Biografien der Objekte: Die zersägte Lautenspielerin
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Erst seit wenigen Jahren kann Die Lautenspielerin von Jan Sanders van Hemessen wieder vollständig betrachtet werden. Vor langer Zeit war das auf Holz gemalte Bild zerteilt worden. Es ist ein glücklicher Zufall, dass beide Bildteile nahezu zeitgleich auf dem Kunstmarkt erworben und wieder zusammengefügt werden konnten.
Text: Franziska May
Eine solche Geschichte erleben wir im Museum wirklich nicht jeden Tag: Die Lautenspielerin gelangte nicht als Ganzes, sondern in zwei Teilstücken in die Sammlung. 1959 erwarb die Gemäldegalerie das kleine Fragment der linken oberen Ecke mit der Darstellung von Christus im Gespräch mit einer Frau und weiteren Personen. Der zweite, weitaus größere Bildteil mit einer reich gekleideten jungen Frau mit Laute und Notenheften wurde ein Jahr später angekauft.
Erst wenige Jahre zuvor war bekannt geworden, dass beide Tafeln zusammengehören. Zu dieser Erkenntnis war der Kunsthistoriker Vitale Bloch in seinen Forschungen gekommen, nachdem das große Teilstück, ohne die linke obere Ecke, im New Yorker Kunsthandel aufgetaucht war. 1956 publizierte er seine Entdeckung und bildete beide Bildteile erstmals zusammen ab. Das kleine Bild war dagegen schon seit dem frühen 20. Jahrhundert als Fragment bekannt. Aufgrund der sichtbaren Haarlocken am rechten Bildrand wurde bereits damals vermutet, dass sich auf dem zugehörigen Bildteil eine deutlich größere Figur befand. Bloch erkannte diese in der Lautenspielerin, die wiederum um ein paar Haarsträhnen beschnitten worden war.
Wer wann die Säge ansetzte, wissen wir nicht, es geschah aber spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Und auch über den Grund der Zerteilung der Tafel können wir nur spekulieren. Möglicherweise spielte die Größe des Bildes eine Rolle. Entscheidend war aber wohl der auffällige Kontrast zwischen den Darstellungen. Anatomie und Perspektive der monumentalen Einzelfigur in einem Innenraum weichen deutlich von der vielfigurigen und feiner gemalten Hintergrundszene im Freien ab. Außerdem unterscheiden sich beide Bildteile deutlich in der Farbigkeit. Dieser qualitative Unterschied in der Malerei führte auch dazu, dass die Forschung heute in dem Werk die Arbeit zweier verschiedener Maler sieht: des Antwerpener Künstlers Jan van Hemessen (1500 – vor 1566) oder eines Werkstattmitarbeiters und des sogenannten Braunschweiger Monogrammisten. Sein Name ist nicht bekannt, belegt ist er lediglich durch die Initialen auf einem Gemälde im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig. Ihm wird meist das kleine Fragment zugeordnet. Abschließend klären lässt sich die komplexe Frage nach der Zuschreibung nicht.
Erst 1994 konnten beide Fragmente wieder zu einem Werk vereint werden. Möglich war das aufgrund des großen Fachwissens, des enormen handwerklichen Geschicks und der langjährigen Erfahrung des Holz- und Rahmenrestaurators der Gemäldegalerie. Oberhalb des kleinen Fragments fehlte allerdings ein ca. fünf Zentimeter hoher Streifen, der ergänzt werden musste. Dieser Teil des Gemäldes ist unwiederbringlich verloren. Rund 15 Jahre später wurden schließlich die Fehlstellen in der Malerei restauriert und die Spuren der Teilung und Wiedervereinigung sorgsam retuschiert.
Doch welche Herausforderung ergibt sich hier für die Provenienzforschung? Nach der Zusammenfügung der beiden Bildteile wurde der Eintrag des kleinen Fragments im Erwerbungsbuch gestrichen. Gültig ist seitdem nur noch die Inventarnummer, die für die Tafel mit der Lautenspielerin vergeben wurde. Erworben wurden jedoch zwei separate Gemälde, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in verschiedenen Ländern. Es gilt also, gleich zwei Herkunftsgeschichten zu erforschen.
