Im Mai 1844 berichtet der frühe Ägyptologe Richard Lepsius von einem geheimnisvollen Widder in einer Ruinenstadt. Anne Grischek, studentische Hilfskraft der Sonderausstellung am Ägyptischen Museum, erklärt, was es mit dem Widder auf sich hat und wie er nach Berlin kam.
Text: Anne Grischek
Es muss ein eigenartiges Schauspiel am Fuß des heiligen Tafelberges Barkal gewesen sein, als über 90 nubische Arbeiter die steinerne Statue eines liegenden Widders durch die Wüste zogen. Die Situation ist eindrücklich auf einer Zeichnung von Friedrich Otto Georgi festgehalten: Die Statue auf einem Schlitten mit untergelegten Rollen festgezurrt, zu ihrem letzten Standort zurückblickend, die Arbeiter sie mit Seilen Richtung Nil fortbewegend (Abb. 1).
Es ist Mai 1844, der Leiter der königlich preußischen Expedition an den Nil Richard Lepsius steht mit den anderen Teilnehmern in den Tempelruinen der Hauptstadt des einstigen Königreiches Napata am Berg (arabisch ‚Gebel‘) Barkal, im Norden des heutigen Sudan. Sie nehmen die Reste des großen Amun-Tempels auf, skizzieren Reliefs und Inschriften.
Der Großteil der noch sichtbaren Gebäudeteile wurde unter König Pije errichtet, dem Begründer der 25. Herrscherdynastie Ägyptens (ca. 722–655 v. Chr.). Zum Tempeleingang hin führt eine links und rechts von Widderstatuen gesäumte Allee, viele davon bereits stark zerstört. Lepsius schreibt in seinen Briefen: „Ich habe aber doch diese Widder, besonders ihrer Inschriften wegen, so merkwürdig gefunden, dass ich den besten derselben mit zu uns nehmen beschlossen habe. An 150 Centner [ca. 4 Tonnen, tatsächlich wiegt er jedoch keine 3 Tonnen; Anm. d. Red.] mag der fette Hammel wohl wiegen. Doch ist er von 92 Fellahs binnen drei heißen Tagen auf Walzen glücklich bis zum Ufer gezogen worden, wo er der Einschiffung harrt.“ Abgesehen von seinem ungeheuren Gewicht – was mag wohl das Besondere am steinernen Abbild eines Herdentieres sein?
Der Widder als Abbild der Gottheit
Der Widder genoss in den nubischen Kulturen schon in sehr früher Zeit kultische Verehrung. In der 18. Dynastie (ca. 1539–1077 v. Chr.) unter ägyptischer Herrschaft verschmolz diese Tradition mit dem ägyptischen Kult um Amun-Re, der als Herr des Himmels und göttlicher Erzeuger des Königs galt. Der Widder wurde fortan als Abbild der Gottheit verehrt.
Aus der Sockelinschrift der Statue geht hervor, dass der König seinem Vater Amun-Re einen herrlichen Tempel als Denkmal errichten ließ. Allerdings war dieser König, wie Lepsius der Inschrift entnehmen kann, nicht König Pije aus der 25. Dynastie, sondern Amenophis III. – ein anderer Herrscher, zu weitaus früherer Zeit, und sein Regierungssitz war auch nicht gerade um die Ecke! Er war ein ägyptischer König der 18. Dynastie, regierte etwa 650 Jahre vor Pije und ließ seinerzeit bereits einen prunkvollen Tempel erbauen – allerdings in Soleb, ca. 250 Kilometer flussabwärts vom Gebel Barkal gelegen. Lepsius erkennt, dass jener Widder also schon einmal in der Antike über den Nil abtransportiert wurde und seinen Platz nun an der Allee eines anderen Tempels einnahm. Napata, die Region um den Gebel Barkal, wurde zum Ausgangspunkt einer neuen Großmacht, als König Pije 730 v. Chr. ganz Ägypten eroberte. Kein Wunder, dass eine Allee aus ägyptischen Widdern den Tempel des neuen nubischen Herrschers säumen musste.
Amenophis III. ließ die Statue aus Granit herstellen und stellte sich selbst als mumienförmige Figur zwischen den Vorderbeinen des Widders dar, vermutlich als Personifizierung des Mondgottes Chons, Sohn des Gottes Amun (Abb. 2). Seine Ohren und Hörner, mit mittig angebrachter Sonnenscheibe und Uräusschlange, sind bei seiner Entdeckung durch Lepsius nicht mehr vorhanden. Sie sollen später im Museum aus vergoldeter Bronze gefertigt und ergänzt werden.
Ehrenplatz im Museum
Nun geht der „fette Hammel“ also mehr als 2500 Jahre nach dem letzten Transfer nochmals auf Reisen, diesmal ins weit entfernte Berlin. Die Nilfahrt des Widders hat für die Expeditionsteilnehmer einen gewissen Witz. Maler Georgi verewigt sie sogar noch einmal als Detail auf seiner „Gedächtnisstele“, wie er sie nennt, einer großen Zeichnung für Lepsius zum Geburtstag (Abb. 3+4). Die Randverzierung der Zeichnung erläutert: „Er präsentirt sich im eigenen Schiffe | Und ist auf der Reise zum Meer im Begriffe.“
In Berlin entwirft Richard Lepsius mit dem Architekten Friedrich August Stüler ein Konzept für die Präsentation der mitgebrachten Objekte. Sie werden nicht wie Kunstwerke ausgestellt, sondern als historische Zeugnisse, die zusammen mit Malereien an Säulen, Wänden und Decken des Museums ein lebendiges Abbild der altägyptischen Kultur sind. Im sogenannten Ägyptischen Hof im Neuen Museum wird eine Widderallee angedeutet, wie Lepsius sie vor dem Amun-Tempel am Gebel Barkal vorfand. Der „Hammel“ bekommt einen Ehrenplatz an der linken Seite des Hofes, eine Gipsabformung wird ihm gegenüber an die rechte Seite gesetzt (Abb. 5).
Die Reise des Widders ist noch nicht zu Ende. Seit 2005 wurde er im Römer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim ausgestellt und trat Anfang 2022 noch einen Ausflug nach Paris in den Louvre an. Nun ist er wieder im Griechischen Hof des Ägyptischen Museums in Berlin und bildet den Auftakt der Ausstellung, die seine Geschichte und die der königlich-preußischen Expedition erzählt.
Die Geschichte der Ägyptenexpedition von 1842-1845 steht im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842-45“ des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung, die vom 15.10.2022 bis 7.3.2023 im Neuen Museum gezeigt wird. Alle weiteren Infos dazu auf der Webseite zur Ausstellung.
Begründer der deutschen Ägyptologie, Pionier moderner Archäologie, Museumsdirektor, Sprachforscher und Bibliothekar – Carl Richard Lepsius war ein preußisches Multitalent. Heute… weiterlesen
Das Archiv ist das Gedächtnis eines jeden Museums. Auch das Ägyptische Museum und Papyrussammlung verfügt über umfassende Archive, die die… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare