Biografien der Objekte: Der Löwe aus der Voßstraße
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Ein beeindruckender Löwe aus Marmor tauchte nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Museumsinsel auf. Woher stammte er? Petra Winter, Leiterin des Zentralarchivs, hat die Geschichte der Löwenskulptur von August Gaul rekonstruiert.
Text: Petra Winter, Leiterin des Zentralarchivs und der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin
An
einem Oktobertag im Jahr 2010 begegnete ich dem „Ruhenden Löwen“ zum
ersten Mal. Mit einem Zettel um den Hals lag er unscheinbar auf einer
Palette, in einem Regal im Skulpturendepot der Museen in
Hohenschönhausen. Auf alten Fotos hatte ich die Skulptur von August Gaul
schon gesehen und wusste, dass sie früher in der Eingangshalle eines
prächtigen Palais in Berlin-Mitte zu Hause gewesen war und also
entsprechend groß sein musste. Aber wie so oft kann man auf Fotos die
wahre Größe von Kunstwerken nur schwer erfassen. Und so war ich schwer
beeindruckt: Dieser Löwe ruhte vielleicht, aber er war gleichzeitig
hellwach, auch hier im Depot.
Ich
war mit zwei Kolleginnen nach Hohenschönhausen gekommen, um Skulpturen
aus der Nationalgalerie zu besichtigen, deren Geschichte wir
erforschten. Wir wollten herausfinden, wem die Objekte gehörten, bevor
sie ins Museum kamen. Der Löwe gab mir einige Rätsel auf: Er war im
Inventar der sogenannten „Galerie des 20. Jahrhunderts“ eingetragen, was nicht so richtig passte, denn hier waren vor allem
moderne Werke, beispielsweise der „Brücke“-Künstler, aufgenommen. Der
Bildhauer August Gaul (1869-1902) gehörte aber mit seinem Stil klar ins
19. Jahrhundert, auch wenn der Löwe es schon knapp ins 20. Jahrhundert
geschafft hatte, er war nämlich 1902 entstanden. Wenige Jahre nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges, 1949 war der Löwe aus Kalkstein auf die
Museumsinsel gelangt, übergeben von einem Mitarbeiter des Berliner
Magistrats, der sich mit vollem Einsatz um Kunstwerke kümmerte, die im
zerstörten Berlin auf Straßen, Plätzen, in Parks und Gärten schutzlos
herumlagen. Kurt Reutti hatte protokolliert: „Großer liegender Panther,
Marmor. Sichergestellt aus einem Garten in der Voßstraße“. Zwar war es
kein Panther, sondern ein Löwe und auch nicht aus Marmor, sondern aus
Kalkstein, aber die Angabe Voßstraße versprach eine Spur zum früheren
Besitzer.
Der Mann, der die Werbung in die Zeitungen brachte
In
einem repräsentativen Palais auf einem Grundstück zwischen Leipziger
Platz und Voßstraße wohnte der deutsch-jüdische Verleger Rudolf Mosse
(1843-1920). Er eröffnete 1867 mit geliehenem Startkapital in der
Friedrichstraße 60 die „Rudolf Mosse Zeitungs-Annoncen-Expedition“ und
setzte damit eine kühne Idee um: Als einer der ersten Verleger pachtete
er ganze Seiten in Zeitungen, die er dann an Werbekunden für Anzeigen
verkaufte. Damit traf Mosse den Nerv der Zeit, denn der sich rasant
entwickelnde Pressemarkt mit steigenden Auflagen erhöhte auch die
Herstellungskosten. Der Verkauf von Platz für Werbeanzeigen war also ein
willkommenes Mittel zur Erhöhung der Einnahmen der Zeitungen. Bereits
fünf Jahre später hatte das Unternehmen über 250 Niederlassungen im In-
und Ausland und warb selbstbewusst mit „Inseraten-Annahme für sämmtl.
existirende Zeitungen der Welt“. Ab 1871 erschien in Mosses Verlag die
auflagenstarke Tageszeitung „Berliner Tageblatt“, die sich bis 1933 zur
größten liberalen Tageszeitung in Deutschland entwickelte und zu den am
meisten gelesenen deutschen Blättern im Ausland zählte.
Sein
umfangreiches Privatvermögen nutzte Mosse auch als Förderer und Mäzen,
er stiftete große Summen für jüdische Organisationen sowie für
Ferienkolonien, Arbeiterlandheime und mittellose Kranke, gründete u.a.
ein Erziehungsheim für Waisenkinder und eine Pensionskasse für seine
Angestellten. Auch die Berliner Museen wurden großzügig von ihm
unterstützt, 1891 stellte er 30.000 Mark zum Ankauf ägyptischer
Altertümer zur Verfügung. Ein Jahr später kamen weit über 600 Objekte
als „Schenkung Rudolf Mosse“ in das Ägyptische Museum.
In den
1880er Jahren ließ sich Rudolf Mosse die neue Stadtresidenz am Leipziger
Platz bauen und stattete sie mit Kunstwerken aus. Die überlieferten Kataloge zeigen eine erlesene Sammlung und sie zeigen auch unseren „Löwen“, wie
er sehr dekorativ in der Eingangshalle im Erdgeschoss wacht. Mosse galt
als großer Liebhaber von Skulpturen und hatte August Gaul 1902 den
Auftrag erteilt, einen Löwen in Stein für die Eingangshalle zu schaffen.
Nach seinem Tod 1920 wurde sein Palais zu einer öffentlich zugänglichen
Galerie, der Verlag wurde von seinem Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse
weitergeführt.
Emigration und Enteignung 1933
Die
Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 machte
schließlich das wirtschaftliche Überleben des bereits angeschlagenen
jüdischen Verlagshauses und der führenden liberalen Zeitung Deutschlands
gänzlich unmöglich. Den Erben Rudolf Mosses, seiner Adoptivtochter
Felicia Lachmann-Mosse mit ihrem Mann und ihren 3 Kindern, gelang im
März 1933 die Emigration in die Schweiz. Ihr gesamtes privates Vermögen,
die Immobilien und die Kunstsammlung wurden beschlagnahmt, der
Verlagskonzern arisiert. 1934 wurde die Kunstsammlung im Auktionshaus
Rudplph Lepke in Berlin versteigert. Aus dieser Auktion gelangten
weitere Objekte in die Staatlichen Museen zu Berlin, allerdings auf sehr
verschiedenen Wegen und bis in die 1970er Jahre. Kein Objekt wurde von
den Museen direkt auf der Auktion erworben.
Auch das Palais am
Leipziger Platz eigneten sich die Nazis an, hier zog die NS-Akademie für
Deutsches Recht unter ihrem Präsidenten Hans Frank ein, dem späteren
Generalgouverneur von Polen. Der Löwe wurde nicht auf der Auktion der
Mosse’schen Kunstsammlung 1934 angeboten, er blieb bis zum Ende des
Krieges vor Ort, als ihn schließlich Kurt Reutti im Garten des
Grundstücks an der Voßstraße entdeckte und bergen ließ.
Rückgabe an die Erben der Familie Mosse 2015/16
Das
Wissen um die Herkunftsgeschichte des Löwen bildete den Ausgangspunkt
für meine weitere Suche nach Werken aus der Sammlung Mosse in den
Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin. Es kamen 9 Werke in 4
verschiedenen Museen zum Vorschein. Fast jedes Objekt hat eine eigene
spannende Geschichte von seiner Entstehung über seinen Platz in der
Kunstsammlung von Rudolf Mosse bis hin zur Erwerbung durch das Museum.
Alle 9 Werke wurden 2015/2016 an die Erben der Familie Mosse restituiert.
Drei bedeutende Werke wurden zurückgekauft und befinden sich noch heute
auf der Museumsinsel: Ein römischer Sarkophag mit Erotendarstellungen
aus der Antikensammlung ist im Neuen Museum ausgestellt. Die
Marmor-Skulptur „Susanna“ von Reinhold Begas ist in der Nationalgalerie
zu sehen. Und der „Löwe“ von August Gaul thront seit Sommer 2019
herrschaftlich im oberen Foyer der James-Simon-Galerie auf der
Museumsinsel und begrüßt hier die Besucher wie einst im Palais von
Rudolf Mosse.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
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