„Bereit für Tag X“: Pop on Paper im Kupferstichkabinett

Am 2. April sollte eine große Schau zur Pop Art im Kupferstichkabinett beginnen – doch dann kam alles anders. Kurator Andreas Schalhorn im Gespräch über eine verhinderte Ausstellung und das Museumsleben im Corona-Lockdown.
Interview: Sven Stienen
Am
2. April hätte die große Schau „Pop on Paper“ des Kupferstichkabinetts
eröffnen sollen, dann kam der Corona-Lockdown dazwischen. Was hätte die
Besucher*innen in der Ausstellung erwartet?
Andreas Schalhorn: Die Pop-Art-Sammlung des Kupferstichkabinetts ist eine der
bedeutendsten in Europa, was die Druckgraphik angeht. Die Ausstellung
bietet nun, 50 Jahre nachdem die ersten Arbeiten für unser Museum
angekauft wurden, zum ersten Mal einen Überblick über unseren großen
Bestand an US-amerikanischer Pop Art auf Papier. Mit dabei sind viele
Superstars wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein, aber auch unbekanntere
Künstlerinnen und Künstler, die nicht minder spannend sind. Außerdem
zeigen wir nicht nur Papier, sondern auch Objekte wie zum Beispiel zwei
Paper Dresses aus dem Kunstgewerbemuseum. Das waren Kleider mit Motiven
der Pop Art, die ursprünglich als Werbegimmick im Rahmen von
Marketingkampagnen – etwa für die durch Andy Warhol berühmt gewordenen
Campbell’s-Suppen – konzipiert wurden. Ab Mitte der 1960er-Jahre
entwickelten sie sich in den USA schnell zu einem Bestseller. Da sich
der billige Zellulosestoff einfach und kostengünstig bedrucken ließ,
waren die Kleider im Verkauf billig und somit auch für junge, wenig
kaufkräftige Konsumentinnen erschwinglich. Die Kleider zeigen wunderbar
den Bezug der Pop Art zur Wegwerfgesellschaft und der Konsumkultur in
den USA um 1970.

Wie ist die Ausstellung aufgebaut?
Die Ausstellung besitzt zehn Kapitel zu verschiedenen Aspekten und
Künstlern. Der größte Fokus liegt auf dem für die Pop Art typischen,
auflagen- und ausdrucksstarken Siebdruck. Wir schauen aber auch in
Richtung Plakatkunst, wie sie in der Kunstbibliothek vertreten ist, und
zeigen außerdem einige besonders schöne Warhol-Zeichnungen aus der
Sammlung Marx, die aus seiner Frühzeit als Werbegrafiker stammen, bevor
er zu einem kommerziellen Kunst-Star wurde. Als kleine Spitze gegen die
historisch bedingte Männerlastigkeit zeigen wir ausgewählte Arbeiten von
Künstlerinnen wie Sturtevant, der heute so gefeierten Filmemacherin
Ulrike Ottinger und Maria Lassnig, die eigene Pop-Art-Phasen hatten.
Gegenüber der Dominanz der „alten weißen Männer“ aber auch dem Sexismus
etwa eines Mel Ramos zünden sie kleine Störfeuer. Für mich besonders
erwähnenswert ist hier die zeitgenössische Berliner Künstlerin Antje
Dorn, die wie ich in Aachen aufwuchs und von der von US-Kunst um 1970
dominierten Sammlung von Peter Ludwig geprägt wurde.
Im Großen und
Ganzen geht es aber vor allem darum, endlich einmal die US-amerikanische
Pop Art am Kupferstichkabinett – zusammengetragen vom früheren Direktor Alexander Dückers – in einem vielfältigen Powerplay vorzustellen. Da war nicht nur alles
schöner Schein übrigens – ein monumentales, vierteiliges Werk von James
Rosenquist zeigt mit dem Jagdbomber F-111, der im Vietnam-Krieg
eingesetzt wurde, die Kehrseite der Wohlstandsmedaille.
Welchen Teil der Schau finden Sie selbst am spannendsten?
Ich mag zum einen, dass wir im Medium von Sieb- und Offsetdruck den
Übergang von der Pop Art als Edition in limitierter Auflage hin zum oft
unlimitierten Künstlerplakat zeigen können. Auf diese Weise wurde die
Pop Art als Pop on Paper wirklich global verbreitet und damit populär.
Zum anderen sind für mich persönliche Highlights der Ausstellung die
beiden schon erwähnen Paper Dresses, die wir vom Kunstgewerbemuseum
ausleihen konnten. Sie bündeln die Themen der Ausstellung und der Pop
Art auf genial Weise: das Zusammentreffen von Kunst und Kommerz, Mode,
Design, Konsumkultur. Das trifft alles genau den Nerv dessen, wofür Pop
Art steht. Ach ja, und ein früher Golden Shoe von Andy Warhol sei als
„Liebling“ nicht vergessen – göttlich!
Nun
befinden wir uns aufgrund der Coronavirus-Pandemie im Lockdown – wie
fühlt es sich für Sie an, dass die Ausstellung nun vorerst nicht gezeigt
werden kann und Ihre ganze Arbeit im schlimmsten Fall umsonst war?
Es war natürlich ein Schock als die Nachricht des Lockdowns kam –
gerade auch im Hinblick auf die Mühen, die sich die
Ausstellungsgestalter und die ausführenden Gewerke schon gemacht hatten.
Wir bespielen ja immerhin die große obere Sonderausstellungshalle am
Kulturforum! Alle waren zunächst wie paralysiert, es wusste ja niemand,
was auf uns zukommt und wie es weitergehen würde. Die Nachricht, dass
nun alle nach Hause müssen, kam, als wir gerade soweit waren, die
Kunstwerke zu hängen. Wir waren perfekt im Zeitplan und ganz kurz vor
der Fertigstellung und dann war plötzlich Schluss. Aber nun erholen wir
uns von dem Schock und wollen, sobald es möglich ist, die Arbeit wieder
aufnehmen und alles für den Tag X, den Tag an dem die Besucherinnen und
Besucher wieder in die Museen können, vorbereiten. Denn das ist ja das
wichtigste: Dass die Menschen die Kunst sehen können, dafür machen wir
das ja alles.
Werden die Inhalte der Ausstellung im Web verfügbar sein?
Wir bemühen uns, soviel wie möglich online zugänglich zu machen. Wir
werden Beiträge hier im Museumsblog veröffentlichen und auch auf Facebook und Instagram kleine
Geschichten posten. Und sobald die Ausstellung aufgebaut ist – ich
hoffe, dass wir in absehbarer Zeit die Arbeit hinter den Kulissen wieder
aufnehmen können – werde ich gerne Kamerateams durch die Ausstellung
führen, damit die Leute zuhause am Bildschirm einen Eindruck von all den
Pop-Facetten bekommen können. Außerdem ist auch bald der Katalog zur
Ausstellung mit vielen wirklich tollen Beiträgen über den
Online-Museumsshop und den Kerber Verlag erhältlich.

Was empfehlen Sie Kulturinteressierten und Pop-Art-Fans während der Krise?
Sie können sich natürlich, wie gesagt, zum Warm-up bald unseren von
Peter Nils Dorén schön gestalteten Begleitband zur Ausstellung besorgen
und unsere Online-Inhalte anschauen. Wer tiefer und unterhaltsam ins
Thema einsteigen möchte, dem empfehle ich wegen dem genialen
Bildmaterial das „Andy Warhol Giant Size“-Buch, das gibt es auch in
einer Mini-Ausgabe. Oder einen Besuch der Webseite des Andy Warhol Museums in Pittsburgh. Dort finden sich viele interessante Aspekte – auch Archivalien – zu diesem „Leonardo“ der Pop Art.
Ich hoffe aber vor allem, dass wir es doch halbwegs bald schaffen, die
Ausstellung zu öffnen. Und vielleicht machen wir dann im Spätsommer zur
Finissage eine große Party, die wir eigentlich zur Eröffnung am 2. April
geplant hatten. Mit Pop-Musik und einer Bar. Mal sehen, was bis dahin
(auch in Sachen Sicherheitsabstand) passiert …
Die Ausstellung „Pop on Paper. Von Warhol bis Lichtenstein“ sollte vom 2.4. bis 26.7.2020 laufen, wird aber nun bis auf Weiteres nicht geöffnet sein. Informationen zu aktuellen Entwicklungen rund um das Programm der Museen gibt es auf der Webseite der Staatlichen Museen zu Berlin.
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