Biografien der Objekte: Görings römischer Löwensarkophag
Lesezeit 6 Minuten
Der Nationalsozialistische Politiker Hermann Göring hatte
eine Leidenschaft für Kunst – und für Löwen. Ein prächtiger römischer
Sarkophag mit Löwendarstellungen aus der Sammlung Görings fand nach
einer bewegten Geschichte seinen Weg ins Neue Museum.
Text: Laura Puritani, Provenienzforscherin am Zentralarchiv
Im
Neuen Museum kann man einen beeindruckenden Marmorsarkophag bewundern,
der an beiden Seiten einen schreitenden, zurückgewandten Löwen zeigt.
Für welchen Zweck wurde der Sarkophag in der Antike hergestellt? Und wie
kam dieses Objekt in die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu
Berlin?
Betrachten wir zunächst dieses interessantes Stück näher:
Der Sarkophag ist geriefelt und in der Mitte befindet sich ein
mandelförmiges Feld, das Mandorla genannt wird. Der Wannenrand ist mit
einem Eierstabfries dekoriert. Römische Löwensarkophage dieser Art
wurden seit der Zeit um 250 n.Chr. für die Leichenbestattung
hergestellt. Der Sarkophag wurde 2008 vor der Aufstellung im Neuen
Museum umfangreich restauriert: In diesem Zusammenhang wurden unter
anderem die ursprünglichen Risse an der Vorder- und Rückseite (vorher
teilweise mit Bronzeklammern gesichert) und drei große Löcher an der
Rückseite geschlossen. Diese drei großen Löcher sprechen dafür, dass der
Sarkophag zu einer unbestimmten Zeit als Brunnen verwendet wurde.
Als
ich mit meiner Recherche begann, hatte ich so gut wie keine
Informationen über den Weg des Sarkophags ins Museum. Mir war nur die
Hilfsnummer des Sarkophags, SL 3.2-2, bekannt. Die Nummer war direkt auf
dem Sarkophag angebracht und konnte mit keiner Provenienz in Verbindung
gebracht werden.
Carinhall: Hermann Görings Kunstpalast
Im
Bundesarchiv Koblenz studierte ich den Bestand zur Kunstsammlung des
Nazi-Funktionärs Hermann Göring (1893-1946). Dort fand ich ein
historisches Foto des Löwensarkophags, das die Herkunft aus Carinhall
belegte. In Carinhall, am idyllischen Großen Döllnsee in der Schorfheide
(nordöstlich von Berlin) gelegen, hatte Göring im Jahr 1933 ein
Jagdhaus (den sogenannten „Waldhof“) errichten lassen, das nach
umfangreichen Erweiterungsbauten in den Jahren 1936–1937 zu seinem
repräsentativen Wohnsitz wurde. Dort waren auch seine zahlreichen
Kunstwerke untergebracht, die er spätestens seit den frühen 1930er
Jahren gesammelt hatte. Das Anwesen wurde im April 1945 auf Görings
Befehl gesprengt, um die Eroberung durch die sowjetischen Truppen zu
verhindern. Obwohl bereits seit Februar Vorbereitungen getroffen worden
waren, um die wertvollsten Kunstwerke nach Burg Veldenstein zu
transportieren, wo Göring einen Bunker für die Sicherung seiner Sammlung
hatte bauen lassen, verblieben noch zahlreiche Objekte in Carinhall.
Aus der Zeit der Einnahme Carinhalls durch die Rote Armee sind keine
offiziellen Unterlagen bekannt.
In seinen viel später entstandenen
„Erinnerungen“, beschreibt der Leiter des Bergungsamtes vom Magistrat
von Groß-Berlin („Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von
Kunstwerken“), Kurt Reutti, die Plünderung und Zerstörung von
aufgefundenen Kunstgegenständen: “Im Park lag, von den Russen von den
Sockeln geworfen und zerschlagen, eine große Anzahl bester französischer
Gartenplastiken des 18. Jahrhunderts aus Marmor und gebranntem Ton (…).
Die vergrabenen Stücke hatten die Russen meistens gefunden, und leere
Gräber zeigten nur noch die Stellen, wo sie gelegen hatten. Die
römischen Antiken standen an einem Platz zusammen, und die Russen, die
besonders die Bronzen als Schießscheiben benutzt hatten, hatten sie
unberührt gelassen – ‚schon kapuut‘ “. Die Aussagen von Anwohnern
bestätigten den Abtransport und die Vernichtung von Kunstwerken durch
die Rote Armee; aber auch Diebstähle durch die heimische Bevölkerung
sind belegt. „Und wie sah Karinhall aus, als die Zentralstelle nach
Abzug der Russen im Juni 1946 mit der Bergung begann? Ein Trümmerhaufen“
– erzählt Kurt Reutti. Und trotzdem waren zahlreiche Kunstwerke
vorhanden „z.T. im Freien liegend, z.T. in den gesprengten Bunkern und
Bunkergängen…“
Die Provenienz des Sarkophags
Es
lässt sich also festhalten, dass unser Sarkophag zur Sammlung Göring
gehörte, und nach dem Krieg von der „Zentralstelle zur Erfassung und
Pflege von Kunstwerken“ in Carinhall geborgen wurde. Ein Dokument im
Archiv der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin bestätigte,
dass der Sarkophag um 1947 von der „Zentralstelle“ an die Museen
überwiesen wurde. (Heute gehört der Sarkophag zum Eigentum der
Bundesrepublik Deutschland und wird als Dauerleihgabe in der
Antikensammlung verwahrt.)
Anhand
eines weiteren historischen Fotos, das aus einer Privatsammlung stammt,
wissen wir, dass der Löwensarkophag in einer Halle in Carinhall, an
prominenter Stelle, ausgestellt wurde. Dies hängt mit der Leidenschaft
Görings für Löwen zusammen: Wie mehrere historische Fotos bezeugen,
wurden in Carinhall Löwenbabys gehalten.
Auf
der Rückseite des Fotos des Sarkophags im Bundesarchiv Koblenz gibt es
außerdem eine wichtige Beschriftung: „„91 x 2,10 m. In Carinhall
geblieben. Dch. Hofer bei Jandolo – Rom 1942 gekauft für L. 120.000 -“.
Ugo Jandolo, Sohn von Augusto und Bruder von Alessandro, gehörte einer bekannter Antiquarfamilie in Rom an. Laut dem Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollak hatte er „eine richtige Spürnase für wichtige Antiken ohne freilich deren wissenschaftlichen Wert zu wissen“. In einem Brief an Göring vom 14.10.1942, den ich im Zuge einer Recherche in der Datenbank www.fold3.com fand, berichtet der Kunsthändler und seit 1941 „Direktor der Kunstsammlung des Reichsmarschalls“ Andreas Hofer:
„Jandolo, Rom. Nach langwierigen Verhandlungen erwarb ich den prachtvollen roemischen Sarkophag mit den beiden grossen Loewen in Halbrelief…Der Besitzer des Sarkophages hatte inzwischen von dem Haendler, der den Sarkophag in Kommission hatte, erfahren, dass das Stueck fuer Sie bestimmt war & wollte ploetzlich nicht mehr verkaufen! Natuerlich, sollte das dem Gauner nur als Vorwand dienen, mich zu veranlassen, einen weit hoeheren Preis zu bieten. Nach tagelangen Verhandlungen erwarb ich beide Objekte zum urspruenglichen Preis von L. 100.000.- fuer den Sarkophag….., plus 10% vereinbarte Vermittlungsgebuehr. Der Sarkophag ist weitaus schoener & wichtiger als der von Ihnen im Fruehjahr von Brasini erworbene, dazu bis auf unwichtige Kleinigkeit fehlerfrei erhalten, er wird Ihnen eine grosse Freude bereiten“.
Anhand
von Archivalien und historischen Fotos konnte somit der Weg des
Löwensarkophags ins Museum rekonstruiert werden: Eine lebhafte
Biografie, die den Betrachter von Rom nach Berlin führt.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
Die Nationalgalerie nahm im März 1942 eine Überweisung vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Empfang: Eine Studie zum „Eisenwalzwerk“… weiterlesen
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