Arbeit gibt es verschiedene Arten von Texten. Es gibt kürzere Texte in größerer Schrift, die auf eine bestimmte grafische Weise funktionieren, und längere Texte, die nachhaltiger sind und die wirklich nur im Prozess funktionieren, wenn man durch den Raum geht, wenn man über die Wörter geht und durch sie hindurch. Und die Emojis sind natürlich zu einer Art globaler Kurzform geworden, die in unserem gesamten digitalen Universum mitschwingt.
Es gibt manchmal eine gewisse Ironie in deinen Texten. Man kann zum Beispiel ganz am Ende der Halle in sehr großen Buchstaben lesen: „Ist das alles was es gibt?“ Umgeben von all diesen Smileys und Kurznachrichten wirkt das recht komisch.
Offensichtlich gibt es bestimmte Bedeutungen, die diese Texte suggerieren. Aber alle Betracher*innen bringen ihre eigenen Subjektivitäten beim Lesen ein. Wir leben in einer Zeit beschleunigter Ereignisse, die durch die Macht der digitalen Medien noch verstärkt wird. Und digitale Medien haben die Fähigkeit, sowohl befreiend als auch schrecklich zerstörerisch zu sein. Also versuche ich, das irgendwie deutlich zu machen. Und in gewisser Weise steht die Welt immer mehr sinnbildlich für die beständige Verehrung von Ruhm, für die wahnsinnige Inflation von Werten, für die ausufernden Spekulationen, für die tollwütigen Verschwörungstheorien und die Macht, zu bestrafen und zu beschämen. Ich denke also, dass uns dies die digitalen Medien in beschleunigter Form gebracht haben. Und dies wird über verschiedene Apps, Websites und über die mächtige, aber nicht überprüfbare Idee einer „Community“ produziert. Auch durch die Effektivität der Emojis. Ich meine, wer hätte gedacht, dass die Texte der Zukunft wie ein Haiku aussehen wurden?!
Es ist sehr interessant, dass Du Dich hier auf Haiku beziehst, auf diese traditionelle japanische Kurzform der Poesie. Mir fällt insgesamt bei Deiner Arbeit auf, dass Du Dir bestimmter historischer Formen und Traditionen sehr bewusst bist. Ist das auch der Grund, warum Du drei historische Zitate in deine Installation für Berlin aufgenommen hast?
Ich habe diese drei Zitate aufgenommen, weil ich denke, dass sie überzeugende Hinweise sind, wie die Welt war und ist. Und sie sind vielleicht heutzutage tiefgreifender denn je. Sie können relativ schnell gelesen werden, aber ihre Bedeutungen sollten nachwirken und bei aller Flüchtigkeit, bei allen Freuden und Qualen der digitalen Kultur weiterhin präsent bleiben.
„Für mich hat das Binäre nur im Digitalen seine Berechtigung, im System der Codierung zum Beispiel“
George Orwell schrieb den Roman „1984“, aus dem Du zitierst, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, sehr unter dem Eindruck des Nationalsozialismus in den Jahren zuvor. Der Roman ist hierzulande sehr prominent und häufig gelesen worden. Nun, im Lichte des russischen Krieges gegen die Ukraine und des totalitären Systems Russlands nimmt Dein Zitat plötzlich eine sehr zeitgenössische Bedeutung an…
Ja. Es bleibt tragisch, dass diese Worte immer noch die Brutalitäten und Kämpfe wiedergeben, die seit Jahrhunderten andauern. Und obwohl diese Bedeutungen hier und jetzt mitschwingen, darf man die Worte nicht nur als geographisch oder ortsbezogen verstehen. Ich bin sehr misstrauisch, wenn Künstler*innen an einen Ort gehen, an dem sie nicht leben, oder nur eine touristische Beziehung zu diesem Ort haben und auf einmal große Äußerungen über diesen Ort machen. Aber ich bin mir der Rolle von Geschichte bewusst und wie sich Unterwerfung und Unterdrückung im globalen Maßstab abspielen. In einer Deiner Emails sprichst Du davon, dass das Zitat von Walter Benjamin pessimistisch sei. Ich finde dieses Zitat nicht pessimistisch. Pessimistisch im Gegensatz zu was: optimistisch? Nein. Ich denke, es verweist auf die komplexen Verflechtungen und die an Dichte zunehmende Vernetzung unseres Alltags und wie sie sich daraus so etwas wie Geschichte bildet. Benjamin mag sich gefragt haben, was es bedeutet, eine Überblicksdarstellung zu schreiben, die sogenannte Zivilisation zu dokumentieren und dabei deren Tragödien und Qualen nicht mit zu nennen.
Also ist unsere Vorstellung von Zivilisation einseitig, weil sie unvollständig ist?
Ich meine hier nicht das Prinzip der Vollständigkeit. Ich denke nur, dass es im Leben Momente der Freude und des Vergnügens gibt, sowie Stress, Schmerz und Schaden. Und wie wir das erleben, wird maßgeblich von unserem Platz bestimmt, den wir innerhalb der Strukturen und Gebilde verschiedener Hierarchien einnehmen. Die Frage ist also nicht, ob etwas pessimistisch oder optimistisch ist. Ich finde, dass dieses binäre Denken einschränkend und unerbittlich kategorisierend ist. Für mich hat das Binäre nur im Digitalen seine Berechtigung, im System der Codierung zum Beispiel.
Es gibt einen Satz direkt am Eingang, der lautet: „Und wer vergessen ist. Hier. An diesem Platz.“ Wie Du weißt, gibt es derzeit eine globale Diskussion darüber, wozu Museen dienen, welche Rolle sie einnehmen, wer spricht, aus welcher Position heraus, wer vertreten ist und wer nicht: welche Art von Künstler*innen, welche Art von Bewegungen usw. Von daher frage ich mich, ob Du diese Zeile ganz in Bezug auf diese globale Museumsdebatte gewählt hast? Wendest Du Dich direkt an uns, an das Museum?
Nun, der Text steht dort, weil die Neue Nationalgalerie eine kulturelle Institution ist. Also, ja. Aber „dieser Ort“ konnte auch diese Stadt, dieses Gebäude, dieses Land, dieser Kontinent bedeuten. Ich werde diesen Text weiterhin in verschiedenen Institutionen und an verschiedenen Orten anwenden, an denen so unentwegt entschieden wird, wer gesehen wird und wer abwesend ist, wer gefeiert wird und wer vergessen wird, wer lebt und wer stirbt.
Es gibt also keine spezifischen Themen oder Personen, auf die Du Dich hier konkret beziehst?
Nun, sicher, wenn jemand es in diesem Raum liest, in diesem Gebäude, in Berlin, hat es seine Wirkung für bestimmte Leser*innen. Und es ist auf Englisch. Ich habe im Laufe der Jahre immer wieder gesagt, dass ein Werk, das in Deutschland entsteht, auch in deutscher Sprache bleiben sollte. Aber es wurde mir oft vorgeschlagen, in meiner Arbeit sowohl Deutsch als auch Englisch zu verwenden.
Ja. Ich denke, das ist schon eine gute Idee, gerade für Berlin, für eine so internationale Stadt, diese beiden Sprachen zu verwenden. Was bedeutet es für Dich, in diesem offenen, transparenten Mies-Gebäude zu arbeiten? Macht es für Dich einen Unterschied, ob Du Deine Arbeit draußen, auf Plakaten, auf Straßen oder hier im Rahmen dieses ganz besonderen Museums präsentierst?
Architektur gehörte zu meinen ersten Interessen und Leidenschaften überhaupt. Daher bedeutet mir die Möglichkeit, ein Werk in einem so einflussreichen ikonischen Bau zu schaffen, sehr viel. Einer der vielen Gründe, warum ich nach Los Angeles gegangen bin, war seine Architekturgeschichte. Und natürlich wurde die sogenannte Moderne in der Architektur an diesem Ort als bereichernd und befreiend angesehen, aber in vielerlei Hinsicht auch als kolonialistisch und negativ. Die Geschichte der Moderne in Los Angeles, vor allem in Bezug auf Wohnarchitektur, ging zurück auf Arbeiten von Einwanderer*innen aus Deutschland und Österreich. Diese Migration trieb auch das Wachstum der amerikanischen Filmindustrie voran, mit unzähligen Regisseur*innen, Schriftsteller*innen und Musiker*innen, die Europa entkommen waren und sich in Los Angeles neu erfanden. Sicherlich zählten Rudolf Schindler * und Richard Neutra * zu den ersten dieser Einwander*innen, aber ihre Arbeit ermutigte andere Architekt*innen wie, Gregory Ain *, Raphael Soriano *, Craig Ellwood * und so viele andere. Daraus resultierte das Case Study Movement, das neue Wohnformen hervorbrachte. Natürlich war Mies eine aufstrebende Figur in Europa. Die Neue Nationalgalerie hat dabei eine gewisse Nähe zum Guggenheim Museum, da es sich bei beiden um außergewöhnliche Gebäude handelt, die oft als reine Baukunst kritisiert werden, in der die dort vorhandenen Kunstwerke keine große Rolle spielen wurden. Diese Kritik teile ich jedoch nicht.
„Wenn ich meine Arbeit auf einen Raum übertrage, berücksichtige ich immer die Architektur“
Ja, es gibt eine starke Beziehung zwischen diesen beiden Museumsgebäuden, und es ist auch wahr, dass die Ausstellungsqualitäten des Mies-Gebäudes seit seinen Anfangen stark diskutiert wurden. Allerdings hat es in der Vergangenheit hier in der Halle spektakuläre Ausstellungen gegeben, oft gerade weil die Bespielung der Halle eine solche Herausforderung darstellt. Aber ich möchte noch einmal zurückkommen auf die andere interessante Beziehung, die Du hergestellt hast, zwischen den deutschen Einwander*innen und Deiner eigenen Situation, jetzt aus Los Angeles heraus eine Installation für Berlin zu schaffen….
Als Arnold Schönberg * zum ersten Mal in Los Angeles ankam, mietete er ein Haus, das nur einen Block von meinem heutigen Wohnort entfernt liegt. Er unterrichtete damals an der University of Southern California. Thomas Mann * lebte in einem Neutra-Haus in Pacific Palisades. Bert Brecht * lebte jahrelang in Santa Monica, war jedoch von dieser Erfahrung nicht so angetan. Herbert Marcuse * lehrte an der University of California, San Diego. Viele Europäer*innen begannen, Kunst zu sammeln und stellten mit ihren Salons und mit ihrer Unterstützung moderner Architektur einen wichtigen Teil des kulturellen Lebens der Stadt dar. Neutra und Schindler bauten viele Häuser, Schulen und andere öffentliche Gebäude im gesamten Umkreis von Los Angeles. Das Schindler-Haus an der Kings Road brach zusammen, bevor die Österreicher*innen ankamen und es wiederbelebten. Ich könnte immer wieder über die Beiträge derjenigen sprechen, die in Süd-Kalifornien angekommen sind – vor und während des Zweiten Weltkriegs….
Noch einmal zu Mies van der Rohe: gab es bei Deiner Arbeit hier eine gestalterische Inspiration durch Mies? Können wir das geometrische Layout deiner Texte als eine Hommage an dieses Gebäude sehen?
Ich würde es nicht als Hommage bezeichnen. Ich habe nur versucht zu verstehen, wie sich die Bedeutung, die ich versuche herzustellen, am besten in der Gebäude-Struktur unterbringen ließe. Wenn ich meine Arbeit auf einen Raum übertrage, berücksichtige ich immer die Architektur und die bauliche Umgebung, in der sie sich befindet. Und das Mies-Gebäude ist ein sehr sprechender und eleganter baulicher Rahmen.