Der Eintrag im Erwerbungsbuch verrät uns, dass das Bild Christus spricht mit einer Frau 1959 auf einer Versteigerung aus dem Nachlass von „M. J. Friedländer“ erworben wurde. Max Jacob Friedländer (1867–1958) war seit 1896 an der Gemäldegalerie tätig gewesen, ab 1924 leitete er die Altmeistersammlung. Da er Jude war, musste er das Direktorenamt im Juni 1933 aufgeben. Unter dem zunehmenden Druck der Nationalsozialisten emigrierte er 1939 nach Amsterdam, wohin er seine Sammlung mitnahm. Seine Kennerschaft und Gutachtertätigkeit zu Kunstwerken wurde auch von führenden NS-Größen wie etwa Hermann Göring hochgeschätzt, was ihn vor Schlimmeren bewahrte. Nach Friedländers Tod wurde die Werke am 17. März 1959 im Amsterdamer Auktionshaus Paul Brandt versteigert, wo die Gemäldegalerie das kleine Fragment erwarb. Die Herkunft aus der Sammlung Friedländers war für Cornelius Müller Hofstede (1898–1974), den damaligen Museumsdirektor, ausschlaggebend. Er wollte das Bild unbedingt in Gedenken an Friedländer erwerben und mit einem Hinweis auf seinen früheren Eigentümer versehen ausstellen.
Eintrag im Erwerbungsbuch der Gemäldegalerie (West)
Von der Provenienz der Laute spielenden Dame kennen wir bisher nur Bruchstücke. Mithilfe von Erwerbungsbuch und Akten führt uns ihre Spur zunächst nach New York. Die dort ansässige Kunsthandlung Rosenberg & Stiebel hatte von dem Ankauf des kleinen Fragments durch die Gemäldegalerie erfahren und bot daraufhin dem Museum 1960 den anderen Teil an. Nach längeren Preisverhandlungen gelang schließlich auch dieser Ankauf – und, anders als erwartet, zu einem Bruchteil des Preises des kleineren Bildes. Müller Hofstede sprach sich allerdings gegen die Präsentation der Lautenspielerin und noch viel mehr gegen die Zusammenführung der beiden Tafeln aus. Als Gründe nannte er die malerischen Qualitätsunterschiede und den schlechten Erhaltungszustand der größeren Tafel. Da diese auch nicht im Besitz Friedländers gewesen war, ginge seiner Ansicht nach bei der Wiedervereinigung der Memorialcharakter des kleinen Bildes verloren.
Erst vor wenigen Tagen haben wir herausgefunden, dass das Bild im April 1954 auf einer Auktion bei Christie, Manson & Woods in London angeboten wurde. Dort erwarb es S. & R. Rosenberg, Ldt., die Londoner Niederlassung der Kunsthandlung Rosenberg & Stiebel im Auftrag der New Yorker Filiale. Recherchen ergaben außerdem, dass sich das Gemälde wohl 1936 schon einmal im Londoner Kunsthandel befunden hatte. Doch wann und auf welchem Weg war es dorthin gelangt? Und wo befand es sich in den Jahren bis zur Versteigerung 1954? Diesen Fragen gehen wir weiter nach.
In einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg finanzierten Forschungsprojekt wird derzeit die Provenienz von rund 140 Werken der Gemäldegalerie untersucht, die zwischen 1933 und 1997 erworben wurden. Bei dem Großteil dieses Bestandes handelt es sich um Erwerbungen der West-Berliner Sammlung nach 1950. Da auch bei Erwerbungen nach 1945 ein in der NS-Zeit verfolgungsbedingter Entzug stattgefunden haben kann, muss ihre Herkunft sorgfältig geprüft werden.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des Tag der Provenienzforschung 2025 am 9. April. Alle Termine und Informationen gibt es hier.
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