Biografien der Objekte: Irrwitziger Tausch mit dem Deutschen Reich
Lesezeit 7 Minuten
Die Nationalgalerie nahm im März 1942 eine Überweisung vom
Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Empfang: Eine
Studie zum „Eisenwalzwerk“ von Adolph Menzel. Das Ministerium hatte sie
beim Berliner Kunsthändler Ferdinand Möller gegen 222 Graphiken der
„Entarteten Kunst“ eingetauscht.
Text: Hanna Strzoda, Provenienzforscherin am Zentralarchiv
In
der NS-Zeit erwarb die Nationalgalerie ungefähr 1.300 Kunstwerke für
die „Sammlung der Zeichnungen“. Eines davon war eine Studie von Adolph
Menzel zum berühmten „Eisenwalzwerk“. Dieses Gemälde besaß das Museum
schon seit fast 70 Jahren, als 1942 unverhofft die Bleistiftzeichnung
hinzukam. Im Inventarbuch steht: „Vom Reichsministerium für
Volksaufklärung und Propaganda für beschlagnahmte Gegenstände der
‚entarteten Kunst‘ eingetauscht und der National-Galerie überwiesen“.
Beschlagnahme von „Entarteter Kunst“
Mit
dieser Information ausgestattet, schaute ich zu allererst in die Akten
zur „Entarteten Kunst“ im Zentralarchiv. Schließlich war die
Nationalgalerie mit ihrer Abteilung für moderne Kunst, die 1919 im
Kronprinzenpalais eröffnete, ein Museum, das besonders heftig unter der
nationalsozialistischen „Säuberungsaktion“ zu leiden hatte: 1937 zog die
Beschlagnahme-Kommission unter Leitung von Adolf Ziegler, dem
Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, durch rund 100 Museen
und konfiszierte über 20.000 Kunstwerke der Moderne, die nicht zur
reaktionären Kunstauffassung der Nazis passten. Die Diffamierung traf
vor allem die Künstler des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus,
Kubismus und der Neuen Sachlichkeit. Das Regime degradierte ihre Kunst
zu einer „Verfallserscheinung“.
In
den Akten entdeckte ich ein Dokument mit dem Titel: „Tausch von
beschlagnahmten Produkten Entarteter Kunst gegen Werke deutscher Meister
des XVIII. und XX. Jahrhunderts“. Obwohl Menzel kaum als Künstler des
18. Jahrhunderts zu bezeichnen ist, stand auf Seite 15 die gesuchte
Studie. Sie wurde gegen sage und schreibe 222 moderne Zeichnungen und
Graphiken eingetauscht. Die zugehörige Liste mit Werken, die aus
verschiedenen deutschen Museen beschlagnahmt worden waren, ist über zehn
Seiten lang. Sie stammen von berühmten Künstlern wie Ernst Ludwig
Kirchner, Wassily Kandinsky, Franz Marc und Paul Klee. Ein Tausch in
diesem irrwitzigen Verhältnis 1:222 war wirklich nur im Zuge der
repressiven Kunstpolitik der 1930er-Jahre und der ideologischen
Abwertung der Moderne möglich.
Doch eine Kleinigkeit in diesem
Dokument irritierte mich. Wieso wurde die Menzel-Zeichnung hier als
„Erwerbung im Januar 1940“ bezeichnet? Die Nationalgalerie hatte sie
doch erst im März 1942 vom Propagandaministerium erhalten? Die Antwort
gab eine „Übersicht über die Verteilung der für beschlagnahmte Werke der
entarteten Kunst eingetauschten Werke“. Sie verwies auf einen
Tauschvertrag vom Januar 1940. Und ich erfuhr: Geschäftspartner des
Ministeriums war der Berliner Kunsthändler Ferdinand Möller.
Der Tauschvertrag
Ich
wusste, als ich den Namen Ferdinand Möller las, dass ich einen Experten
zu Rate ziehen musste. Niemand weiß mehr über diesen Kunsthändler als
Wolfgang Schöddert. Er betreut das Ferdinand-Möller-Archiv in der Berlinischen Galerie. Wir widmeten uns der Angelegenheit nun gemeinsam und stießen bald auf den Tauschvertrag vom 2. Januar 1940.
„Der Preis beträgt
für die genannten Objekte in Summe je 3.000,– RM“, ist darin zu lesen,
und weiter: „Die Menzelzeichnung ist von Herrn Ferdinand Möller
ordnungsgemäss dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
übergeben worden und mit der Übergabe in Reichseigentum übergegangen.“
Außerdem ist dem Vertrag zu entnehmen, dass die modernen Kunstwerke „aus
den Beständen in Schloss Niederschönhausen“ im Berliner Bezirk Pankow
stammten. Dort bunkerte die Reichskammer die beschlagnahmte Kunst, bis
schließlich die vier „Verwerter“ auf den Plan traten. Ein Foto aus dem
Depot zeigt am rechten Rand den Graphikschrank.
„Verwerter“ Ferdinand Möller
Vier
Kunsthändler wurden offiziell zum Verkauf der „Entarteten Kunst“
ermächtigt. Sie durften die Werke aber nur im Ausland absetzen, denn die
„Verfallskunst“ sollte aus dem Deutschen Reich verschwinden. Die so
genannten „Verwerter“ waren Hildebrand Gurlitt aus Hamburg, Bernhard A.
Böhmer aus Güstrow sowie Karl Buchholz und Ferdinand Möller aus Berlin.
Ferdinand Möller
(1882–1956) war seit 1918 als Kunsthändler in Berlin ansässig. Als
Galerist vertrat er bis in die NS-Zeit hinein genau jene Avantgarde, die
dann als „entartet“ galt. Vor allem die Expressionisten und die
Bauhaus-Künstler zählten zu seinen Favoriten. Er war also absoluter
Spezialist für zeitgenössische Kunst. Das qualifizierte ihn auch aus
Sicht der Nationalsozialisten für die Verwertung der ungewollten
Moderne. Unendlich viel ließe sich noch über das Thema „Entartete Kunst“
, über die „Verwerter“ und über den Kunsthandel in der NS-Zeit
erzählen, aber uns interessiert hier ja vor allem der Weg der
Menzel-Zeichnung.
Kunsthandlung Viktor Rheins
Um dem auf
den Grund zu gehen, konsultierten wir Möllers Geschäftsbücher, denn dort
sollte er festgehalten haben, von wem er das Menzel-Blatt erworben
hatte. Und tatsächlich: Er kaufte es bei seinem Kunsthändlerkollegen
Otto Feindt (1892–1944), dem Inhaber der Berliner Kunsthandlung Victor
Rheins. Möller erfasste das Werk am 2. Juni 1939 mit der laufenden
Nummer 2038 in seinem Waren-Eingangsbuch.
„V. Rheins, Berlin“, ist hier zu entziffern, pragmatisch abgekürzt der
Bildtitel „Menzel, Walzwerk“, erworben zu einem Preis von 1.500
Reichsmark.
Auch die
Kunsthandlung Victor Rheins kooperierte mit den Machthabern. Sie
belieferte zum Beispiel den „Sonderauftrag Linz“, der Kunst für Hitlers
geplantes Führermuseum beschaffen sollte. Doch von wem hatte nun
wiederum Feindt die Menzel-Zeichnung erworben? Durfte ich nun endlich
auf einen namhaften Sammler als Vorbesitzer hoffen? – Nein, stellte sich
heraus. Feindt besaß das Blatt nur zwei Monate. Er hatte es im April
1939 im Auktionshaus C. G. Boerner in Leipzig ersteigert.
Menzel unter dem Hammer
„Deutsche
Handzeichnungen der Romantikerzeit. Deutsche Graphik des frühen XIX.
Jahrhunderts. Alte Zeichnungen verschiedener Schulen“, so titelte der
Katalog zur Auktion am 28. April 1939 bei C. G. Boerner. Unter
Los-Nummer 173 kam ein „Studienblatt mit Bewegungsstudien für die Männer
an dem Ofen auf dem Bilde ‚Das Eisenwalzwerk‘ in der Nationalgalerie in
Berlin“ unter den Hammer. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen: Unsere
Zeichnung ist im Katalog abgebildet.
Wie
damals üblich, war der Vorbesitzer, der das Blatt in die Auktion
eingeliefert hatte, im Vorspann des Katalogs chiffriert. Unser Los ist
in der unübersichtlichen Zahlenkolonne in der „Besitz-Aufstellung“ dem
„Besitz B (107)“ zugeordnet.
Der
Code selbst verrät nichts über die Identität des Vorbesitzers. Also
kontaktierte ich die Kunsthandlung C. G. Boerner, die heute in
Düsseldorf ihren Sitz hat. Im dortigen Archiv fand man eine
verwunderliche Notiz: Der Einlieferer war C. G. Boerner selbst. Das
Menzel-Blatt kam aus dem eigenen Lagerbestand in die Auktion – Werke,
die das Leipziger Auktionshaus oft über Jahre auf Lager hielt, um sie
späteren Auktionen einzugliedern, in die sie thematisch passten oder um
qualitative oder quantitative Lücken zu schließen. Dieser Lagerbestand
ist für die Provenienzforschung zur Zeit noch ein großes Rätsel, denn
Unterlagen dazu existieren nicht.
Drei Kunsthandlungen in zwei Jahren – und jetzt?
Zwischen
1939 und 1940 ging die Menzel-Studie durch die Hände dreier
Kunsthändler. Die Recherchen gaben zwar einen faszinierenden Einblick in
das Kunsthandelsnetzwerk in der NS-Zeit, aber die Kernfrage blieb immer
noch offen: Wer war Eigentümer des Kunstwerks zwischen 1933 und 1939?
Am 19. Mai 1939 schrieb C. G. Boerner dem Direktor der Nationalgalerie:
„Ich bin in der schwierigen Lage, dass zufällig der grössere Teil meiner
Auftraggeber in Geldnöten ist und ich von allen Seiten gebeten werde,
die Auszahlungen vor den vereinbarten Terminen zu leisten.“ Wer diese
Kunden waren, gab das Auktionshaus leider nicht preis.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
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