Biografien der Objekte: Ein Federschmuck und viele Fragen
Lesezeit 6 Minuten
Francis La Flesche gilt als erster indigener Ethnologe
Nordamerikas. Er brachte im Auftrag der Königlichen Museen eine
beachtliche Sammlung von Kulturgütern der Omaha nach Berlin – und war
seit jeher umstritten. Heute arbeiten seine Nachfahren mit dem
Ethnologischen Museum zusammen, um die Wege der Objekte und die
Bedeutung La FLesches zu rekonstruieren.
Text: Ilja Labischinski, Provenienzforscher am Zentralarchiv/Ethnologisches Museum
Auf
der Autofahrt vom Flughafen holt Pierre Merrick einen Ausweis hervor,
der ihn als Mitglied der Umóⁿhoⁿ (Omaha) ausweist, einer von 562
offiziell anerkannten indigenen Nationen Nordamerikas. Auf seinem
Ausweis ist außerdem sein Blood Quantum vermerkt, das besagt zu wieviel
Prozent er Umóⁿhoⁿ ist. Das Blood Quantum muss bei mindestens 50 %
liegen, um als Umóⁿhoⁿ anerkannt zu werden. Pierre ist gemeinsam mit
einer Delegation der Umóⁿhoⁿ nach Berlin gekommen, um mit dem Ethnologischen Museum eine Ausstellung im Humboldt
Forum über Francis La Flesche, seinen Vorfahren, zu konzipieren.
Francis
La Flesche (1857-1932) gilt heute als erster indigener Ethnologe
Nordamerikas. Nachdem er in Washington D. C. sein Jura Studium
erfolgreich abgeschlossen hatte, unterstützte er den Ponca Chief
Standing Bear bei dessen Kampf zur Anerkennung von Bürgerrechten für
alle Native Americans in den USA. Diese Erfahrung prägte seine spätere
Arbeit als Wissenschaftler und politischer Aktivist. In den
1880er-Jahren lernte Francis La Flesche die Ethnologin und
Musikwissenschaftlerin Alice Fletcher kennen, die ihn dazu ermutigte,
Ethnologie zu studieren und zunächst als ihr Informant, später als ihr
Partner zu arbeiten. Gemeinsam verfassten sie das Buch „The Omaha
Tribe”, das heute noch als ethnologisches Standardwerk zu den Umóⁿhoⁿ
gilt. Francis La Flesche ist bis heute nicht unumstritten. Durch seine
Rolle als Ethnologe und Insider in der Community hatte er Zugang zu
vielen kulturell sensiblen Bereichen und Daten, die er der Wissenschaft
und den Museen zugänglich machte. Tat er das Richtige, indem er die
Objekte für spätere Generationen in Sicherheit brachte oder verriet er
seine Gemeinschaft, indem er die Objekte zu seinem eigenen Vorteil in
ein Museum brachte?
„Auf jeder Feder Kriegsehrungen“
1894
beauftragt das damalige Königliche Museum für Völkerkunde Francis La
Flesche eine Sammlung von Objekten zusammenzustellen, die seine eigene
Kultur, die der Umóⁿhoⁿ, am besten repräsentieren würde. 1898 schickt La
Flesche zirka 60 Objekte mitsamt einer umfangreichen Dokumentation in
Form eines Kataloges nach Berlin. Teil dieser Sammlung ist ein
Federkopfschmuck oder „Mon-´shon-pa-gdhon“, der für La Flesche von
besonderer Bedeutung gewesen sein muss. So erwähnt er diesen als erstes
Objekt gleich im zweiten Satz seines Kataloges: „Alle hier enthaltenen,
zur möglichst ausführlichen Veranschaulichung des Lebens und der Bräuche
des Omaha-Indianerstamms zusammengetragenen Gegenstände wurden entweder
direkt bei den Indianern erworben oder von ihnen nach uralten Bräuchen
hergestellt. Die Adlerfederhaube wurde von mehreren alten
Indianerkriegern auf zeremonielle Weise gefertigt. Auf jeder Feder
wurden Kriegsehrungen aufgezählt und während der Herstellung sang man
die rituellen Lieder.“
Der Federkopfschmuck hat
