Museum Europäischer Kulturen:

Die Schattenseiten der Mode: „Kultur-Seismologin“ Judith Schühle im Gespräch über Fast Fashion

Cast-off woolen clothing is sorted again in large warehouses in Panipat, now into basic colour groups, where it's new value lies. © Tim Mitchell

Mode ist schön, doch in Zeiten globaler Wirtschaftssysteme ist sie auch ein bedeutender Faktor in Sachen Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit. Eine Ausstellung im MEK beschäftigt sich mit den Schattenseiten der „Fast Fashion“. Gastautorin Lianne Mol sprach mit der Kuratorin Judith Schühle über die Schau und über „gute“ und „schlechte“ Mode.

Text von Lianne Mol

Fabrik-Katastrophen, Sweatshops, Wasserverschmutzung und misshandelte Kaninchen: Diese Bilder kursieren seit einiger Zeit in den Medien, aber jetzt haben sie auch den Weg ins Museum gefunden. In der Ausstellung „Fast Fashion: Die Schattenseiten der Mode“ konfrontiert das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin seine Besucher*innen mit der dunklen Seite der Modewelt. Kuratorin Judith Schühle erzählt, wie diese Ausstellung zustande gekommen ist.

Die „Fast Fashion“-Ausstellung entstand 2015 im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in Hamburg, kuratiert von Claudia Banz. Das Konzept für eine kritische Modeausstellung, die die Schattenseiten der Textilindustrie beleuchtet, war eine Reaktion auf den Einsturz des Rana Plaza- Gebäudes , einerTextilfabrik, in Bangladesch am 24. April 2013, bei dem 1135 Menschen ums Leben kamen. Das MKG Hamburg, das sich als Kunst- und Gewerbemuseum meistens auf den Designaspekt von Kleidung und Mode fokussiert, wollte mit der Ausstellung erstmals der Tatsache Rechnung tragen, dass Fast Fashion die Designs heute mitprägt und sie deshalb untrennbar mit dem immer schneller werdenden System der Mode selbst verbunden ist. Aus diesem Grund kann das Museum die ethischen und klimarelevanten Aspekte der Mode nicht länger ignorieren.

Tim Mitchell, Recycling von Kleidung, 2005 © Tim Mitchell and Lucy Norris

„Die Ausstellung ‚Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode‘ war als Wanderausstellung konzipiert“, erklärt Judith Schühle. Sie besteht aus zwei Teilen: einem gleichbleibenden Fast-Fashion-Bereich und einem wechselnden Slow-Fashion-Bereich, der an jedem neuen Standort der Ausstellung neu kuratiert wird. Der Slow-Fashion-Bereich zeigt nachhaltige und ethische Alternativen zur regulären Mode in direkter Verbindung zum Museum und der Stadt, in der die Ausstellung stattfindet. „Das war auch mein Arbeitsfokus“, sagt die Kuratorin Schühle, „ich habe den Slow-Fashion-Teil in Berlin neu entwickelt.“ In Hamburg gab es ein Slow Fashion Lab, wo zum Beispiel alternative, nachhaltige Materialien präsentiert wurden. Im ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln wurden Beispiele alternativer Textilproduktion aus anderen Kulturen – wie die handwerkliche Ikat-Technik aus Indonesien – aus der eigenen Sammlung ausgestellt.

Slow Fashion und interaktive Elemente

„In Berlin stand am Anfang die Überlegung, dass wir kein Designmuseum, sondern ein Museum der Alltagskultur sind“, erklärt Schühle. „Deshalb wollten wir uns so mit dem Thema auseinandersetzen, dass eine Verbindung mit dem Alltag der Menschen in Europa entsteht. Wenn die Besucher*innen durch die ‚Fast Fashion‘-Ausstellung gegangen sind, sind sie schon voller neuer Informationen und Eindrücke. Im ‚Slow Fashion‘-Bereich wollte ich einfache Beispiele geben: Upcycling, faire und lokale Produktion, biologische und vegane Mode, Minimalismus und Kleidertauschpartys. Für mich lautete die Frage: Wie weckt man in den Besucher*innen das Interesse für das Thema so, dass sie tatsächlich etwas an ihrem eigenen Kleidungkonsum ändern möchten? Das funktioniert meistens am besten anhand von Vorbildern”, meint die Kuratorin.

Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode, Ausstellungsansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / David von Becker

Die Vorbilder für nachhaltige und ethische Mode, die das MEK zeigt, fangen mit Rut Meyburg an: eine Designerin, die aus dem Leder von alten Sofas und Sesseln, die sonst auf den Müll gelandet wären, Taschen herstellt – also Upcycling. Es folgt das Label Lovjoi, das in der Herstellung von Dessous ganz fair und lokal agiert – in Deutschland und in Portugal. Für nachhaltige und vegane Mode steht Christina Wille, die in Kreuzberg einen Laden gegründet hat, in dem man ausschließlich bio und vegane Kleidung kaufen kann. Der Blogger und Influencer Alf-Tobias Zahn, der online über faire Mode schreibt und Verbraucher*innen dazu ermuntert, vor allem weniger Kleidung zu kaufen, repräsentiert in der Ausstellung den Minimalismus und die Capsule Wardrobe . Last but not least zeigt das fünfte Porträt Jenna Stein, die in Berlin Kleidertauschpartys organisiert. Judith Schühle weist mich noch darauf hin, wie die verschiedenen Schritte des Produktionsprozesses der Mode subtil in dieser Auswahl integriert sind: Design, Produktion, Verkauf, Marketing und Endverbraucher*in.

