„Ich traue dem Design nicht“ – Ton Matton im Kunstgewerbemuseum

Das Design Lab#2 „Less is Less – More is More“ geht in performativen Formaten den Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten unserer alltäglichen Routinen auf den Grund. Nele Mai sprach mit dem Stadtplaner Ton Matton über mögliche Zukunftsszenarien des Alltags.
Interview: Nele Mai
Hat das Alltägliche einen ökonomischen Wert?
Ton Matton: Natürlich hat es einen ökonomischen Wert,
dieser ist aber nicht immer sofort ersichtlich. Jedes Mal, wenn wir eine
Lampe anschalten oder ein Glas Wasser trinken, sind wir Teil eines viel
größeren Systems, das Alltag produziert und ermöglicht. In den 1950er
Jahren kam der Begriff der Broad Welfare Economy auf. Dieser
beinhaltet alle ökonomischen Aspekte eines Produktes, also Ressourcen,
Produktion, Nutzung und Entsorgung. Aber nicht nur in Bezug auf den
Energiebedarf sondern auch auf die Gesundheit und das Wohlergehen der
Arbeiter*innen. In den Debatten um Nachhaltigkeit ist der Begriff Broad Welfare Economy sehr stark eingeschrumpft und mittlerweile fast bedeutungslos. Alles wird mittlerweile als “nachhaltig” bezeichnet.
Können alltäglich gebrauchte Gegenstände moralisierende Funktionen entwickeln?
Das können sie vermutlich schon. Ich frage mich, ob das wünschenswert
ist. Den Gegenständen würde damit eine Art „Gutmensch-Flair“
eingeschrieben werden, das sehr irritierend sein kann.
Ich denke da etwa an das Trinken aus einem leeren Marmeladenglas, das in
letzter Zeit zu einem Symbol von bewusstem Recycling avanciert ist.
Irgendwann habe ich dann ein Marmeladenglas mit Henkel gesehen, als
neu-designtes Produkt. Ein anderes Beispiel ist der Coffee-to-go-Becher,
damit man unterwegs keine Pappbecher mehr benutzen muss. Die Idee ist
super, aber: Muss dafür ein neues Produkt – aus Plastik! – designt
werden? Wenn jede*r schon sieben alte Kaffeetassen zu Hause herumstehen
hat, die man dafür auch nutzen könnte. Diese haben zwar keinen Deckel,
aber dann könnte man doch den Kaffee auf dem Bahnhof in aller Ruhe
genießen oder eben ohne Kaffee in den Zug einsteigen. Das überlebt man
auch! Ich möchte das Moralische eher in unserem Handeln suchen und nicht
im Design, da ich den Designer*innen nicht traue.
Wie ist ihr künstlerisches Schaffen mit der Produktion des Alltäglichen verknüpft?
Ich versuche mit wechselnden Gästen in der Werkstatt Wendorf kleine Utopien zu erproben sowie verschiedene Störmomente des
alltäglichen Lebens zu etablieren. Ich verstehe die Natur als Objekt zur
ästhetischen Vermittlung von Krisenlagen der Gesellschaft.
Wie sieht der Alltag der Zukunft für Sie aus?
Wahrscheinlich sieht er so aus, dass Technik, Design und Werbung uns
immer stärker und weiter zu Konsum und Komfort verführen. Möglich wäre
aber auch, dass Technik, Design und Werbung uns dabei helfen, „freie“
und bewusste Entscheidungen unter Einbeziehung aller Aspekten der Broad Welfare Economy zu treffen.
Kommentare