Das große Zitat von George Orwell ist als Quadrat angelegt. Es bildet einen Platz in der Mitte des Gebäudes, wie ein städtischer Platz, auf dem man spazieren gehen kann. Es wirkt sehr ortsbezogen gestaltet.
Oh ja, natürlich. Als wir das erste Mal sprachen, war ich so aufgeregt über das Projekt und begann, kleine Skizzen zum Gebäude zu machen, nachdem Du die Pläne geschickt hattest. Und die Mittelachse, die durch das Gebäude läuft, war mir sehr klar. Wie Du Dich erinnerst, hatte ich zu Anfang nur diese eine zentrale Stelle im Gebäude bearbeitet, weil ich nicht wusste, ob Ihr diese anderen Bereiche auch miteinbeziehen wollt, die von Bauelementen geprägt sind, die sich nicht bewegen lassen. Aber auch später war es erneut der zentrale Zugang, den ich zuerst aktiviert habe. Und das wurde natürlich durch die Architektur ausgelöst.
„Ich hatte das Gefühl, dass es in Berlin am produktivsten wäre, Rot einzusetzen“
Gerne wurde ich noch ein paar letzte Fragen zum Design und zu den Farben stellen. In letzter Zeit hast Du viel mit der Farbe Grün gearbeitet, aber hier in Berlin hast Du Dich entschieden, zu deinen früheren Grundfarben zurückzukehren, Weiß, Schwarz und Rot. Was hat Deine Entscheidung geprägt, gerade diese drei Farben zu verwenden?
Nun, wie Du weißt, bin ich gerade dabei, meine Ausstellung im LACMA (Los Angeles County Museum of Art) aufzubauen, die zuvor in Chicago gewesen war, und die später zum Teil im MoMA (Museum of Modern Art, New York) sein wird. Diese Arbeit ist hauptsächlich in Schwarz, Weiß und Grün angelegt. Und das mache ich schon seit Jahren so: in Glasgow, an vielen Orten. Aber es gibt einige Orte, an denen ich das Rot benutze. Ich dachte gerade hier, Rot wäre eine gute Wahl. In vielen Situationen bleibe ich dabei zurückhaltend, weil Rot für eine stereotype Vorstellung steht für das, was von mir erwartet wird. Aber ich hatte das Gefühl, dass es in Berlin am produktivsten wäre, tatsächlich Rot einzusetzen.
Es gibt bestimmte historische Verwendungen dieser drei Farben, worauf im Zusammenhang mit Deiner Arbeit hingewiesen wurde. So erinnern etwa die Typografie und die Farben an die Sprache und die Ästhetik der russischen Avantgarde der 1920er Jahre. Hast Du Dich speziell für die frühen grafischen Entwürfe politischer Agitation interessiert?
Nein, ich war nicht ausdrücklich an dieser Kunst interessiert. Tatsächlich war ich mir dessen nicht bewusst. Ich habe die Universität nicht abgeschlossen und habe keinerlei Abschlüsse. Ich besuchte die Universität für zwei Jahre, aber habe abgebrochen. Meine Familie hatte sehr wenig Geld und ich musste mir einen Job suchen, um mich selbst zu finanzieren. Ich war mir daher der Konstruktivisten nicht bewusst [lacht] und erst später wurde ich auf deren Arbeiten aufmerksam gemacht. Aber ich benutzte diese Farben, als ich bei großen Zeitschriften begann mitzuarbeiten. Ich wusste nicht, dass sie mit dem russischen Konstruktivismus verwandt sind. Ich wurde jetzt nicht leugnen, dass es eine Verbindung gibt, das kann ich sehen. Aber als ich meine künstlerische Sprache entwickelte, war ich mir dessen ganz sicher nicht bewusst. Später habe ich begriffen, dass man mich vielleicht als Autodidakten bezeichnen konnte.
In Bezug auf Zeitschriften und Presse und in Bezug auf Deine Installation hier kommt mir die BILD-Zeitung in den Sinn. Der Titel dieser Boulevardzeitung hat genau die gleichen weißen Buchstaben auf einem roten Feld wie das Wort „Bild“ in Deinem Orwell-Zitat. Es mag nur ein Zufall sein, aber ich frage mich, wie sehr Du Dich noch auf die analoge Welt von Presse und Zeitschriften beziehst?
