Biografien der Objekte: Der Ohrschmuck des mangi Marealle
Lesezeit 7 Minuten
Ende des 19. Jahrhunderts fand ein bemerkenswerter Ohrschmuck
seinen Weg in die Sammlung des Ethnologischen Museums. Sein Besitzer,
der regionale Herrscher Marealle, war ein interessanter politischer
Akteur während der deutschen kolonialen Expansion und Herrschaft in
Ostafrika.
Text: Kristin Weber-Sinn, Provenienzforscherin am Zentralarchiv/Ethnologisches Museum
Auf
einem Foto aus dem Jahr 1887 sehen wir einen jungen Mann auf einem
Liegestuhl. Er schaut ernst und kritisch in die Kamera und verharrt in
würdevoller Distanz. Sein Name ist Melyari oder Marealle, der
„Unermüdliche“. Marealle ist seit circa 1880 Herrscher (mangi)
von Marangu, das sich während der deutschen Kolonialherrschaft zu einem
der mächtigsten Reiche im Kilimanjaro-Gebiet (im heutigen Tansania)
entwickeln wird. Besonders auffallend auf der Fotografie ist der im
linken Ohr getragene Ohrschmuck. Dieser oder ein ähnlicher wurde im Jahr
1897 als „Holzring“ unter der Nummer III E 4815 im Hauptkatalog des
Königlichen Museums für Völkerkunde Berlin eingetragen und damit in die
dortigen Sammlungen aufgenommen.
In den Erwerbungsakten von 1897 findet sich hierzu folgender Vermerk: „Dr. Hans Meyer in Leipzig schenkt einen 83mm im Dm. haltenden, mit Messingspiralen verzierten hölzernen Ohrpflock, den früher der Häuptling Mareale [sic!] von Marangu im linken Ohrläppchen getragen hat. In das rechte Ohrläppchen gehört ein etwa 25mm im Dm. haltend, 50mm langer Cylinder. Ausserdem trug Mareale noch in jeder Ohrmuschel, nahe am oberen Rande je ein 104mm langes Stäbchen, von denen uns H. Meyer schon früher eines gegeben hat.“ Und tatsächlich hatte der wohlhabende Verleger, Geograph, Historiker, Forschungsreisende und spätere Kolonialpolitiker Hans Meyer bereits 1887 ein solches „Stäbchen“ dem Museum als Geschenk übergeben. Den großen „Ohrpflock“ schenkte er jedoch erst zehn Jahre später und nur unter einer Bedingung: Das Berliner Museum sollte eine Büste Marealles anfertigen lassen, was nach Aktenvermerk auch geschah. Der „Ohrpflock“ kam höchstwahrscheinlich bereits während seines viermonatigen ersten Aufenthalts am Kilimanjaro im Jahr 1887 in Meyers Besitz, ein paar Wochen verweilte er bei Marealle in Manrangu. Wer war dieser Marealle? In welcher Beziehung stand er zu Hans Meyer? Unter welchen Umständen gelangte der Ohrschmuck in die historisch sensiblen Sammlungen aus dem heutigen festländischen Tansania, das einst (neben dem heutigen Ruanda und Burundi) zu „Deutsch-Ostafrika“ gehörte? Recherchen in den kolonialen Archiven, in Erwerbungsakten des Ethnologischen Museums, Reisebeschreibungen aus dieser Zeit und einschlägiger Fachliteratur liefern erste Fragmente. Eine kooperative Forschung mit tansanischen Expert*innen, Interviews vor Ort mit den Nachfahren Marealles stehen noch aus.
Als Marealle ca. 1880 als Herrscher von Marangu eingesetzt wurde, war er noch mittellos und Marangu als politische Einheit bedeutungslos. Durch eine geschickte Heiratspolitik festigte er seine Position innerhalb der stark miteinander konkurrierenden Herrscher des relativ dicht besiedelten Kilimanjaro-Gebiets. Das gelang ihm zunehmend auch dadurch, dass er arabische und Swahili-Händler sowie europäische und amerikanische Reisende in Marangu willkommen hieß und Beziehungen zu diesen aufbaute. Marealle orientierte sich dabei auch an den diplomatischen Bemühungen seines Konkurrenten Rindi, mangi von Moshi. Auch Hans Meyer, der in den Jahren 1887 und 1889 das Kilimanjaro-Gebiet bereiste, wurde von Marealle wohlwollend empfangen. Letzterer nutzte ab den frühen 1890er Jahren seine Kontakte zu Vertretern des kolonialen Staates, um diese im Sinne seiner machtpolitischen Agenda zu instrumentalisieren. Er diskreditierte seine Rivalen gegenüber den deutschen Kolonisierenden, bezichtigte sie des Widerstands gegen die Deutschen und festigte damit zunehmend seine Position in der kolonialen Herrschaftsstruktur. So avancierte er schließlich in den 1890er Jahren zum mächtigsten mangi des östlichen Kilimanjaro- Gebietes – er kontrollierte 27 der 44 Kleinstaaten der am Kilimanjaro lebenden Chagga und erhielt den Namen Kilamia , „der Eroberer“. Sein Machtzuwachs war eng mit dem von 1892 bis 1901 in Moshi stationierten Hauptmann Kurt Johannes verbunden, dessen enger Verbündeter er war. Der Nachfolger von Johannes, Moritz Merker, misstraute Marealle. Dieser floh daher im Jahr 1904 nach Taweta und Nairobi in das sogenannte British East Africa. Ein Jahr später kehrte er nach Marangu zurück, wurde von den Deutschen wieder als mangi eingesetzt und dankte schließlich im Jahre 1912 ab. Marangu blieb auch nach Marealle eines der einflussreichsten „chiefdoms“ am Kilimanjaro.
