Biografien der Objekte: Die Reise einer persischen Seidenwirkerei aus der Sammlung Cassirer
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Kashan – Mulhouse – Berlin – Detroit und zurück: Wie eine seidene Wirkerei sich den Zwängen des nationalsozialistischen Regimes und den Nachkriegswirren widersetzt und doch den Weg zurück nach Berlin findet.
Text: Anna Beselin
Wird über den Kunstsammler Alfred Cassirer (1875-1932) gesprochen, steht meist seine Sammlung von Werken der Künstler:innen der Berliner Secession und französischer Impressionist:innen im Vordergrund. Aber er besaß bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch viele Objekte islamischer Kunst und 36 sogenannte Orientteppiche, die damals größte Privatsammlung von Knüpfteppichen in Deutschland. Darunter befand sich ein ganz besonderes Stück: eine persische Seidenwirkerei, ein Textil aus dem 16. Jahrhundert.
Eine der besten Wirkereien der Welt
Diese Seidenwirkerei aus der Sammlung Cassirer ist mit einem zentralen Medaillon und prachtvollem Blütendekor verziert. Die Seitenbordüre mit ihrer rhythmisch ausgewogenen Blütenanordnung von Nelken, Tulpen und Lotus auf leuchtendem Blau ist spektakulär. Zahlreiche Motive sind mit Silber umwickelten Seidenfäden gearbeitet, die leider mittlerweile angelaufen sind.
Im späten 16. Jahrhundert kamen die begehrten Seidentextilien als Geschenke für europäische Herrscher von den Höfen der iranischen Schahs. Diese Wirkereien sind aufwendig gewebte Textilien aus Seide, die zusätzlich mit Gold- und Silberfäden veredelt waren. Hergestellt wurden sie in der Stadt Kaschan im Iran. In der Technik vergleichbar mit europäischen Wirkereien, sogenannten Tapisserien oder Gobelins, sind sie jedoch nie aus Wolle gefertigt und um ein Vielfaches feiner. Heute wissen wir von 54 erhaltenen Exemplaren, die sich fast alle in Sammlungen von Museen befinden. Das Museum für Islamische Kunst in Berlin besitzt mit der sogenannten Padischah-Wirkerei (I. 2577) ein herausragendes Beispiel, dessen zentrales Medaillon mit einer Kampfdarstellung zwischen Drache und Phönix verziert ist.
Erster unter den Berliner Sammlern
Doch wie kam das Textil aus der Sammlung Cassirer an das Museum für Islamische Kunst?
Einen Teil seiner Teppichsammlung übergab Alfred Cassirer dem Museum schon zu Lebzeiten. 1931 kamen 13 Teppiche zusammen mit ca. 25 Keramikobjekten als Leihgabe in die Islamische Abteilung.
Ernst Kühnel (Kustos ab 1922, Direktor von 1931-1951) schrieb 1930 in seinem Aufsatz über die Teppiche der Sammlung Cassirer: „Unter den Berliner Sammlern von Orientteppichen steht seit Jahren Herr Alfred Cassirer an erster Stelle. Er hat von vornherein Wert daraufgelegt, Beispiele aus der klassischen Zeit der Knüpfkunst zu erwerben, und sich nicht gescheut, sie in seiner Wohnung als Bodenbelag auszubreiten, wodurch ihre koloristischen Reize naturgemäß zu besonders glücklicher Wirkung gelangen.“ Alfred Cassirer war kein Teppichexperte, sondern benötigte für seine Ankäufe fachmännische Beratung und Beziehungen, hier in Person von Ernst Kühnel, der ihm dabei half, die wertvollen Stücke zu erwerben. Als Berater nutzte Kühnel die Möglichkeit, Cassirers Ankäufe auf die Lücken in der Teppichsammlung des Museums abzustimmen, da sie später dauerhaft im Museum verbleiben sollten.
Nach dem Tod von Alfred Cassirer am 11. Juli 1932 ging sein Nachlass an seine erst 12 Jahre alte Tochter Eva (1920-2009) über. Gleichzeitig kamen weitere Teppiche aus seinem Nachlass als Leihgaben ins Museum, sodass die damals größte Privatsammlung islamischer Teppiche in Gänze dort verwahrt wurde.
Lückenhafte Werkgeschichte
Einige dieser Teppiche und auch die Seidenwirkerei wurden während der Ausstellung „Islamische Kunst aus Berliner Privatbesitz“ 1932 im Kaiser-Friedrich-Museum gezeigt. Diese Sonderausstellung vereinigte zum ersten und zum letzten Mal islamische Kunstwerke der überwiegend jüdischen Sammler:innen Berlins. Ab Dezember 1932 hatte man zudem die Möglichkeit, einige Cassirer-Teppiche in der ständigen Ausstellung im neu bezogenen Pergamonmuseum zu sehen.
Kurt Erdmann, ab 1927 Hilfsarbeiter und ab 1944 Kustos der Sammlung, vermerkte in einer handschriftlichen Notiz den Pariser Händler Agay, bei dem das Textil für 45.000 Mark von Alfred Cassirer erworben wurde. Wann Cassirer die Tapisserie erwarb, ist nicht überliefert. Sicher aber vor 1932, denn sie war Bestandteil der Ausstellung „Islamische Kunst aus Berliner Privatbesitz“ im selben Jahr.
Durch eine Teilabbildung im Archiv des Musée des Arts Décoratifs wissen wir, dass der erste bekannte Besitzer Mathieu Thierry-Mieg (1801–1883) aus Mulhouse war, und zwar schon vor 1877. Er vererbte das kostbare Fragment an seinen gleichnamigen Sohn Mathieu Thierry-Mieg (1826–1905). In wessen Hände es nach dessen Tod gelangte, ist bis zum Erwerb durch Alfred Cassirer nur unzureichend belegt oder nicht bekannt.
Versteigerung gegen den letzten Willen
Es war ein Glück, dass die Teppiche als Leihgabe in das Berliner Museum gegeben wurden, bevor Cassirer 1932 starb. So konnten sie zunächst vor der Aneignung durch die Nationalsozialisten gerettet werden. Da jedoch die Konten Cassirers eingefroren waren, mussten zwei Jahre nach seinem Tod einige Teppiche aus der Obhut des Museums zwangsversteigert werden, um die fälligen Erbschaftssteuern zu begleichen. Die Testamentsvollstrecker lieferten sieben Teppiche für die Versteigerung vom 7.-10. April 1934 im Auktionshaus Graupe ein, auch wenn dies im Widerspruch zum letztem Willen des Erblassers geschah, der die Sammlung komplett am Museum sah. Bis zum Kriegsausbruch mussten weitere Teppiche versteigert werden. Die große Epoche bürgerlicher Sammlerkultur, die maßgeblich von jüdischen Sammler:innen und Mäzen:innen wie Alfred Cassirer getragen wurde, war nun endgültig vorbei.
Zwar wurden die verbliebenen Cassirer-Teppiche 1939 kriegsbedingt eingelagert, doch gingen weitere Teppiche durch die Nachkriegswirren verloren oder gelten bis heute als verschollen. Als Ernst Kühnel 1946 die Bestände kontrollieren wollte, musste er feststellen, dass nur noch 18 Teppiche vorhanden waren. Die Leihgabe der Cassirer-Teppiche wurde daraufhin von den Testamentsvollstreckern gekündigt und für 50 Jahre in die USA übertragen: Zahlreiche Teppiche und auch die Seidenwirkerei gelangten 1949 ins Institute of Arts in Detroit. Alleinige Eigentümerin war inzwischen Prof. Eva Cassirer, einziges Kind von Alfred und Hannah Cassirer.
Gegen Ende ihres Lebens bemühte sich Eva Cassirer gemeinsam mit dem früheren Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Wolf-Dieter Dube, ihre Teppiche als Leihgabe zurück ins Museum für Islamische Kunst nach Berlin zu holen. Dies geschah schließlich im Jahr 2000. Die auf 14 Teppiche geschrumpfte Sammlung Alfred Cassirers befand sich wieder an dem Ort, den Cassirer für seine Teppiche ursprünglich ausgesucht hatte. Sie wurden 2002 in der Ausstellung „Die Cassirer-Teppiche – der Geschmack am Orientteppich“ im Mschatta-Saal präsentiert.
Späte Erfüllung eines Wunsches
Mit dem Tod von Eva Cassirer 2009 gingen die Stücke an die Alfred und Eva Cassirer-Stiftung, die mit dem Museum im gleichen Jahr einen Leihvertrag schloss. 2019 schenkte die Stiftung dem Museum für Islamische Kunst Berlin acht dieser Teppiche.
Mit der Unterstützung der Ernst-von-Siemens Kunststiftung und der Kulturstiftung der Länder konnte auch die Seidenwirkerei 2023 endlich für das Museum für Islamische Kunst erworben werden (Inventarnummer I. 10466). Der lang verfolgte Wunsch Alfred und Eva Cassirers ging damit in Erfüllung und das Museum für Islamische Kunst beherbergt damit ein Meisterwerk persischen Kunstschaffens und eine Preziose jüdischen Sammlertums.
In Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst ist das Forschungsprojekt „Rekonstruktion der zerstreuten Kunstsammlung des jüdischen Ingenieurs Alfred Cassirer (1882-1932) im Zeitraum 1933-1945“ am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste angesiedelt.
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