Ich denke, in Europa gibt es eine lebendigere analoge Zeitungskultur. Obwohl ich sicher bin, dass die digitalen „Nachrichten“ auch hier zunehmen werden. In den USA sind so viele Zeitungen verschwunden, darunter auch Lokalzeitungen, was sehr beängstigend ist. Lokale Nachrichten sind häufig sehr kritisch und auf den Standort bezogen, sie adressieren die Probleme mit einer Vertrautheit, die in nationalen Medien so nicht möglich oder erwünscht waren. Die großen Unternehmen haben kleine Zeitungen gekauft und zerstört. Es geht um Spekulation und Profit auf Kosten wichtiger Informationen, die gerade erst ein verantwortungsvolles Lesen und Denken ermöglichen. In New York gibt es mehrere Hardcopy-Zeitungen, wenn man eine Murdoch-Publikation noch eine Zeitung nennen kann. Aber sicherlich waren die großen Schlagzeilen aus den alten New Yorker Boulevardblättern mit ihrer schreienden serifenlosen Typographie das, was mich immer interessierte. Meine Zeit in Magazinen brachte mir bei, wie ich herausfinden kann, wie man Leute dazu bringen kann, aufmerksam zu sein und nicht die Seite umzublättern oder wegzugehen. Aber das habe ich im redaktionellen Design gelernt. Ich habe nie in der Werbung gearbeitet.
„Ich hoffe, es gelingt mir, die Widersprüche von Macht, Kontrolle, Geschlecht, Farbe und Geld in den Vordergrund zu rücken“
In mehreren Interviews hast Du gesagt, dass Du eher versuchst, keine eindeutige Position zu beziehen. Aber mit dem Hauptzitat hier in dieser Arbeit, dem Orwell-Zitat, vertrittst du eine starke Position. Das Zitat wirkt irgendwie bedrohlich. Man denkt darüber nach, ob wir unsere Gesellschaft verändern sollten, ob unsere Gesellschaft oder gar die gesamte Zivilisation noch auf dem richtigen Weg ist. Glaubst Du, dass Deine Ausstellungen die Besucher*innen verändern oder dass sie versuchen werden, ihr eigenes Leben und ihre Arbeit zu überdenken?
Ich erinnere mich nicht daran, jemals gesagt zu haben, dass ich vorsichtig wäre, eine Position einzunehmen. Ich denke, der Kontext damals konnte erklären, wie ich das gemeint habe. Ich hoffe, dass meine Arbeit die Menschen bewegt und zu Fragen und kritischem Denken ermutigt hat. Oder wie Bob Dylan vor Jahren sagte: „Strike a Match in them“, [lacht] sie zum Nachdenken bringt. Nicht um einen Brand auszulosen, sondern um hoffentlich Erleuchtung zu bringen… Oh, ich zitiere Bob Dylan, das ist etwas, was ich nie tue. Ich will den Leuten nicht sagen, was sie denken sollen. Ich habe keine Antworten, und ich weiß nicht unbedingt, was das Beste ist, und [lacht] so sehe ich es.
Mich hat immer begeistert, dass Du sehr darauf bestehst, Deine Arbeit offen zu halten, und dass Du feste Kategorien aller Art meidest.
Die ersten Worte, die Du siehst, wenn Du die Halle betrittst, lauten: This is about You. I mean Me. I mean You.” („Es geht um Dich. Ich meine mich. Ich meine Dich“). Ich hoffe, es deutet eine fließende Subjektivität an und es verweist auf die Macht des eigenen Egos und der Empathie. Ich hoffe, es gelingt mir damit, die Widersprüche von Macht, Kontrolle, Geschlecht, Farbe und Geld in den Vordergrund zu rücken.
Das ist ein guter Schluss, Barbara. Danke für das Gespräch.
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