Die wiedergefundene Zeit: Theaterfotografien von Ruth Walz
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Das Museum für Fotografie zeigt in einer großen Ausstellung die Theaterfotografien von Ruth Walz. Die Journalistin und Theaterkritikerin Irene Bazinger unternahm einen Streifzug durch die Ausstellung.
Text: Irene Bazinger
Draußen vor und im Bahnhof Zoologischer Garten tobt der Großstadtbetrieb, man trifft sich, man geht auseinander, man steigt einfach auch nur um: Pralles Leben! Drinnen im direkt daneben gelegenen Museum für Fotografie trifft man sich auch und geht auseinander, steigt aber nicht um, sondern ein: Ins pralle Theaterleben. Denn hier werden in einer imposanten Einzelausstellung Theaterfotografien von Ruth Walz aus den letzten fünfzig Jahren präsentiert.
Ihr Name ist unmittelbar mit der Berliner Schaubühne verknüpft, an der sie von 1976 bis 1990 viele, häufig legendär gewordene Inszenierungen mit der Kamera begleitet hat. Und so wird diese Ausstellung vor allem zu einer Reise durch das Familienalbum der Schaubühne, dessen Ensemble in kreativer Eintracht in Berlin zu bewundern ist und dann auf getrennten Wegen in anderen Häusern.
Die meisten Besucherinnen und Besucher genießen die wiedergefundene Zeit, sie raunen Namen und flüstern Stücktitel, so erwartungsvoll und beglückt, als ginge gleich ein Vorhang hoch und man würde noch einmal dabei sein können, wenn „die Clever“ oder „die Lampe“ oder „der Sander“ oder „der Ganz“ auftreten. Die Räume für derlei Erinnerungstrips sind schön labyrinthisch gestaltet, heißen mal „Faust“ oder „Die Orestie“, folgen Inszenierungen von Werken William Shakespeares oder dem Kosmos Oper.
Auf empathischer Augenhöhe
Eine eigene Abteilung ist dem Dramatiker Botho Strauß gewidmet, der Ruth Walz eng verbunden ist, ebenso wie er es ihrem langjährigen Lebensgefährten Bruno Ganz war, der 2019 verstarb. Riesige Fotofahnen säumen den Ausstellungsbereich und rühmen bedeutende Künstlerinnen und Künstler, wie die Sängerinnen Jessye Norman und Asmik Grigorian, natürlich Bruno Ganz und seinen Kollegen Hans Michael Rehberg. Es gibt ein paar Leuchtkästen und Kontaktbögen, dazu eine schier endlose Anzahl von kleineren bis großen, gerahmten und ungerahmten, schwarzweißen und farbigen Fotografien an Stellwänden.
Deutlich zu spüren ist die Nähe, aus der sie von Ruth Walz aufgenommen wurden, auch wenn es cinemascopehafte Perspektiven und breit aufgerissene Totalen sind. Wie ihre bevorzugten Regisseure, ob Peter Stein, Klaus Michael Grüber oder Luc Bondy, mit den Ensembles auf empathische Augenhöhe zu den Figuren der Stücke kommen wollten, scheint es Ruth Walz mit den Schauspielerinnen und Schauspieler zu tun. Sie rückt diese auf eine Weise heran, die etwas über die jeweilige Regie verrät, und verliert dabei den Blick für den Gesamtzusammenhang der entsprechenden Szene nicht.
Die Theatergeschichte wird zur Bildergeschichte, die durch die Augen von Ruth Walz, die sie einst einfing, nun zu uns zurückschaut. Ob in der gewaltigen Felsenreitschule 1992 bei den Salzburger Festspielen („Julius Cäsar“, Regie: Peter Stein) oder bei Grübers „Winterreise“-Abend im winterlichen Berliner Olympiastation, ob 1975 bei dessen „Faust“-Inszenierung im Pariser Hôpital de la Salpêtrière oder Robert Wilsons „Death, Destruction & Detroit“-Projekt 1997 an der Schaubühne, stets findet sie den einen, den beredten Moment, der die Aufführung fixiert, preist und fokussiert. Das kam jenseits ihres Talents zumal durch die unzähligen Proben, die ihr ein tiefes Verständnis der szenischen Vorgänge und die adäquate fotografische Umsetzung ermöglichten.
Bildgebendes Gedächtnis der Inszenierungen
Ihre Arbeitsmethode beschreibt Ruth Walz wie folgt: „Für mich war es immer besonders wichtig, bei einer Inszenierung keine fremde Instanz zu sein, die nur ein Ergebnis festhält, sondern als teilnehmende Beobachterin den Entstehungsprozess von Beginn an mitzuverfolgen und auch mitzugestalten. Meine Aufgabe ging weit über das bloße Abfotografieren hinaus und bestand am Ende wirklich darin, das bildgebende Gedächtnis einer außergewöhnlichen Theaterinszenierung mit all ihren Folgen zu sein.“ Das ist inzwischen schwieriger geworden, hat sie einmal erklärt, denn die oft verwendeten Video- und Filmprojektionen in den heutigen Aufführungen sind mit dem Fotoapparat kaum zu erfassen und die Resultate für die späteren Betrachter nur mühsam zu dekodieren.
Das hindert Ruth Walz, 1941 in Bremen geboren, aber nicht daran, dem europäischen Theater weiterhin auf der Spur zu bleiben. Sie reist durch die Lande, besucht Produktionen etwa von Krzysztof Warlikowski, Peter Sellars, Dmitri Tcherniakov oder Romeo Castellucci. Im Sommer 2021 gelang ihr wieder eine ikonografische Aufnahme beim neuen „Jedermann“ in Salzburg mit Lars Eidinger als Titelheld und mit Edith Clever, der Schlüsselfigur so vieler ihrer faszinierenden Tableaus, in der Rolle des Todes. Er, gerade noch voller Lebenslust, starrt sie entgeistert an, während sie ihm, als magische, zarte, erhabene Erscheinung, sein Ende verkündet und dabei traumverloren über den Horizont hinausblickt, über den Rand des Fotos und der Welt.
Theater feiern, obwohl der letzte Vorhang schon gefallen ist
An dieser Schnittstelle von Ahnen und Wissen, von Sehen und Gesehenwerden bewegen sich die Fotografien von Ruth Walz und heben die Vergänglichkeit des Mediums Theater auf, ohne sie zu verschweigen, oder, um aus „Hamlet“ zu zitieren, indem sie den Konflikt von „To Be or Not to Be“ sichtbar machen.
Etliche ihrer Aufnahmen würdigen überdies Bühnenbilder von Erich Wonder, zum Beispiel zu Richard Strauss‘ „Salome“ (Salzburg 1992) oder zu Boesmans „Wintermärchen“ (Brüssel 1999), Regie führte jeweils Luc Bondy. Wonders Entwürfe für vier Inszenierungen von Heiner Müller sind in der großartigen Ausstellung „T/Raumbilder“ in der Akademie der Künste am Pariser Platz zu entdecken, mit Gemälden, Aquarellen und meterlangen Ablaufplänen, durchgezeichnet Szene für Szene wie das Storyboard eines Films. Auch dies ist ein eindrucksvoller Versuch, das Theater zu feiern, obwohl der letzte Vorhang schon gefallen ist.
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