„Es war mir sehr wichtig, interaktive Elemente in den Slow-Fashion-Bereich der Ausstellung mit einzubringen“, sagt Schühle. „In der Fast Fashion konsumieren die Kund*innen sehr passiv, ohne sich Gedanken zu machen. Im Ausstellungsbereich der Fast Fashion werden die Besucher*innen mit ihrer Passivität konfrontiert: Ohne dass sie etwas dagegen tun können, prasseln die Informationen über die Schattenseiten der Mode auf sie ein. Erst im Slow-Fashion-Bereich können sie auch aktiv teilnehmen.“ Als ich behaupte, dass im Diskurs über Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen in der Modewelt typischerweise eine überwiegend reaktive und kritische Rhetorik verwendet wird, die hauptsächlich Scham und Schuldgefühle herbeiführt, nickt die Kuratorin zustimmend. „Der letzte Raum der Fast Fashion in der Ausstellung ist eine Art Umkleidekabine, in der die Besucher*innen um einen Vorhang herumgehen und sich dann vor eine Spiegelwand stellen. Das ist das letzte, was man in dieser Ausstellung sieht: man sieht sich selber im Spiegel. Mit diesen ganzen negativen Informationen über die Modewelt im Hinterkopf, schaut man zum ersten Mal an sich herunter, fragt sich unter welchen Umständen die eigene Kleidung hergestellt wurde und verfällt schnell in eine Art von Lethargie, da man sich schuldig fühlt. Ich wollte aber nicht, dass die Besucher*innen das Museum verlassen und denken, sie können nichts machen, um das Modesystem zu verändern. Es gibt vieles, was man tun kann!“

Billige Kleidung zerstört lokale Industrien

Als ich Judith Schühle frage, was ihr bester Tipp an die Leser*innen ist, sagt sie ganz eindeutig: „Weniger konsumieren!“ Ihrer Meinung nach geht es einfach nicht weiter wie bisher – dann wäre die Erde in 100 Jahre unbewohnbar. „Es sind unsere Enkelkinder, die das treffen wird – oder eben nicht mehr, da sie dann keine bewohnbare Erde mehr finden. Das ist eine starke Botschaft an die Besucher*innen.“

Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode, Ausstellungsansicht © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / David von Becker

Dass wir tatsächlich zu viel konsumieren, zeigen schon die riesigen Mengen an gebrauchter Kleidung, die in Spendencontainern landen. Die Deutschen kaufen im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr. „Aber der Kleiderschrank wächst nicht, also sortieren wir ihn ständig aus und schmeißen die Überschüsse weg“, sagt Judith Schühle. „Viele spenden an das Rote Kreuz und denken, sie täten damit etwas Gutes und dass die Kleidung armen Menschen zugutekommt. In der Realität ist die Anzahl an Bedürftigen jedoch viel geringer als die Menge an Altkleiderspenden.“ Darüber hinaus haben Organisationen wie das Rote Kreuz oft nicht die Kapazitäten, alles zu verarbeiten. Die Kleidung ist oft verschmutzt, beschädigt und unbrauchbar – und wegen der minderwertigen Materialien, die in der Fast Fashion verwendet werden, lässt sich der größte Teil der Altkleidung nicht wieder benutzen. Trotzdem landet viel Secondhand-Kleidung auf den Märkten in Afrika, wo sie die einst stabile lokale Industrie zerstört. Die Länder des ostafrikanischen Wirtschaftsraums – Kenia, Tansania, Burundi, Ruanda, Südsudan und Uganda – haben sich zusammengeschlossen, um den Altkleiderimport zu verbieten und eine eigene Kleidungsproduktion aufzubauen. „Was machen die USA und Europa? Sie erhöhen die Zölle auf afrikanische Waren, womit sie eine wirtschaftliche Daumenschraube anlegen“, erklärt Schühle. Das Verbot wäre aber auch nicht die richtige wirtschaftliche Lösung, weiß die Kuratorin, da es viele afrikanischen Händler*innen gibt, die für ihre Existenz immer noch vom Verkauf der Altkleider aus dem Westen abhängig sind. „Hinter der Idee, etwas Gutes zu tun, stecken also ganz viele Grauzonen.“

Was ist nun die Rolle des Museums in diesem komplexen Zusammenhang? „Das Museum hat eine Verantwortung, diesem Thema kritische Aufmerksamkeit zu geben“, sagt Judith Schühle. „Ich verstehe Sozial- und Kulturanthropolog*innen als Seismografen der Themen, die Menschen in einer Gesellschaft, in unserem Fall in Europa, aktuell beschäftigen. Wir müssen die Ausschläge erkennen, so wie bei einem Erdbeben. Fast Fashion ist definitiv ein Teil davon. Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Klimakrise – dort gibt es momentan extreme Ausschläge.“ Die Kuratorin des MEK betrachtet Museen auch als demokratische Orte, an denen Minderheiten einen geschützten Raum finden: Gruppen, die einen bestimmten Schutz gegenüber der Mehrheitsgemeinschaft brauchen. „Als solche Orte, an denen dieser Schutz gelebt und vorgelebt wird, verstehe ich Museen“, so Schühle.

Fast Fashion: Die Schattenseiten der Mode“ läuft noch bis zum 2. August 2020 im Museum Europäischer Kulturen (MEK). Als Teil der Ausstellung gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm, u.a. mit Führungen, Workshops, Repair Cafés, Vorlesungen und Gesprächsrunden. Weitere Informationen zur „Fast Fashion“ und dem MEK finden Sie hier.

Dieser Text erschien ursprünglich auf Niederländisch im Rahmen des Blogs von Modemuze, eine Plattform für Mode- und Textil-Erbe in den Niederlanden – weitere Infos: www.modemuze.nl.

Lianne Mol ist eine freie Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin aus den Niederlanden, mit Sitz in Berlin.

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