für Pierre Merrick eine besondere Bedeutung: „Der Mann, der diesen
Kopfschmuck getragen hat, muss ein besonderer Mann gewesen sein, einer
den wir heute in unserer Gemeinschaft nicht mehr haben. Aufgrund der
Taten, die er getan haben muss, um als Chief und Führer anerkannt zu
werden, muss er vieles geopfert haben, um das zu erreichen. Viele der
Objekte, wie der Federkopfschmuck, der einem Chief gehört haben muss,
existieren heute nicht mehr in unserer Gemeinschaft. Der einzige Ort auf
der Welt, wo man sie finden kann, ist hier in Berlin.“ Die
Beziehung von Pierre Merrick zu den Objekten in Berlin ist besonders
emotional. Nachdem Francis La Flesche die Sammlung im 19. Jahrhundert
nach Berlin schickte, ist es Pierre Merrick, der die Objekte als erster
Umoⁿhoⁿ nach mehr als hundert Jahren wieder berühren kann. Die Existenz
der Sammlung war den Umoⁿhoⁿ heute gänzlich unbekannt versichert Wynema
Morris, Dozentin am Nebraska Indian Community College, das für die
höhere Bildung in der Reservation verantwortlich ist. Den Katalog, den
La Flesche mit den Objekten nach Berlin schickte, setzt sie heute in
ihren Vorlesungen ein. Für Morris steht im Vordergrund, dass die Objekte
von vielen Umoⁿhoⁿ hergestellt wurden und La Flesche diese nur im
Einverständnis mit der Gemeinschaft nach Berlin verkaufen konnte. Wer
die Objekte hergestellt haben könnte, ist ein Ziel der gemeinsamen
Forschung des Colleges und des Ethnologischen Museums an der Sammlung.
Fragen nach der heutigen sozialen Situation
Die
Erfahrungen von Rassismus, Gewalt und Landverlust prägen die Umóⁿhoⁿ
Community bis heute. In diesem Kontext ist die Berliner Sammlung von
besonderer Bedeutung, denn sie zeugt vom Widerstand gegen
Kolonialisierung. Sie bietet den Menschen die Möglichkeit sich mit ihren
Vorfahren und Lebensweisen wieder zu verbinden und mit Stolz auf ihre
eigene Geschichte zu blicken und diese zu präsentieren. Die gemeinsame
Arbeit an der Sammlung zeigt, wie tiefgreifend koloniale Kontexte in den
Sammlungen ethnologischer Museen eingeschrieben sind, auch bei
vermeintlich „unproblematischen“ Sammlungen.
Die
erste Begegnung mit Pierre auf der Autofahrt vom Flughafen zum Hotel
machte deutlich, dass es sich bei der Sammlung um weit mehr als eine
frühe Selbstrepräsentation einer indigenen Kultur Nordamerikas handelt,
sondern dass sie Fragen nach der heutigen sozialen und politischen
Situation der Umóⁿhoⁿ aufwirft.
Die Sammlung von Francis La Flesche ist der Ausgangspunkt eines Forschungs- und Ausstellungsprojektes, dass das Ethnologische Museum Berlin gemeinsam mit der Stiftung Humboldt Forum und dem Nebraska Indian Community College realisiert. Die Ausstellung „Gegen den Strom: Francis La Flesche und
die Umóⁿhoⁿ“, wird die Biografie und die Sammlung von Francis La Flesche
thematisieren und deutlich machen, wie Geschichte und Vergangenheit die
Gegenwart und Zukunft der Umóⁿhoⁿ bis heute prägen.
Die
Zusammenarbeit zeigt, wie zukunftsorientiert Provenienzforschung an
ethnologischen Sammlungen sein kann und wie dadurch Sammlungen
reaktiviert werden können, um kollaborativ an den Objekten und den
Themen, die sie umkreisen, zu forschen.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
Anlässlich des Internationalen Museumstags 2017 unter dem Motto „Spurensuche. Mut zur Verantwortung!“ haben wir im Zentralarchiv nachgefragt, wie dort mit… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare