Design post-Pandemie. Zu Gast im Atelier von Hermann August Weizenegger
Lesezeit 6 Minuten
Die Ausstellung „ATMOISM“ des Industriedesigners Hermann
August Weizenegger im Kunstgewerbemuseum musste wegen der Coronakrise in
den Herbst 2020 verschoben werden. Die Kuratorinnen Claudia Banz und
Kaja Ninnis besuchten den Designer virtuell und sprachen mit ihm über
gestaltete Atmosphären und das Design nach COVID-19.
Interview: Claudia Banz und Kaja Ninnis
Hermann August Weizenegger – kurz HAW – ist Industriedesigner und Professor für Industrial Design an der Fachhochschule in Potsdam. Ursprünglich sollte Mitte Juni seine Einzelausstellung „ATMOISM – Gestaltete Atmosphären“ im Kunstgewerbemuseum eröffnen. Aufgrund der Corona-Krise bleibt das Haus bis auf weiteres geschlossen und die Ausstellungseröffnung wurde auf den Herbst dieses Jahres verschoben. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, statten wir dem Designer einen virtuellen Besuch in seinem Berliner Atelier ab. Wir sprechen mit ihm über die Ausstellung, regionale Herstellung und fragen nach, wie COVID-19 die Designwelt verändern wird.
Claudia Banz und Kaja Ninnis: Was bedeutet ATMOISM? HAW: Das Wort ATMOISM ist ein Kunstwort. Es meint die Lehre der Atmosphären. Ich fand es reizvoll, eine Wortschöpfung zu kreieren, die erstmal irritiert und im Zweiten hinterfragt.
Sobald die Museen
wieder geöffnet sind, können Besucher*innen die Ausstellung „ATMOISM.
Gestaltete Atmosphären“ im Kunstgewerbemuseum besuchen. Was erwartet sie
dort post-Quarantäne? Die Besuchenden erwarten 24
Skulpturen, -Materialkompositionen und Objektinszenierungen-, die im
Zusammenspiel eine spezifische Atmosphäre und ästhetische Wirkung
erzeugen. In unserer vermeintlich virtuellen Welt soll das Material
wieder ins Zentrum der Wahrnehmung gelangen. Ich will seine
unterschiedlichen haptischen und ästhetischen Qualitäten aufzeigen.
Dabei spanne ich den Bogen weit auf: Von der körperlichen, räumlichen
und urbanen Atmosphäre bis hin zur Atmosphäre der Oberfläche. Die 24
Skulpturen habe ich wie Moodboards entworfen. Solche werden in
verschiedenen Gestaltungsbereichen verwendet, um auf non-verbale Weise
Stimmungen und Ideen zu kommunizieren. Dieses Zusammenspiel erzeugt die
Atmosphäre. Die Ausstellung wird nicht in einem White Cube stehen,
sondern die 24 Skulpturen sind über das ganze Kunstgewerbemuseum
verteilt. Sie nehmen Bezug zum Raum und den jeweiligen Exponaten der
Dauerausstellung. Dadurch entsteht ein erweiterter Dialog für den
Betrachter. Ich verstehe meine Ausstellung auch als eine Art Experiment:
Wie integrieren sich die Skulpturen in das bestehende Ambiente aus
Vitrinen und einer sehr dominanten Architektur? Der Architekt Rolf
Gutbrod hat mit dem Kunstgewerbemuseum eine schwierige Situation für
Aussteller geschaffen. Das Gebäude ist wie das Leben: Man muss sich ihm
stellen, sich arrangieren und sich darin einrichten. Oft entdeckt man
die Schönheit erst auf den zweiten Blick, dafür bleibt sie dann umso
intensiver in Erinnerung. Als Designer beschäftigt mich die
Imagination mittels Inszenierung und Narration. Welche Bilder entstehen
in den Köpfen der Betrachter? Gesellschaftlich wird Design oft im
Kontext Funktionalität und Problemlösung gesehen. Diesen Designbegriff
erweitere ich. Das Museum ist der ideale Ort, um uns überraschen und
verführen zu lassen. Es kann neue Narrationen der Wirklichkeit zur
Verfügung stellen. Ein Museumsbesuch kann uns die Augen öffnen. Das
wünsche ich mir auch von meiner Ausstellung.
In
deinem Gestaltungsprozess kooperierst du regelmäßig mit traditionellen
Handwerker*innen und etablierst regionale Produktionsketten. Welches
Ziel verfolgst du mit dieser Art zu arbeiten? Meine Arbeit
sehe ich als ein soziales Kunst- und Netzwerk. Ich arbeite gerne in
meiner Umgebung und das schon seit vielen Jahren. Lange bevor
Nachhaltigkeit zum Thema unserer Zeit wurde, habe ich mit regionalen
Produktionswerkstätten kooperiert. Kurze Arbeitswege und Lieferketten,
Wertschöpfung deutscher Qualitätsarbeit, regionale Bezüge, Ökonomie der
Nähe und ein persönliche Partizipation verfolge ich mit dieser Art zu
Arbeiten. Ich liebe es, wenn möglichst viele Akteure an meinem
Designwerk arbeiten. Zum Teil kenne ich die Handwerker schon über 25
Jahre. Höhepunkt ist die Ausstellung, bei der alle Hersteller
aufeinandertreffen. In der Ausstellung „Atmoism“ haben über 30
Werkstätten aus Industrie, Manufaktur, Handwerk und
Forschungsinstitutionen mitgewirkt. Brandenburg hat weit mehr zu
bieten, als Wochenenddomizile. Ich bin oft überrascht, wie wenig sich
unsere Design-Zunft mit den regionalen Traditionen beschäftigt. Mein
Projekt „Die falsche Blume“ war beispielsweise eine Hommage an die
Sebnitzer Kunstblumenmanufaktur und die Stühle von „Hotel Dresden“ an
die Rabenauer Stuhlbauer Tradition. Mit meinen Projekten will ich
kulturell Verborgenes aus der Region sichtbar machen. Ich will der
Gesellschaft bewusst machen, wie wichtig es ist, diese Traditionen und
Berufe zu erhalten und, wie wichtig es ist, den Nachwuchs in diesen
unterschiedlichen Gewerken weiter auszubilden. Ich möchte durch meine
Kooperationen das Selbstbewusstsein dieser Handwerker*innen stärken: ich
möchte, dass sie stolz auf ihre Arbeit sind.
Die Lebensrealität von Menschen hat sich in den letzten Wochen drastisch verändert – im sozialen Miteinander, aber auch das Konsumverhalten der Menschen und ihr Umgang mit Produkten und Ressourcen. Welchen Herausforderungen müssen Designer*innen sich nach der Quarantäne stellen? Die Corona-Pandemie zeigt aktuell was passiert, wenn wir systemrelevante Dinge nicht mehr im eigenen Land fertigen. Die Bevölkerung wird nach der Krise sensibler das Thema regionale Produktionen und Lieferketten im Blick haben. Es muss eine gesellschaftliche Neubewertung geben. Ich kämpfe seit Jahren um die Aufmerksamkeit regionaler Manufakturen und sehe die Krise als Chance, dass diese nachhaltigen Erzeugnisse zukünftig auch fair bezahlt werden. Systemrelevante Dinge müssen künftig in Deutschland, bzw. Europa produziert werden. Hier gibt es einen exzellenten Maschinenbau und innovative Technologien. Fertigungsmaschinen werden nur für Billig-Erzeugungsländer produziert. Produkte können nur günstig sein, wenn Lohnkosten entsprechend niedrig liegen. Wir müssen uns von dieser Billigkultur verabschieden! Von der Produktseite her sehe ich keine Probleme für regionale Produktionen. Es braucht aber Handlungsbedarf im Vertrieb und Marketing. Zusätzlich bedarf es Plattformen, um diese nachhaltigen Produkte gezielter an den Endverbraucher zu vermitteln. Ein Beispiel aus meiner Lehre ist das Hochschulprojekt „Haus Brandenburg“. Das ist eine Plattform für Designer und Handwerker, die regionales und hochwertiges Design zusammen entwickeln.
Wie sieht aktuell Deine Lehre an der Hochschule aus? Die Pandemie hat den Hochschulbetrieb gezwungen, online zu arbeiten.
Den Studenten*innen ist es nicht möglich, Werkstätten am Campus der FH Potsdam zu besuchen. Daher habe ich meine Studierenden zu Kursbeginn gebeten,
einmal aufzulisten, welche Werkzeuge und Materialien für die
Heimproduktion, und darüber hinaus, was in ihrem familiären Umfeld für
die Eigenproduktion zur Verfügung steht. Es gab erstaunliche
Ergebnisse: Fast alle haben eine Nähmaschine zu Hause. Im Zuge der
Maskenproduktion ist vielen diese Ressource wieder bewusst geworden. Die
Nähmaschine ist eine Art demokratische Waffe. Neben Bohrmaschine und
Laptop eine der komplexesten Werkzeuge im Haushalt. Es könnte eine
Renaissance der Nähmaschine geben. In der Recherche des sozialen
Umfelds kam beispielsweise heraus, dass ein Onkel eine Werkstatt und ein
Opa einen komplett ausgebauten Hobbykeller besitzt. Die Studierenden
sind über die Ressource Familie jetzt in der Lage, Produkte im
Homeoffice zu erzeugen und in familiären Anbindungen zu realisieren.
Hier arbeiten alle Familien der Studierenden Hand in Hand. Sie helfen
sich gegenseitig und tauschen Arbeitsprozesse: Dadurch entsteht wiederum
ein völlig neues Netzwerk. Die Ressource ‚soziales Umfeld‘ ist somit
ein wichtiger Erkenntnisbaustein dieses Kurses. Die beste Ressource
für die Zukunft ist allerdings das friedliche Miteinander. Es geht nicht
darum, neue Nationalstaaten aufzubauen und sich abzugrenzen. Es geht
viel darum, wie wir zukünftig mit unseren Mitteln haushalten, damit auch
spätere Generationen noch existieren können.
Wir
bedanken uns herzlich bei Hermann August Weizenegger für das Interview
und die virtuelle Gastfreundschaft. Um zu erfahren, wann die Ausstellung „ATMOISM – Gestaltete Atmosphären“ ihre Türen öffnen wird, folgen Sie dem Kunstgewerbemuseum auf Facebook – dort halten wir Sie auf dem Laufenden.
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