Biografien der Objekte: Gold und Silber nach Gewicht
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Sechs Goldfiguren aus Costa Rica im Ethnologischen Museum haben auf den ersten Blick nicht viel mit drei Sakralgegenständen des 18. Jahrhunderts im Kunstgewerbemuseum zu tun. Sie haben aber doch eines gemeinsam: ihre Herkunft aus der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin.
Text: Hanna Strzoda, Provenienzforscherin am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin
1941 bot die Berliner Pfandleihanstalt dem einstigen Völkerkundemuseum sieben Goldfiguren aus Costa Rica und einen Schmuckanhänger aus Kolumbien zum Kauf an. Alles zusammen hatte ein Gewicht von 135,5 Gramm. Dies entsprach, so ermittelte das Museum, einem Materialwert von 460 Reichsmark. Da Walter Krickeberg, Leiter der Amerikanischen Abteilung, auch den „Altertumswert“ anerkennen wollte, gab er ein Angebot von 1.200 Reichsmark ab. Die Pfandleihanstalt nahm es an, das Museum erwarb die Figuren zu diesem Preis. Von diesen acht Objekten sind noch sieben vorhanden, eines gilt als verschollen.
Zwei Jahre später zahlte die Generalverwaltung der Staatlichen Museen zu Berlin der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin noch einmal 825 Reichsmark für drei weitere Stücke, einen Meßkelch, einen Bischofsring und ein Brustkreuz aus dem 18. Jahrhundert. Auf der Rückseite der Ausgabeanweisung vom 31. März 1943 notierte Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der damals als Kustos am Schlossmuseum arbeitete: „Wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit war die Anhörung des Beirats des Schloßmuseums nicht möglich.“ „Schloßmuseum“ hieß das Kunstgewerbemuseum ab 1921, als es ins Berliner Stadtschloss eingezogen war.
Städtische Pfandleihanstalt Berlin
Was in der NS-Zeit aus den Pfandleihanstalten in die Museen kam, ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Seit Februar 1939 hatten alle Jüdinnen und Juden ihre Wertgegenstände bei den Pfandleihanstalten abzugeben. Hermann Göring, nach Hitler der zweite Mann im NS-Regime, hatte ein entsprechendes Gesetz erlassen, das im Reichsgesetzblatt amtlich verkündet worden war. Ausgenommen von der Zwangsabgabe waren nur der Trauring, eine Armbanduhr, zwei gebrauchte Essbestecke und der eigene Zahnersatz. Diese allerpersönlichsten Gegenstände raubten die Nazis erst nach der Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden in den Konzentrationslagern.
In der Städtischen Pfandleihanstalt wurde durch den bürokratischen Akt noch ein letzter Anschein von vermeintlicher Gesetzlichkeit aufrechterhalten. Buchstäblich auf dem Papier wurde den Verfolgten für Gold und Silber ein Zehntel des Materialwerts nach Gewicht erstattet. Vor Ort erhielten sie eine Ankaufsbescheinigung. Später wurde das Geld zwar auf extra anzulegende Konten überwiesen, doch die Kontoinhaber hatten nur eingeschränkten Zugriff, zum Beispiel um die willkürlich erlassenen Judenvermögensteuern zu bezahlen.
Anfang 1939 existierten in Berlin zwei städtische Filialen der Pfandleihanstalt, in der Jägerstraße 64 und in der Elsässer Straße 74. In der Danziger Straße wurde zudem 1940 die Zentralstelle für ganz Deutschland eingerichtet, die direkt dem Reichswirtschaftsministerium unterstellt war. Die Pfandleihanstalt in der Elsässer Str. 74, deren Anschrift seit 1951 Torstraße 164 lautet, war schon 1847 als „Königliches Leihamt“ errichtet worden.
Systematische Ausplünderung
Die Dimensionen dieses nationalsozialistischen Beutezugs, der über die Pfandleihanstalten abgewickelt wurde, waren fast unvorstellbar: Alleine in Berlin gaben mehr als 60.000 jüdische Personen ihre Wertsachen ab. In Hamburg wurden rund 20 Tonnen Edelmetall eingeliefert. München meldete bis zum Frühjahr 1939 drei bis vier Tonnen Silber, Köln fünf. 1940 wurden die Pfandleihen reichsweit angewiesen, ihre Restbestände an die Berliner Zentralstelle in der Danziger Straße zu überführen. Dazu kamen Lieferungen aus den Konzentrationslagern, der Inhalt beschlagnahmter Banktresore und Edelmetallgegenstände, die Deportierte in ihren Wohnungen zurückgelassen hatten.
Dieses unfassbare Ausmaß zeigt die traurige Aussichtslosigkeit, die Eigentümer der Goldfiguren und Sakralgegenstände in unseren Sammlungen zu ermitteln. Dabei waren diese Stücke für die Mitarbeitenden der Pfandleihanstalt ganz sicher kein alltäglicher Anblick. Man führte zwar über die Eingänge genau Buch, doch wurden die Berliner Akten entweder durch Kriegseinwirkung oder kurz vor Kriegsende absichtlich vernichtet. Jedenfalls entgingen die außergewöhnlichen Objekte der Einschmelzung und Zerlegung, die den weniger markanten Stücken widerfuhr. Juwelen und Gold-Gegenstände wurden oft auch gegen Devisen ins Ausland verkauft. Dass man Stücke den deutschen Museen anbot, war nur manchmal der Fall.
Zwangsabgaben mit „Altertumswert“
Die Goldfiguren im Ethnologischen Museum zeugen von den religiösen und kulturellen Vorstellungen der vorspanischen Bewohner ebenso wie von ihren Techniken der Metallverarbeitung. Sie dienten als Schmuck, Statussymbole, Ritualgegenstände oder Votivgaben. Oft wurden solche Figuren bedeutenden Personen ins Grab beigelegt. Auf welchen Wegen sie nach Berlin gelangten, ist uns unbekannt. Trotz intensiver Provenienzforschung können wir nicht ausschließen, dass sie vielleicht aus einer Plünderung durch Grabräuber stammten.
Das besondere an den Stücken im Kunstgewerbemuseum ist, dass es sich um kirchliche Sakralgegenstände handelt. Es gab natürlich auch jüdische Privatsammler, die sich für christliche Kunst interessierten. Doch müssen wir hier auch noch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Sie könnten zum Beispiel bei einem deutschen Feldzug im Ausland beschlagnahmt und nach Berlin überstellt worden sein. Alle unsere Bemühungen, dies herauszufinden, führten bisher ins Leere.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des Tag der Provenienzforschung 2024 am 10. April. Alle Termine und Informationen gibt es hier.
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