Biografien der Objekte: Rudolf Wiltschek – Erben gesucht!
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Weil er als Jude verfolgt wurde, verlor der Berliner Galerist Rudolf Wiltschek 14 Kunstwerke, die er als Sicherheiten für einen Bankkredit abgegeben hatte. Diese Bilder verkaufte die Dresdner Bank im August 1935 an den Staat – seit Februar 2024 sind sie in der Lost-Art-Datenbank zu finden.
Text: Hanna Strzoda, Provenienzforscherin am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin
Im August 1935 unterschrieben die Dresdner Bank und der deutsche Staat einen Vertrag, der den Verkauf von rund 4.400 Kunstwerken zum Inhalt hatte. Diese hatten sich über Jahre durch Kreditgeschäfte in der Berliner Zentrale der Dresdner Bank und in den deutschlandweiten Filialen angesammelt. Es war das größte Kunstgeschäft in der Zeit des Nationalsozialismus, bei dem 7,5 Millionen Reichsmark flossen.
Die Staatlichen Museen zu Berlin waren von Anfang an in die fast zwei Jahre dauernden Verkaufsverhandlungen involviert, weil sie als direkt dem Staat unterstellte Institution diese riesige Menge an Kunstwerken übernehmen sollten. Außerdem war das Spezialwissen der Museumsleute verschiedener Fachbereiche gefragt, denn der Kunstbestand der Dresdner Bank deckte das gesamte Spektrum musealer Kunstgattungen ab, von Skulptur über Malerei und Graphik bis hin zu Möbeln, Orientteppichen und persischen Keramiken.
Um bei weit über 4.000 Objekten den Überblick zu behalten, legte die Dresdner Bank Übergabelisten an. Die Museumsmitarbeitenden nutzen sie, um die eingegangenen Bestände abzugleichen. Auch manch andere Notizen machten sie auf diesen Listen. Mit „N.G.“ vermerkten sie zum Beispiel, dass die Werke der klassischen Moderne von Liste 26 in die Nationalgalerie kommen sollten. Von den ursprünglich 17 aufgelisteten Werken sind dort heute noch 12 zu finden. Zwei Zeichnungen sind jetzt im Kupferstichkabinett und drei Werke gelten seit 1945 als verschollen.
Jede dieser Übergabelisten ist einem anderen Schuldner der Dresdner Bank zuzuordnen. Die Kunstwerke von Liste 26 gehörten dem Berliner Galeristen Rudolf Wiltschek.
Wiltschek nahm irgendwann vor September 1933 einen Kredit auf und übereignete die Bilder als Sicherheiten der Dresdner Bank. Genaueres dazu wissen wir nicht, weil sich nur wenige Unterlagen erhalten haben, die kaum mehr als die Existenz seiner Bankschulden belegen. Nachdem es Wiltschek nicht gelang, seinen Kredit zurückzuzahlen, wurden die Kunstwerke wohl im Juni 1935 an Zahlungs statt endgültig von der Dresdner Bank übernommen. Auch danach war der Galerist nicht schuldenfrei. 1936 forderte die Bank noch 17.000 Reichsmark von ihm, doch er war zu dieser Zeit schon vor den Nationalsozialisten in die Niederlande geflüchtet. Als jüdischer Bürger war sein Leben in Deutschland in Gefahr.
Die meisten Werke, die auf der Liste 26 stehen, sind von Künstlern, die in der „Galerie Rudolf Wiltschek“ auch irgendwann ausgestellt haben. Zum Beispiel zeigte Rudolf Wiltschek 1925 Maurice Utrillo, 1926 Max Mayrshofer, 1927 und 1928 Gert Wollheim. Die „Galerie Rudolf Wiltschek“ ging aus der „Kleinen Galerie“ hervor, die Rudolf Wiltschek zusammen mit seinem Kunsthändlerkollegen Otto Curt Kribben (1889–1942) im Jahre 1923 in Berlin gegründet hatte.
Werbeanzeige für die „Kleine Galerie“ in der Zeitschrift „Kunstwanderer“, 5. Jg., 1/2. Augustheft 1923, S. 497, Universitätsbibliothek Heidelberg (https://doi.org/10.11588/diglit.20303#0585)
Ab 1925 führte Rudolf Wiltschek die Galerie am alten Standort Neue Wilhelmstraße 9-11 alleine weiter und gab ihr seinen Namen. 1926 zog er mit dem Geschäft in die Viktoriastraße 2 um. Zur Eröffnung in den größeren und schickeren Räumen stellte er als erstes Werke von Gert Wollheim aus. Diesem Künstler scheint er besonders verbunden gewesen zu sein.
Etikett auf der Rückseite des Bildes von Gert Wollheim „Stilleben mit gebratenem Geflügel“, 1917
Dass sie einst zum Warenbestand der Galerie Wiltschek gehörten, zeigt sich auf den Rückseiten einiger Gemälde: Wiltschek markierte sie mit einem kreisrunden, hellblauen Etikett, auf dem er handschriftlich Informationen zu Künstler und Bildtitel ergänzte. Eines der Bilder war, so zeigt ein anderer Aufkleber, sogar schon in der „Kleinen Galerie“ auf Lager. Wiltschek hatte diese Bilder wohl käuflich erworben, also nicht für die Künstler in Kommission genommen, wie sonst im Galeriehandel oft üblich.
Etikett auf der Rückseite des Bildes von Rudolf Hellwag „Fischerboot im Hafen“, um 1920
Nach Holland geflohen, in Auschwitz ermordet
Die Karriere des Kunsthändlers Rudolf Wiltschek endete abrupt. Als Jude durfte er als Galerist in Nazi-Deutschland nicht länger tätig sein. Mit seiner Frau Alice Wiltschek, geb. Mittelmann (geb. 1895) musste er zusehen, wie sein Leben unter den Schikanen der Nationalsozialisten zusammenbrach. Rudolf Wiltschek emigrierte 1936 nach Den Haag, Alice folgte ihm 1938 ins niederländische Exil nach. Doch die deutsche Wehrmacht überfiel und besetzte 1940 die Niederlande.
Nach dem Einmarsch der Deutschen herrschte auch in dem Land, in dem Wiltschek sich sicher geglaubt hatte, Terror und Gewalt gegen Juden. Wiltschek wurde 1942 verhaftet und ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort wurde er zu unbekanntem Zeitpunkt ermordet. Von seiner Frau Alice Wiltschek fehlt ab 1942 jede Spur.
Seit Februar 2024 sind die Werke in der Lost Art-Datenbank zu finden, denn Rudolf und Alice Wiltschek sind kinderlos gestorben. Es gibt also keine direkten Nachkommen, an die wir die Bilder, die wir als verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut identifiziert haben, zurückgeben könnten. Es scheint so, als habe Rudolf Wiltschek eine Schwester gehabt, Valerie Wiltschek. Sie wurde am 14. Juni 1889 in Leipzig geboren. Über ihr weiteres Schicksal haben wir nichts herausfinden können. Vielleicht hat sie die Nazi-Zeit überlebt? Womöglich gibt es doch Nachkommen der Familie Wiltschek, der so viel Leid und Unrecht widerfahren ist? Wenn Sie einen Hinweis für uns haben, kontaktieren Sie uns gerne unter provenienzforschung@smb.spk-berlin.de.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des Tag der Provenienzforschung 2024 am 10. April. Alle Termine und Informationen gibt es hier.
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