Zurück
in das Jahr 1887. Hans Meyer hielt sich mit seiner Karawane, die etwa
einhundert Teilnehmer umfasste, für mehrere Wochen in Marangu am
Kilimanjaro auf. Dort wurde er nach eigenen Angaben freundlich von mangi Marealle
empfangen. Er ließ das Expeditionslager in der Nähe von Marealles
Residenz aufschlagen. Begleitet wurde er von einem Vertreter der
Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG). Dieser hatte den Auftrag,
einen geeigneten Ort für die Errichtung einer Station ausfindig zu
machen und damit territoriale Ansprüche auf das Gebiet zu erheben. Zuvor
hatte die DOAG im Jahr 1885 einen dubiosen sogenannten Schutzvertrag
mit dem mangi Rindi von Moshi ausgehandelt, der den Vertrag
jedoch keinesfalls als Unterwerfung unter die deutsche Herrschaft
betrachtete. Zwei Jahre später hielten sich Meyer und seine Begleiter
ungefähr vier Monate im Kilimanjaro-Gebiet auf. Um sich seiner
Unterstützung für die Besteigung und Erforschung des Kilimanjaro zu
versichern, übergab Meyer Marealle Geschenke, darunter in dem Gebiet
gängige Tauschwaren: Stoffe, Perlen und Draht sowie Waffen und Munition,
Messer, Schnupftabak, Mundharmonikas und Champagner. Er erhielt im
Gegenzug die Erlaubnis, den Kilimanjaro zu besteigen sowie
Nahrungsmittel zur Versorgung der Expeditionsteilnehmer. Während seines
Aufenthalts in Marangu entstand auch die Fotografie Marealles. Eine
gleichfalls 1887 in Marangu entstandene Fotografie zeigt Marealle ohne
diesen Ohrpflock (Meyer 1888, Zum Schneedom des Kilimandscharo) – es
bleibt spekulativ, ob er eben diesen nun fehlenden Meyer gegeben hatte.
In seiner Publikation über diese erste Expedition (1888) beschreibt
Meyer zwar, dass ihm Marealle als Erwiderung auf seine Geschenke drei
Speere schenkte, ein Ohrpflock wird jedoch nicht erwähnt.
Der
Ohrschmuck könnte allerdings auch während Meyers zweiter Expedition in
das Kilimanjaro-Gebiet im Jahre 1889 in seinen Besitz gelangt sein.
Meyer führte wie bei seiner ersten Reise dort gängige Tauschwaren mit
sich sowie „hübsche Geschenkartikel“ (Meyer 1890, Ostafrikanische
Gletscherfahrten). Laut Meyer empfing ihn Marealle freudig mit
Gewehrsalven, Meyer betont seine persönliche, ja freundschaftliche
Beziehung zu Marealle und seine große Freude über das Wiedersehen. Auch
berichtet er davon, die Geschenke für Marealle persönlich stundenlang
zur Präsentation vorbereitet zu haben, darunter eine Nähmaschine,
Stoffballen, Perlen, Taschenuhren, Revolver, Seidendecken, Armspangen,
Feilen, Tee, Harmonikas, Masken, Glocken, Pulver, Schrot und
Tabakspfeifen. Während seines Aufenthaltes in Marangu betont er den
engen Kontakt zu Marealle, der ihn täglich in seinem Lager besuchte.
Dieses diente Meyer als Ausgangspunkt für Erkundungen des Gebietes und
schließlich für die erfolgreiche Besteigung des Kilimanjaro, für die
Marealle auch Führer zu Verfügung stellte. Meyers Expedition hatte zum
einen wissenschaftliche Zielsetzungen: er kartographierte und legte
neben ethnographischen vor allem zoologische und botanische Sammlungen
an. Zugleich wurde er als Vertreter des deutschen Kaiserreichs
wahrgenommen und sah sich auch als solcher. Er verwies immer wieder auf
eine mögliche wirtschaftliche Nutzbarmachung der Gebiete und ihre
Besiedlung durch Europäer bzw. Deutsche.
Zwar
betont Meyer die gute und sehr persönliche Beziehung zu Marealle, diese
war jedoch in machtpolitische Ränkespiele eingebunden. Meyer drohte
Marealle, ihn zusammen mit Rindi von Moshi und dessen Soldaten
anzugreifen, wenn er sich seinen Forderungen nicht beuge. Marealle
sollte Angehörige einer Swahili Händlerkarawane ausweisen, was laut
Meyer dann auch geschah. Auf welche Weise genau der Ohrschmuck in die
Hände Meyers kam, lässt sich anhand der bisher gesichteten Quellen nicht
nachweisen. Auch ist noch unklar, welche Bedeutung dieses Objekt für
Marealle hatte und inwiefern es auch mit seiner Position als Herrscher
über Marangu in Verbindung stand. Fest steht jedoch, dass Meyer zu einer
Zeit in das Kilimanjaro-Gebiet reiste, als die deutsche Präsenz
flüchtig und die 1887/1888 errichtete Station der DOAG nur sporadisch
besetzt war. Meyer, sogenannte Forschungsreisende, europäische
Missionare und Händler sowie Vertreter der DOAG waren in der zweiten
Hälfe der 1880er Jahre vom Wohlwollen und der Unterstützung der mangi abhängig.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
Francis La Flesche gilt als erster indigener Ethnologe Nordamerikas. Er brachte im Auftrag der Königlichen Museen eine beachtliche Sammlung von… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare